„Ich verstehe auch nicht, warum die meisten Frauen in Weiß heiraten wollen,” plapperte ich munter weiter. „Für jeden Beischlaf vor der Ehe gehört ihnen ein schwarzer Fleck auf ihr hübsches, weißes Kleid gemalt. Aber dann könnten ja alle gleich in Schwarz heiraten.“ Wieder erntete ich kräftige Lacher.
„Mat! Kennen Sie eine Frau, die in der Vergangenheit etwas Großes geschaffen hat?“ hatte dieser Regisseur nach einer Weile allgemeinen Geschwafels wissen wollen.
Ich erinnerte mich genau an seinen Gesichtsausdruck, an seinen stechenden Blick, der einem Priester des Jüngsten Gerichts zu gehören schien und befürchtete einen dieser Augenblicke, in denen er, cholerisch, eitel und despotisch wie er war, zu einer Attacke ansetzen würde, um vor versammelter Mannschaft den Glanz zurück auf sich zu ziehen. Gehörig verblüfft stutzte ich. Hatte er seine Frage ernst gemeint? Wollte er mich vorführen?
„Hören Sie! Ich meine etwas wirklich Großes. Ein Bild gemalt. Eine Oper geschrieben. Einen Dom gebaut. Oder ein Buch von Rang geschrieben. Etwas wirklich Großes.“ Seine Augen hatten sich zu einem brennend spitzen Anblick verkleinert, seine Pupillen kreisten nicht eine Nuance. Er hatte seine Frage ernst gemeint.
Ich sah ihm an, wie intensiv er sich in seinem Leben mit der Antwort beschäftigt hatte. Sofort kreisten ein paar Gesichter durch mein Hirn. Ich dachte an unsere Kanzlerin, an Anne Frank, an Jeanne d’Arc, an die Callas, an Artemisia, an die Kahlo, doch diese Damen konnte er nicht wirklich meinen.
„Ist doch eigenartig, oder? Kennen Sie nun eine oder kennen Sie keine?“
Immer noch schwieg ich, wie alle anderen am Tisch.
„Wie auch sollten Sie eine kennen?“ antwortete er schließlich in seiner selbstgerechten Art. „Es gibt sie nicht. Es waren und es sind immer Männer, die etwas Großes geschaffen haben oder schaffen. Oder kennen Sie doch eine?“ fragte er mich ein letztes Mal provozierend und lächelte in die Tischrunde.
„Ja! Ihre Mutter!“ antwortete ich und ergänzte. „Vielleicht!“
Wieder lachten alle lauthals, bis auf einen, der mich mit Eiseskälte abzustrafen begann und mit dem ich fortan noch mehr Probleme bekommen sollte, als ich mit ihm ohnehin schon hatte.
Manchmal wunderte ich mich selbst über das, was meine Hirnwindungen herausbrachten, über die Auslöser, die mich erinnern ließen. Ich hatte mich gefragt, warum Männer Frauen brauchten, warum ich Eve brauchte. Brauchte ich Liebe und Geborgenheit um mich komplett zu fühlen? Frauen schenkten Leben, fiel mir als weitere, mögliche Antwort neben meiner Gedächtniskraft als Zurechtstutzer vermeintlich großer Herren ein. Taten sie das, waren sie etwas Besonderes, etwas Heiliges. Bis sie aber so weit waren ihrer Natur nachzukommen, und in Zeiten wie diesen war diese Bestimmung schon lange nicht mehr selbstverständlich, waren sie viel zu oft zu unausstehlich. Und waren sie Mutter geworden, war keineswegs ausgeschlossen, dass sie es nicht wieder wurden.
Ich brauchte nicht lange um an die Formen zu denken, von denen ich schon immer angenommen hatte, dass sie grundsätzlich zu viel Platz in meinem Leben beanspruchten, ich mich aber dagegen nie ernsthaft gewehrt hatte. Ich war bei Sabrina, der Frau, die mir allein mit ihrer wohlgeratenen Weiblichkeit dermaßen den Kopf verdreht hatte, dass ich sie am liebsten angerufen hätte, um mich gleich hier mit ihr zu verabreden und das zu erkunden, was ich noch nicht von ihr wusste. Doch statt mich darauf zu freuen, was mich, wann auch immer, erwartete, haderte ich, je länger ich über sie nachdachte.
Sabrina war, so wie ich sie bislang gesehen hatte, keine Ausnahme wert. Das Ziel stand unausweichlich fest. Es ging mir einzig darum, diese Frau zu erlegen. Es ging um den Zahlenstrich auf meiner Flinte, es ging um den Kopf für meine Trophäensammlung. Um nichts mehr ging es. Es ging mir darum, eine schöne Frau zu erobern, die möglicherweise auch noch dominant im Bett war. Es ging mir darum, einen Trost als angemessenen Ersatz für die Frau zu finden, die dabei war sich von mir zu trennen. Ich wollte mich in zeitgemäßer und allseits ausgelebter Qualität neu verlieben, um der alten Liebe und ihrer reichlich antiquierten Enge zu entkommen.
