Begehren, Freude, Überdruss. Es war immer der gleiche Kreislauf, in dem ein Scheusal drehte, dachte ich, wenn die Verlorenen mich die Wahrheit denken hören könnten, dabei waren sie es, die sich mir entgegenstreckten wie dem König der Nacht eine Opfergabe dargeboten wurde. Frauen nahmen sich Männer, Frauen nahmen sich mich. Dabei gingen nur die wenigsten von ihnen in die Offensive. Wie vor ewigen Zeiten standen sie da und gaben Zeichen, wie empfänglich sie für eine Eroberung waren. Wer tatsächlich die Entscheidung für die zumeist nächtliche, entwürdigende Verbundenheit für ein paar Stunden zuerst getroffen hatte, war belanglos geworden. Auf fremden Körpern zu übernachten, war unmenschlich, gleichgültig, wer oben oder unten lag oder wer von was den Mund zu voll genommen hatte.
Die Frauen wollten es selbst so, beruhigte ich meine Nerven wieder. Auch sie waren nicht als böse Menschen geboren worden. Vermutlich war es nur ihr langweiliges Leben, das sie gequält hatte und die eigene Antriebslosigkeit dazu, dem zu entfliehen. Oder sie wollten mit ungehobelter Weiblichkeit glänzen, damit ich sie weiter traf, um die wahren Werte zu erkennen, derentwegen sie einer Liebesgeschichte würdig waren. Ich hielt ihnen zugute, dass auch sie begehrten oder sich Zwängen ausgesetzt sahen, dass es in den wenigsten Fällen tatsächlich berechnende Absicht war, sich selbst ein derart unwürdiges Chaos anzutun, weil der Grund ihres Handelns einzig ihre Angst war. Die meisten Defizite eines Menschen beruhten auf diesem Gefühl. Aber wer mehr nicht wollte, wer im Kern stets den Wunsch entwickelte, sich in der Anwesenheit des anderen ausruhen zu wollen, und so waren die meisten Frauen in meiner Stadt, musste damit leben, mit seinen Sehnsüchten und Ängsten gleichermaßen enttäuscht zu werden.
Eine andere Erklärung schoss mir durch den Kopf. Die Männer hatten mich zu dem gemacht, wer ich im Umgang mit dem vermeintlich schwachen Geschlecht war. Viele, sehr viele, hatten es den Frauen so recht gemacht, dass sie dadurch erst ihre Ansprüche erhoben hatten, mit denen sie die Nachfolger dieser Idioten belegten. Verwöhnt, verehrt, verlogen und betrogen. Ich und die anderen, die ich nicht kannte, durften ausbaden, was diese Ignoranten an Unheil angerichtet hatten.
Maria brachte unaufgefordert ein zweites Glas Wein. Sie lächelte. Irgendwie schien sie meine Verworrenheit wahrzunehmen, verzichtete jedoch erfreulicherweise auf jede Ansprache. Aufgebracht rutschte ich auf der Sitzbank hin und her. Ebenso wenig wie ich von den Frauen sprechen konnte, konnte ich das Verhalten aller Männer be- oder verurteilen, mag die Anzahl der geistigen Tiefflieger und Tunichtgute unter ihnen auch noch so groß sein. Es ging mir um mich, um meine Erkenntnisse, um meine Erfahrungen und um meine absurde Entwicklung im ständigen Kampf mit weiblichen Existenzen. Ich musste bei und mit mir sein. Um mehr ging es nicht und um doch so viel. Mit allen meinen Bettgeschichten hatte ich nicht die Frauen sondern letztlich mich selbst bestraft und war dabei, es wieder zu tun.
Wann genau es begonnen hatte, konnte ich nicht sagen. Es war auch gleich. Es zählte allein, was sie scham- und zügellos lebten. Zu Beginn waren es einige wenige, dachte ich. Und wie üblich zeigte die Mehrheit mit dem Finger auf sie, obgleich sie ähnlich begehrten. Die ersten Frauen, die sich, befreit von allen Konventionen, Mann nach Mann nahmen, wurden noch als Huren beschimpft. Doch je mehr ihnen folgten, angesteckt von diesem vermeintlichen Lebensglück, desto hoffähiger entwickelte sich die weibliche Befreiung aus Frust und Züchtigung, mit dem Ergebnis, dass das, was einst als so verwerflich galt, heute für jede Frau mindestens ein Gedanke wert war.
