1000 Tage an der Ostfront - Das Kriegstagebuch meines Vaters 1940 – 45
Angelika Ludwig
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2014 Angelika Ludwig
ISBN 978-3-8442-8538-3
Otto Reinhold Lemm1000 Tage an der OstfrontDas Kriegstagebuch meines Vaters 1940 Herausgegeben und kommentiert vonAngelika LudwigEine vollstDer Chef, Wachtmeister Brandt, 2 Fernsprecher und 2 Funker
Vorwort
1. Die Einberufung
2. Grundausbildung in der Bülow Kaserne in Frankfurt
3. Krieg mit Russland
4. Vormarsch in Richtung Leningrad
5. Stellungskrieg vor Leningrad
6. Der Rückzug aus Leningrad in Richtung Moskau
7. Wintereinbruch
8. Der Rückzug vor Moskau
9. Weihnachten 1941
10. Die Sommeroffensive 1942
11. Vormarsch auf Stalingrad
12. Der erste Heimaturlaub
13. Zurück an die Front
14. Ablösung und Neuaufstellung der Abteilung in Frankfurt/Oder
15. Sommer 1943 an der Oder
16. Abstellung zur Kavallerie
17. Das dritte Weihnachten in Russland ( 1943 )
18. Abstellung zum Lehrgang für Staffelführer
19. Sonderauftrag und Heimaturlaub, April 1944
20. Zurück an die Front
21. Rückzug bis zum Bug
22. Verwundung
23. Im Lazarett
24. Entlassung als AVH nach Konstanz
25. Christbäume über Pforzheim
26. Vor der Entlassungskommission
27. Das Kriegsende in Predöhl in der Ostprignitz
Über das Buch
Es handelt sich bei dem vorliegenden Text um authentische Tagebuchaufzeichnungen meines Vaters.
Er hat den Zweiten Weltkrieg als Kriegsteilnehmer an der Ostfront miterlebt und seine Erlebnisse aufgezeichnet.
Schon als Kind erfuhr ich viel über den 2. Weltkrieg durch die Erzählungen meines Vaters. Immer wenn er Zeit hatte, und merkwürdigerweise war das immer zu Weihnachten, erzählte mein Vater uns drei Geschwistern von seinen Kriegserlebnissen.
Das geschah in den fünfziger Jahren. Offenbar waren die Ereignisse meinem Vater noch sehr präsent, da er dabei war, seine handschriftlichen Aufzeichnungen, die er in Schulhefte geschrieben hatte, zu bearbeiten und mit der Schreibmaschine abzuschreiben.
Als Kind hörte ich gebannt zu, später, mit 15, 16 Jahren entwickelte ich eine kritische Haltung dazu und wollte nichts mehr davon wissen.
Mir erschien seine Sichtweise zu naiv und beschönigend, ja gar vertuschend. Ich warf ihm auch in Gesprächen vor, dass er keine kritische Haltung zu den Ereignissen bezogen hatte.
Erst sehr viel später, nach seinem Tode, Anfang 1993, bekam ich seine gebundenen Aufzeichnungen in die Hände und las sie das erste Mal vollständig durch.
Es waren bewegende Schilderungen, die mich zum Teil erschütterten. Mein Vater schildert unglaubliche Eindrücke des Alltags im Krieg. Zuerst das siegreiche Vorrücken, die Großangriffe, dann das Überwintern auf offenem Feld vor Moskau, den Häuserkampf um Stalingrad und ab 1942 bereits den Rückzug, das verzweifelte Aufhalten der Front.
Aber er beschreibt auch geradezu idyllische Situationen, wenn z.B. im Sommer 1942 die Batterie ihre Zelte in einem Obstgarten hinter der Front aufbaut.
In mir entstand der Wunsch, seine Aufzeichnungen zu veröffentlichen, wie er es eigentlich vorgesehen hatte. Ich habe seine Aufzeichnungen einmal gekürzt, um so stringenter die Geschehnisse des Krieges in den Mittelpunkt zu bringen, zum zweiten war es mir ein Bedürfnis, durch Kommentare zum historischen Kriegsgeschehen seine Aufzeichnungen zu ergänzen.
Im Tagebuch wird man mit einem Einzelschicksal konfrontiert, das zum Teil unmenschliche Strapazen auf sich nehmen musste, ohne zu wissen, welches strategische Ziel hinter den Kampfhandlungen steckte, abgesehen davon, dass man immer weiter voran sollte. Schon bald fragt er sich, was das Ganze für einen Sinn hat.
