T.J. Becker - Die letzten Tage der Freiheit

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Die Freiheit ist auf dem Rückzug und der Einzelne zunehmend dem Willen und den Ansprüchen einer abstrakten Mehrheit unterworfen. Er kann ihnen nicht entrinnen. Dass ausgerechnet die Demokratie sich zu einer Macht entwickelt, die außer dem Staat keine ernstzunehmenden Akteure übrig lässt, und alles Wirken und Handeln des Menschen, all seine Arbeit und all sein Verdienst in den Unterhalt des Staates und seinen weiteren Ausbau stellt, steht im Gegensatz zu allem, was man mit Demokratie stets verbunden hat: die Hoffnung, als Staatsform Garant der Freiheit zu sein. Die Demokratie moderner Ausprägung hat diesen Anspruch weit hinter sich gelassen. Die Macht der Mehrheit und ihre historisch einmalige Durchgriffsmöglichkeit auf das Leben der Einzelnen, lassen den Menschen heute mit dem Gefühl zurück, nur noch fremden Mächten zu dienen. Daher auch sein schizophrenes Lebensgefühl: Man macht ihm weis, in einer freien Gesellschaftsordnung zu leben, in einer Welt der Vielfalt und Wahlmöglichkeiten. Doch dann merkt er, dass es nur Einfalt gibt. Es gibt nur das eine Große, das eine Ganze, das eine Umfassende, dem alle zuarbeiten müssen wie in einem Ameisenstaat. Das bedrückt ihn, weil es ihm keinen Ausweg lässt. Und er fühlt sich versklavt. – Ursächlich für die Versklavung des Menschen ist einerseits die Hybris des Staates und sein nie enden wollender Gestaltungsanspruch, andererseits das immense Versorgungsniveau, das die demokratische Mehrheit regelmäßig allen auferlegt, ohne dass es eine natürliche Beschränkung fände. Dieses hohe Versorgungsniveau aber ist unvereinbar mit der Freiheit des Menschen. Als Prinzip galt dieses Dilemma der Demokratie schon immer. Aber erst jetzt ist die Demokratie gesellschaftlich so weit, dass sie ihre gewaltigen Ansprüche voll geltend machen kann. So geht mit jeder Wahlperiode mehr Freiheit verloren, ohne dass dies bedeutend mehr Menschen auffiele als den wenigen Freien, die noch an ihrer Freiheit hängen.

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Die letzten Tage der Freiheit