Das Resultat meiner Überlegungen war bitter. Rang ich mit diesem großen Gefühl, und zu diesem Zeitpunkt rätselte ich gewaltig über meinen emotionalen Zustand, verachtete ich im Grunde die Frauen. Einzig eine schöne Frau wie Sabrina war mir genehm. Je mehr Makel eine Frau besaß desto weniger Wertschätzung, desto weniger Respekt, desto weniger Vorsicht, desto weniger Scham. Und je weniger von alledem desto ordinärer, subtiler und wilder waren die intimen Momente mit ihnen, austauschbar, verachtend und mitunter doch so erfüllend. Julia war der letzte Beweis dafür gewesen. Ich brauchte Frauen wie Sabrina, die mich vor dem völligen Absturz bewahrten, regelmäßig auf fremden Körpern zu übernachten. Ich brauchte sie als Bremse für meine Triebhaftigkeit.
Maria arbeitete an diesem Abend als Kellnerin auf der Terrasse. Sie war Polin. Sie hatte ein hübsches Gesicht, kleine Brüste, ein unvorteilhaftes Hinterteil und Stummelbeinchen. Verlorene Blicke auf sie brachten mich in die Zeiten zurück, bevor ich mit Eve zusammengekommen war.
Ich erinnerte mich an eine Nacht mit Ewa, einer Landsfrau von ihr und Fotografin. Wir landeten vor Jahren auf ihrer Ledercouch, nachdem sie Champagner und Häppchen gereicht hatte. Von einer Bekannten wusste ich, dass ihre Brüste gemacht waren. Das allein war der Reiz gewesen, zu erfahren nämlich, ob der Arzt seinen Job ordentlich erledigt hatte oder nicht. Er hatte.
Die Flut von Begegnungen und Bildern in meiner Gedankenwelt, die einen ähnlich sinnentleerten Umgang mit dem anderen Geschlecht enttarnten, war nicht mehr zu stoppen. Ein Schwergewicht von Frau stampfte vor meiner Nase die Terrasse entlang. Für übergewichtige Menschen hatte ich wenig Verständnis. Dicke Weiber erzeugten in mir so wenig Begierde. Sie erinnerte mich an eine andere Frau, die ich vor Jahren in einer Bar getroffen hatte. Wir unterhielten uns und tranken reichlich.
„Du kannst mit zu mir, aber nur, wenn du dich auch um meine Freundin kümmerst,” meinte sie nach der letzten Runde Tequila. „Uns gibt es nur im Doppelpack.“
Ihre unästhetisch dralle und ungepflegte Freundin mit einer dicken Warze auf der Wange saß zwei Tische weiter und grinste wie ein Honigkuchenpferd herüber. Sie spielte mit einem alten Mann Backgammon.
„Also was? Kommst du?“ wollte sie tatsächlich wissen.
„Nee, ich gehe jetzt!“ Als ich die Bar verlassen hatte, stürzte sie mir nach und beschimpfte mich aufs Übelste.
Ein anderes Mal feierte ich Karneval, was hoch oben im Norden der Republik grundsätzlich schon schief gehen musste. Ich traf eine Frau und nahm sie mit zu mir. Schon auf dem Weg nach Hause lag sie mit blankem Hintern auf einer vereisten Motorhaube. Am Morgen stieg sie in ein Taxi um zur Arbeit zu fahren. Wochenlang hing nach unserem mäßigen Akt eine Art Fahndungsschreiben an der Tür der Kneipe, in der ich den Narren gegeben hatte. Ich, eine aufregende Nachtgestaltung, sollte mich unbedingt melden. Sie hatte vergessen, wo ich wohnte, wer ich war und wie ich hieß. Während ich gedacht hatte, die Dame würde sich schon wieder beruhigen, hingen noch ein halbes Jahr später weitere Suchblätter an den Laternenpfosten der Straße. Sie suchte nach mir wie andere nach einem entlaufenen Kater.
In einem Bilderrausch schlugen unaufhörlich weitere peinliche bis dämliche Begebenheiten vor meinen Augen ein. Eine Halbtürkin knatterte mir einst als rassige Motorradbraut entgegen. Ich drehte um und fuhr ihr nach. Ich legte einen Zettel mit meinem Namen und meiner Telefonnummer auf ihren Sitz. Sie rief an. Wir trafen uns, gingen essen, tranken reichlich und taten es auf ihrer Maschine, die sie stets mit in ihre Erdgeschosswohnung nahm. Als die Karre in einer der folgenden Nächte zu Boden fiel und ich mir einer Alleinschuld so wenig bewusst war, hetzte sie mir ihren Papa, einen Rechtsanwalt, auf den Hals.
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