Je länger ich über ihr Auftreten und ihren Benimm nachdachte, desto sicherer wurde ich. Im Kern verhielten sie sich in den vergangenen Jahren immer häufiger so, wie es in früheren Zeiten die Geliebten getan hatten. Nur die Rollen hatten dramatisch gewechselt. Hatten sich über Epochen hinweg Männer Geliebte gehalten, hielten sich heute Frauen Männer als Geliebten. Die moderne Frau hatte sich freiwillig auf diesen Status reduziert, aus rein egoistischen Gründen. War Frau schlau, glaubte sie daran, stark zu sein. Sie war überzeugt davon, sich selbst und das Leben, was sie führte, zu bestimmen. Tatsächlich war sie zu einer Gefangenen der Moderne geworden, eine Verlorene im neuen Jahrtausend des grenzenlosen Narzissmus’, und nur die Selbstbefriedigung machte sie bei aller Selbstliebe auf Dauer unzufrieden, weswegen sie in die Unterwelt der Schwänze abzutauchen bereit war, in der Überzeugung, einzig für ihre Geilheit einen Mann zu brauchen. War Frau nicht schlau und lebte sie die alten Traditionen unwissend weiter, gehörte sie in die Rubrik der Dummen und Blöden und war vielleicht glücklicher. Wer wusste das schon, wenn sie sich selbst nicht einmal erklären konnte.
Eve war wie viele, viele Frauen waren wie Eve. Sie traten selbstbewusst auf und lächelten in die Runde. Doch in Wahrheit bestimmte sie eine innere Kopflosigkeit. Jedenfalls diejenigen, die der Reflexion fähig waren. Grundsätzlich, so erinnerte ich mich an die Autofahrt mit Eve zurück, als ich ihr den genialen Ausspruch meines Englischlehrers vorgelegt hatte, kam das Verhalten von Frauen meiner formulierten Allgemeingültigkeit gleich. Je intensiver der Mensch in der Lage war seinen Verstand zu nutzen, desto schwieriger hatte er es. Dieses Dilemma verband alle für immer, selbst Frauen und Männer. Weil es aber weitaus mehr dumme Männer gab, und selbst nur wenige der Einen der Zehn von Hundert diesen Rollentausch registriert geschweige denn verinnerlicht hatten, bestrafte Frauchen von heute diese Dummheit ausgerechnet mit der Rolle, in der sie einst so gelitten hatte, und weil das sozialere Wesen Frau seit jeher den Tratsch gewohnt war, sprach sich diese Entwicklung schneller herum, als Männer denken und zuhören konnten.
Es brauchte keine öffentlichen Demonstrationen oder Diskussionen mehr. Schleichend hatten die Frauen in den letzten Jahrzehnten mit jedem noch so kleinen Gespräch ihre Machtübernahme von Mund zu Mund in die Welt getragen. Sie konnten ficken, wann immer ihnen danach war, auch wenn es nur zu wirklich wenigen passte, sich derart billig und würdelos zu verschenken. Das Lauffeuer dieser Befreiung war entflammt, so wie einst die Fackeln in den Höhlen lodernd gebrannt hatten. Vielleicht war es Rache für vielerlei Entbehrungen, vielleicht war es raffiniert. Doch glücklich machte es nicht. Niemanden.
„Wie war es für dich?“ hörte ich Eve in meinen Erinnerungen fragen, als wir uns das letzte Mal geliebt hatten. Es war an einem Sonntag gewesen, der fast sechs Wochen zurücklag.
„Unbeschreiblich!“ hatte ich ihr im Ausklang von Erregung geantwortet und hätte besser meine Klappe halten sollen.
„Du kannst nicht sagen, wie es für dich war?“
„Es war toll!“
Eve saß augenblicklich aufrecht im Bett. „Kannst du vielleicht ein bisschen deutlicher werden? Nur ein kleines bisschen.“
Ich lächelte sie an, schwieg und streichelte behutsam ihre Brüste. Noch bevor ich meine Gedanken hatte ordnen können, erhielt ich die Quittung für meine drei Verfehlungen.
„Dann eben nicht!“ Eve stieg, enttäuscht von meiner Wortlosigkeit, aus dem Bett, ging ins Bad, wusch mich von ihr ab und nahm angezogen wieder Platz.
Da war er wieder, einer dieser Konflikte, der nicht wirklich einer war. Und es war an mir, das zu sagen, was mein Lächeln bereits erzählt hatte. „Es war wie in einen See von Sinnlichkeit einzutauchen. Ich denke nicht. Ich fliege. Befreit. Ich schwimme. Schwerelos. Dann und wann schaue ich zur Seite. Ich halte dich an deiner Hand. Und du hältst mich. An deiner Hand.“ Beweiskräftig drückte ich ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn.
„Besser. Viel besser. Es geht doch!“ Ihre Laune hellte auf. Sie zog sich wieder aus und schmiegte sich an mich.
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