Dieser Dienst wurde kurz vor 12 Uhr beendet. Wir wurden auf die Stuben entlassen und machten uns für das Mittagessen fertig. Nach dem Essen auf der Stube hatten wir ein wenig Zeit, die Ereignisse zu reflektieren.
Ein Pfiff aus der Trillerpfeife schreckte uns aus unserem Nachdenken auf. Auf dem Appellplatz erfuhren wir den Dienst für den Nachmittag, der wieder aus Geschützdienst bestand. Alle vier Geschütze wurden herausgezogen und wir wurden gleichmäßig auf die Geschütze verteilt.
Zunächst einmal wurden die Funktionen der einzelnen Kanoniere im Einsatz erklärt. Immer wieder wurde die Funktion des KI besprochen. Wir mussten durch den Richtkreis sehen, sahen das Fadenkreuz und die Einteilung und dabei wurden dann allerhand Fragen gestellt.
Unteroffizier Eckert, bei dem ich eingeteilt war, und der den Frankreichfeldzug mitgemacht hatte, erzählte von seinen Erfahrungen. Mein erster Einsatz war die Beschießung Antwerpens, erzählte er, da sind wir zur rechten Zeit herangekommen. Ich war als Obergefreiter und Richtkanonier am zweiten Geschütz. Wir standen so dicht an der Stadt, die zur Festung erklärt worden war, dass wir mit der vierten Ladung geschossen haben. Zuerst schossen wir 15 Schuss, das war um die Mittagszeit. Am Nachmittag schossen wir hintereinander nochmals mehrere Salven hinein und dann schossen wir Störungsfeuer die ganze Nacht. Das war ermüdend, denn wir hatten keinen Schlaf.
Bekamen Sie denn keinen Beschuss aus der Stadt heraus oder aus der Luft? Wollte jemand wissen. Stellt euch das nicht so einfach vor, sagte der Unteroffizier Eckert. Wir bekamen schon einige Treffer in die Feuerstellung, dabei wurden zwei Mann verwundet. Aber deshalb durften wir nicht die Nerven verlieren. Wir hatten Tag und Nacht den Stahlhelm auf. Später, als unsere Truppen in die Stadt eindrangen und wir Ruhe hatten, da wurde es gemütlich. Was haben wir da alles getrunken und gefressen. Wenn ich daran denke, wird mir heute noch übel.
Uns machte dieser Dienst Spaß. Man sah doch gleich, ein Vorgesetzter, der etwas mitgemacht hatte, war viel kameradschaftlicher, als einer, der noch nicht draußen gewesen war.
Den Unterricht vergaß der Unteroffizier keineswegs. Während des Gesprächs nahm er den Verschluss heraus und besprach die einzelnen Teile mit uns.
Er lachte und scherzte mit uns, sprach den einen oder anderen mit Du an und steckte sich sogar eine Zigarette an. Darf geraucht werden? fragte sofort ein Kamerad. Bitte, wenn es euch Spaß macht, ich habe nichts dagegen. Also steckten sich fast alle Kameraden Zigaretten an. Als das die andern Gruppen sahen, rauchten sie auch.
Herr Unteroffizier Eckert, fragte ich, wie ist es eigentlich im Krieg? Sind die Strapazen eigentlich groß, ist das Leben oft in Gefahr? Ich meine, Sie haben doch den Frankreichfeldzug mitgemacht.
Also hört einmal her, begann der Unteroffizier seine Ausführungen, ihr müsst zuerst einmal ausgebildet werden. Ihr müsst euch von dem bequemen Leben lossagen. Ihr braucht nicht jede Nacht ein Bett, ihr könnt auch mal unbequem schlafen. Ihr müsst sportlich durchtrainiert sein. Der Dienst in der Kaserne ist nicht umsonst hart, er muss hart sein. Der Krieg ist nichts für laue und weiche Männer. Deshalb nehmt die Sache ernst mit der Ausbildung. Schmeißt euch lieber einmal öfter in den Dreck als einmal zu wenig. Gewiss ist das Leben manchmal in Gefahr, die besteht überall, aber man denkt nicht immer daran, denn das könnte euer Verhängnis sein.
Man bewegt sich draußen genau so, wie hier in der Kaserne. Man denkt nicht dauernd, mir könnte etwas passieren. Wir sind doch nicht die ersten, die in ein Gebiet vorstoßen, in dem noch bis vor kurzem der Feind saß oder noch sitzt, sondern das Gebiet, in das wir in Feuerstellung gehen, ist ja feindfrei. Vor uns liegt ja die Infanterie, wir schießen über sie hinweg. Mit Spannung hörten die Kameraden den Ausführungen des Unteroffiziers zu. Seine Ausführungen stimmten mich und wie es schien viele Kameraden optimistisch.
