1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 Die Bedienung, die als letzte fertig wurde, jagte er extra durch die Pfützen und sie mussten sich ein paarmal in den Dreck werfen. Es war aber kaum ein Unterschied festzustellen, wir waren alle von oben bis unten mit Lehm verschmiert.
Wir mussten mit dem Geschütz in Stellung gehen, dazu gehört das Abprotzen, das Rohr vorziehen, die Holme spreizen, die Erdsporne einsetzen und das Geschütz feuerbereit machen. Immer war dabei volle Kraftanstrengung notwendig. Immer mussten wir voll bei der Sache sein. Und als wir dann fertig waren, kam das Kommando: Abprotzen! Alles wurde dann in Windeseile abgebaut. Das Rohr wurde wieder an die Zugmaschine gehängt und abmarschbereit gemacht. Das ging bis zur völligen Erschöpfung.
Am Abend war dann Geschütz reinigen und nach Dienstschluss wuschen wir unser schönes weißes Drillichzeug und putzten die Stiefel.
Todmüde sanken wir dann auf unser Lager, aber auch hier hatten wir oft keine Ruhe, denn unsere Stubenältesten, die ja unsere Ausbilder waren, holten die Männer aus den Betten, wenn sie Sachen herumliegen sahen. Ordnung muss sein, sagten sie, und wer sie nicht kennt, der lernt sie noch kennen.
Am nächsten Morgen war dann Antreten in sauberen Sachen. Wir hatten keine ruhige Minute. Wir putzten bis zum Schlafengehen und fingen am frühen Morgen wieder an.
Aber als eine Woche vorbei war, als es Sonnabend war, da hielt es uns nicht in der Unterkunft, denn da wollten wir das Leben in Frankreich kennen lernen.
In kleinen Gruppen machten wir uns auf den Weg. Wir hatten fast eine halbe Stunde zu tippeln, bis wir in Arras ankamen. Wir gingen in eine Wirtschaft, wo es besonders laut und lustig war. Wir wollten die Strapazen vergessen, wollten einmal so tun, als ob es das Militär gar nicht gibt. Und wenn es die ganze Löhnung kostet, jetzt wurde getrunken, gejubelt und auf gute Kameradschaft angestoßen.
Wir tranken französischen Wein, französischen Kognak, rauchten französische Zigaretten und scherzten dabei mit französischen Mädchen. Immer wieder stimmten wir ganz unmilitärische Lieder an. Der Wirt ermunterte uns dabei und wir zogen auch ihn durch den Kakao. Es war ja so lustig und gar nicht teuer.
Wir sangen noch immer, als wir um halb zehn aufbrachen. Beim Zapfenstreich um zehn Uhr wollten wir aber unbedingt in den Betten liegen.
Am nächsten Tag, einem Sonntag, gingen wir wieder nach Arras. Wir wollten uns diesmal die Stadt ansehen. Es war eine schöne Stadt. Verschnörkelungen an den Häusern und um die Fenster, Balkone und Türmchen, Säulen und sonstiger Zierrat, machten die Stadt zu einem architektonischen Anziehungspunkt. Besonders schön war der Markt, der von einem Säulengang umgeben war.
Wir gingen auch heute noch in eine Wirtschaft und anschließend noch in eine andere und auch noch in eine dritte, aber solche Stimmung wie am Vortage wollte einfach nicht aufkommen. Macht nichts, dachten wir, wir können es ja nachholen. Aber leider kommt es immer anders als man denkt.
Unser Aufenthalt hier in Frankreich war leider nur begrenzt. Schon am Abend des nächsten Tages hieß es kurz entschlossen: Wir machen Stellungswechsel!
Ich wünschte mir im Stillen, wir würden unseren Standort innerhalb Frankreichs wechseln.
Am Dienstag begannen wir bereits mit dem Packen und Verladen unseres Gepäcks. Abends wurden die Geschütze und Fahrzeuge verladen und am Mittwoch früh war die Batterie marschbereit. Jeder Mann hatte seinen Platz und jeder Fahrer wusste, was er zu tun hatte. Der große Organisator war der Spieß.
Ich saß auf einer der Zugmaschinen, an die ein Geschütz gehängt war. Es war schon ein stolzer Anblick, als wir durch Arras fuhren. Wir fuhren direkt zum Bahnhof, wo alles sofort verladen wurde. Kurz vor zwölf setzte sich der Zug in Bewegung. Es war dieselbe Fahrt, die wir erst vor ein paar Tagen gemacht hatten, nur in umgekehrter Richtung. Es ging nach Osten.
Abfahrt nach Kunzendorf in Westpreußen
Wir fuhren über Hannover, Hamburg, Güstrow und Stettin nach Danzig und weiter bis nach Dirschau. Hier war endlich Endstation. Vier Tage und Nächte lang waren wir gefahren.