Betrachtungen zum Stand unserer Versklavung

von T. J. Becker

ISBN: 978-3-7375-9394-6

© 2016 T.J. Becker

Vorwort

Dieses Buch entstand im Sommer 2015 während eines viermonatigen Aufenthalts in Griechenland. Nicht lange davor war ich noch einmal Vater eines kleinen Jungen geworden, der mit seiner griechischen Mutter auf einer Insel der Kykladen lebte. Was aus dieser neuen familiären Situation erwachsen würde, wussten wir nicht. Alles war neu und unbestimmt und wie immer, wenn ein Kind das Leben durcheinanderwirft, musste sich erst mühsam herausschälen, wie es weiterginge. Alles war denkbar, aber das meiste löste sich schnell den Zwängen und Dringlichkeiten auf, die ein Baby tagtäglich darstellt. Der vorliegende Text entstand in diesen griechischen Monaten, die nicht nur wegen der neuen Familie turbulent und aufregend waren, sondern auch aufgrund der Krise dort, die damals, im frühen Sommer, ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. Man begegnete ihr auf Schritt und Tritt, sie prägte das Lebensgefühl. Vielleicht hatte das Auswirkungen auf mein Schreiben und schlich sich als Grundstimmung in den Text mit ein. Die Idee zu dem Buch und das Gefühl, es dringend und notwendig schreiben zu müssen, waren allerdings lange vorher entstanden, ohne Zutun der Griechen und zu einer Zeit, als man sich hierzulande noch selbstzufrieden zurücklehnte und nicht ahnte, dass man bald selbst in gewaltige Turbulenzen geriete. Schon länger hatte mir vorgeschwebt, etwas über die zunehmende Vereinnahmung des Menschen durch den Staat zu schreiben, auch über deren wechselseitige Abhängigkeit, da einerseits der Bürger immer angewiesener auf Leistungen des Staates ist, und andererseits der Staat einen steigenden Anteil der Arbeit seiner Bürger für den eigenen Unterhalt fordert – wachsen seine Leistungen doch scheinbar unaufhörlich. Kurz, ich wollte darüber schreiben, wie wir uns ohne Not in immer größere Knechtschaft bringen. Anfang des Sommers 2015 schien die Welt kein drängenderes Problem zu haben als die Rettung des kleinen Griechenlands aus seiner Misere. Alles schaute gebannt nach Athen. Und auch mir konnte das Schicksal der Griechen nicht länger egal sein, weil ich jetzt Familie dort hatte und mein Sohn Grieche war. So schlich sich die Krise auch in unser Leben, das sich plötzlich mit der banalen, aber entscheidenden Frage befassen musste, ob Geldabhebungen andern Tags noch funktionieren würden und ob die Versorgung und die Löhne auf der Insel gesichert wären. Um nicht ganz ohne Einkommen zu sein, fing ich an, Bilder von der kleinen Ägäis-Insel an Fernsehanstalten zu liefern. Schließlich ist das mein Beruf. So kam es, dass meine Tage mit dem Buben hin und wieder durch Dreharbeiten unterbrochen wurden, deren bescheidenes Honorar zwar unser Auskommen nicht würde sichern können, aber immerhin beruhigende Wirkung hatte. Man war also nicht ganz ohne Einkommen. Bevor mein Geschäft allerdings richtig in Schwung kommen und sich rentieren sollte, musste ich schon wieder zumachen. Denn mit jedem Gipfel der von Gipfel zu Gipfel eilenden EU-Staatschefs stabilisierte sich die Lage, was das Interesse der Sender an Griechenland jäh zum Erliegen brachte und meine Karriere als Inselreporter genauso abrupt beendete. Niemand wollte mehr Bilder von dort, man war satt und hatte genug von den Griechen gesehen, und selbst wenn der Vulkan von Santorini ausgebrochen wäre und die ganze Insel ins Meer gerissen hätte, wäre man auf den Bildern sitzengeblieben, so totgeschlagen waren mit einem Mal alle von dem Thema. Dafür kristallisierte sich ein ganz neues heraus: die Flüchtlingskrise. Je mehr Flüchtlinge auf Inseln wie Lesbos und Kos anlangten, desto mehr wurden sie zur allesbeherrschenden Frage für Europa und besonders für Deutschland. Die Dynamik, die diese Entwicklung mit den Wochen und Monaten annehmen sollte, war im Sommer 2015 noch nicht absehbar. Jedenfalls nicht, wenn man nicht wie die Regierung durch die Nachrichtendienste informiert war, was sich da zusammen braute. Dass sich die Flüchtlinge aber zu einer solchen Existenzkrise Europas und Deutschlands entwickeln würden, überraschte dann doch. Als ich das Buch im Spätsommer beendete, hatte sich Deutschland eine Aufgabe aufgebürdet, die schlicht furchteinflößend war und immer noch ist. Nur Größenwahn und jeglicher Ausfall von demokratischen Sicherungsmechanismen konnten dazu führen, dass man ernsthaft glaubte, einer solch historischen Aufgabe gewachsen zu sein. Insofern hatten sich die Gedanken des Buches hinsichtlich der systematischen Hybris westlicher Demokratien schneller als mir lieb war bewahrheitet. Obwohl die Flüchtlingskrise also nur am Rande vorkommt, ist sie doch als unvermeidliches Ergebnis der Regierungsentscheidungen in den Thesen des Buchs schon vorweggenommen. Ihr schicksalhafter Lauf war vorhersehbar.

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