Feuerkommando! ruft der Fernsprecher und wir eilen an die Geschütze. Es klang fast ein wenig sportlich. Ja was haben sie denn vorher gemacht? fragte ich deshalb. Vorher, ja was haben wir da gemacht? Wir waren alle gespannt. Ach ja, vorher haben wir Karten gespielt. Was sollten wir denn sonst machen, wenn keine Feuerkommandos kommen. Es war ein richtiges Zigeunerleben. Wir brauchten keine Quartiere, sondern wir schliefen auf den Fahrzeugen oder daneben auf der Erde. Oder im Deckungsloch in der Feuerstellung neben den Geschützen. An Gefahren dachte man einfach nicht. Wenn keine Feuerkommandos kamen, hatten wir Pause.
Haben denn die Fernsprecher immer Leitung gelegt von ihrer Beobachtung zur Feuerstellung? fragte ein Kamerad. Wer ist denn da vorne und rechnet die Kommandos aus? Und wo liegt denn der Beobachter.
Das sind ja so viele Fragen auf einmal. Also zuerst einmal: Die Fernsprecher sind nicht immer im Einsatz, denn bei dem ständigen Vormarsch lohnt es sich nicht, eine Leitung zu legen. Dann schießen wir mit Funk. Zweitens: Die Beobachtung liegt meist bei der Infanterie oder kurz dahinter. Der Vorgeschobene Beobachter geht mit der Infanterie vor und unterstützt den Vormarsch mit der Artillerie. So soll es sein, rein theoretisch.
Drittens: Es wird nach der Karte geschossen, das macht der Beobachtungs-Offizier. Er muss errechnen, wie groß die Entfernung ist und um wie viel das Ziel von der Grundrichtung abweicht.
Alles nur für den Stellungskrieg. Beim Vormarsch fällt das natürlich weg. Denn wir müssten zuerst mit unseren Geschützen in Stellung gehen und so viel Zeit haben wir nicht.
Wir sahen uns einander an und wussten selbst nicht, was wir dazu sagen sollten.
Außerdem, sagte der Unteroffizier, ein jeder soll sich nur um seine Aufgaben kümmern. Was die anderen tun, geht ihn nichts an. Wir Kanoniere gehören zu den Geschützen, die Fernsprecher zu ihren Leitungen und der B-Offizier hat seine speziellen Aufgaben.
Wie ich schon sagte, wenn ein Feuerkommando kommt, eilen wir an die Geschütze und sonst haben wir Feuerpause.
Wir hatten Gesprächsstoff genug und diskutierten in der freien Zeit, wenn wir in der Stube in den Betten lagen.
So vergingen die Tage, einer nach dem andern. Mal war der Dienst streng, mal war er erträglich. Abwechslung hatten wir genug, zwischen dem Wecken und dem Zubettgehen. Wir hatten uns allmählich an das Leben gewöhnt und lernten uns näher kennen.
Vor allem die Ausbilder lernten wir kennen. Wir wussten, vor wem wir uns besonders vorsehen mussten und wer freundlich zu uns war.
An den Sonntagen machten wir einen Marsch von zwei Stunden außerhalb der Kaserne. Wir gingen durch den verschneiten Winterwald und mussten singen. Oft kam auch der Hauptmann mit, dann war es besonders eindrucksvoll. Ja, solche Märsche waren schon gut.
Anders war es dagegen, wenn wir beim Fußdienst schwitzten. Unsere Ausbilder konnten uns das Leben ganz schön zur Hölle machen. Manchmal lagen wir dabei mehr im Dreck als alles andere. Das Schlimme war dabei, dass wir unsere Sachen wieder selbst saubermachen mussten.
Hier herrschte die Devise: DER UNTEROFFIZIER HAT IMMER RECHT!
Danach zu handeln war zuerst nicht leicht, aber mit der Zeit gewöhnten wir uns auch daran.
Es wurde Weihnachten. Wir waren aber noch nicht so weit, dass wir uns außerhalb der Kaserne frei bewegen konnten. Das hieß: Wir hatten keinen Ausgang.
Aber dafür durften uns unsere Frauen besuchen, die davon auch regen Gebrauch machten. Sie waren auf unserer Stube und der Stubenälteste verzichtete sogar darauf, mit dabei zu sein. Es war wunderbar, nicht nur die Kameraden zu kennen, sondern jetzt kannten wir auch deren Frauen. Mittags aßen wir gemeinsam mit ihnen in der Kantine.
An den Nachmittagen und an den Abenden war hier Musik und Tanz. Es herrschte ein regelrechter Hochbetrieb.
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