Die Batterie wurde marschbereit aufgestellt und dann ging es zunächst einmal aus der Stadt hinaus, bis nach Kunzendorf, einem großen westpreußischen Bauerndorf. Aber hier war auch noch nicht Endstation. Zwei Kilometer vom Dorf entfernt, in einem leer stehenden Arbeitsdienst-Lager bezogen wir Quartier. Das Lager lag an einem hohen Damm entlang der Weichselwiesen, der sie vor Überschwemmungen schützen sollte. Hier, inmitten der Felder, von aller Welt abgeschnitten, sollten wir Quartier beziehen.
Der Boden war sehr aufgeweicht, denn hier fing es gerade an zu tauen. In Frankreich dagegen wurde es bereits Frühling. Hier lagen noch überall Reste vom letzten Schnee. Die Flüsse und Bäche waren noch zugefroren und auf den Feldern, die des Nachts froren und am Tage auftauten, blieb man beim Gehen im weichen Boden stecken.
Das Geschützexerzieren war hier genau wie in Frankreich. Wir blieben auch hier im weichen Lehm stecken.
Früh um fünf Uhr war hier Wecken. Nach dem Ankleiden und dem Frühstück hatten wir zunächst Fußdienst auf den Weichselwiesen. Im Laufschritt ging es auf den Damm und wieder hinunter. Bis wir vor Erschöpfung glaubten, wir können nicht mehr.
Der Schorsch, der mit mir aus Frankfurt gekommen war, allerdings aus einer anderen Batterie, und mit dem ich mich des Öfteren unterhielt, sagte einmal, als er der Verzweiflung nahe war: Hätte ich das gewusst, wäre ich doch lieber in Frankfurt geblieben.
Mein lieber Schorsch, sagte ich, hätte ich das gewusst, wäre ich niemals Soldat geworden. Aber nun sitzen wir drin in der Tinte. Glaubst du, lieber Schorsch, dass das schon das Schlimmste ist oder ob es noch schlimmer kommt? Ach, sagte Schorsch, ich hab die Schnauze so voll! Dies ist ja nur das Vorspiel für den Ernstfall, sagte ich. Später, wenn es erst um dein Leben geht, dann bist du froh, dass du dies alles gelernt hast. Das glaub ich nicht, sagte Schorsch. Im Einsatz haben wir ein ruhigeres Leben.
Was meinst du, wo wir zum Einsatz kommen? Er machte ein nachdenkliches Gesicht und sagte: Das sieht verdammt nach Russland aus. O Gott, o Gott, wenn das wahr wäre, dann hätten wir aber eine verdammt harte Nuss zu knacken. Ich war dabei aber nicht ganz sicher, ob Schorsch recht hatte und sagte: Ich wünschte, du hättest nicht recht. Schau, wir haben doch mit Russland einen Nichtangriffspakt, was besagt denn der? Otto, Otto, sagte Schorsch, ich möchte gar nicht daran denken!
Wann werden wir die Heimat wieder sehen? fragte ich mich nach diesem Gespräch.
Tatsächlich trat für uns beide eine Besserung ein. Ich wurde Fernsprecher und Schorsch wurde Kraftfahrer. Wenn die Kanoniere jetzt auf dem Hof Geschützexerzieren hatten, saß ich im Quartier am Tisch und schaute durchs Fenster. Fußdienst hatten wir jedoch alle zusammen, daran konnten wir nichts ändern. Ebenso den artilleristischen Unterricht.
Mit der Zeit wurde es uns zur Gewohnheit. Wir sollten durchtrainiert werden, dazu diente der Fußdienst und wir sollten geistig nicht verkümmern, dazu diente der Unterricht.
Allmählich begann der Außendienst als Fernsprecher. Wir gingen ins Gelände und legten Leitungen aus. Fritz Tofanke hatte sich auch zu den Fernsprechern gemeldet. Wir lernten uns dabei näher kennen. Er stammte auch aus Berlin und zwar aus Konradshöhe. Kurt Both dagegen blieb bei den Kanonieren, er hatte sich damit abgefunden.
Bis zu sechs Kilometer lang war manchmal die Leitung. Das ganze Kabel musste getragen werden. Wenn wir beim Bau Fehler machten, wurden die Unteroffiziere böse und jagten uns extra über das Gelände, wobei wir uns mehrere Male hinlegen mussten und das mit der Rückentrage auf dem Rücken. Das Aufnehmen der Leitung war bedeutend schwerer als das Auslegen, denn nun hatten wir die Rückentrage auf dem Bauch und trommelten auf. Wir mussten die Kurbel drehen.
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