Nach der Kapitulation von Stalingrad im Januar 1943 allerdings, als es nur noch zurück ging und man die Front nicht mehr halten konnte, wurden die Soldaten zunehmend kritischer. Auch mein Vater hinterfragte sinnlose Befehle und sah die Schwächen der Führungsoffiziere. Er konstatierte den abnehmenden Kampfgeist der Truppe und musste doch ständig ums Überleben kämpfen.
Aber die militärische Disziplin verlangte die völlige Unterordnung unter den Befehl des Vorgesetzten. Das ging am Ende soweit, dass man im Grunde wusste, dass der Krieg bereits verloren war, aber nicht darüber reden durfte, wenn man nicht angezeigt werden wollte.
Am Ende des Krieges hatte mein Vater noch einmal Glück. Er wurde im September 1944, als sich seine Einheit kämpfend zurückzog, verwundet und kam in ein Lazarett in Niedersachsen, nach Gronau, wo er das Kriegsende erlebte
Erst kürzlich lief im Fernsehen der Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ mit großer Resonanz. Er zeigte uns, dass das Thema Zweiter Weltkrieg noch immer Interesse hervorruft und Fragen aufwirft.
Dieses Buch soll dazu beitragen, den nachfolgenden Generationen einen authentischen Eindruck vom Kriegsgeschehen zu vermitteln.
Mein Vater im 3. Kriegsjahr
Am 3. Dezember 1940 wurde mein Vater zur Wehrmacht einberufen. Der Einberufungsbefehl kam wie aus heiterem Himmel. Mit dem Ende des Frankreichfeldzuges hatte niemand mehr mit einer Einberufung gerechnet.
Zuerst versuchte er, dagegen etwas zu unternehmen. Aber es war natürlich nicht möglich. Sein Jahrgang, der Jahrgang 1911, war dran. So fügte er sich schließlich in sein Schicksal, wobei das Unbekannte eines neuen Lebensabschnitts ihn durchaus auch reizte.
Die Sammelstelle war in der Deutschlandhalle. Um 10 Uhr sollte er sich dort einfinden. Alles war für seinen Abschied vorbereitet.
Mach dir keine Sorgen, sagte ich zu meiner Frau, das Ganze wird doch nur eine ausgedehnte Herrenpartie. Der Führer wird schon wissen, warum er uns holt. Ihr war jedoch nicht zum Scherzen zumute.
Sieh mal, sagte ich, was ist schon alles geschehen, seit wir den Führer haben. Ein Ereignis folgt dem anderen.
Schon ein halbes Jahr nach seinem Machtantritt gab es Arbeit für alle. Dann folgte im März 1935 die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Dann zogen deutsche Truppen ins Rheinland ein. Das Saarland wurde zurückgewonnen. Österreich wurde eingegliedert. Die Sudetendeutschen bekamen ihre langersehnte Freiheit. Hast du den Jubel vergessen?
Und Böhmen und Mähren, warf meine Frau ein, haben die auch gejubelt? Und die Polen und die Franzosen, haben die auch gejubelt?
Nein, sagte ich. da haben wir gejubelt. Die sind wie von einem Blitz getroffen worden. Da staunte sie. Der Führer lässt sich keinen Krieg aufzwingen. Er schlägt vorher zu. Und das mit gutem Erfolg.
Polen wollte Deutschland bestimmt nicht angreifen, sagte meine Frau und machte ein toternstes Gesicht. Sie war fest davon überzeugt.
Wenn du die Lage zurückverfolgst, versuchte ich sie aufzuklären, musst du doch zugeben, dass Polen sich den Wünschen Deutschlands widersetzt hat. Dem Führer lag das Wohl der Bürger Danzigs am Herzen und er verlangte einen Korridor durch Polen. Aber das hat Polen ihm verweigert.
Stattdessen nahm Polen von Frankreich eine Rüstungsanleihe. Obwohl seit 1934 ein Wirtschaftsabkommen und ein Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Polen bestanden hat. Ja, als Pilsudski noch Staatschef in Polen war, kam es zwischen beiden Völkern zur Verständigung. Bei seinem Nachfolger Ryds Smigly kam es jedoch immer wieder zu Spannungen. Es waren nicht nur die deutschen Minderheiten allein, die diese Spannungen auslösten, viele Probleme bedurften einer Regelung. Zuletzt wurden unsere Landsleute in Polen wegen ihres Bekenntnisses zum Deutschtum verfolgt.
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