Was tun, wenn orthopädische Odysseen versagen? Von Rückenschmerzen geplagt, greift Frau B. zur Selbsthilfe und verordnet sich zur Ablenkung ein Bildungsrezept: Sie möchte das Abitur nachholen. Wider Erwarten stößt sie in ihrer neuen Schule ausschließlich auf junge Mitschüler. Bunt aus verschiedenen Nationalitäten zusammengewürfelt, haben sie sich für einen höheren Bildungsabschluss entschieden, um nicht in die Arbeitslosigkeit zu geraten. Der Schreck sitzt tief- Frau B. ist der absolute Schul-Oldie!
Und eine weitere Hürde stellt sich ihr in den Weg. Vater Willi, ein ehemaliger Profikicker, leidet an beginnender Demenz und hat Probleme mit den Neuerungen im Leben seiner Tochter. Schafft sie es, die scharfen Klippen aus schulischer Anforderung, Außenseiterstatus sowie familiärer Belastung zu umschiffen?
Zunächst sieht es nicht danach aus, aber dann sorgen die turbulenten Ereignisse für einen Richtungswechsel.
Bereits in der ersten Stunde trug er lächelnd zur allgemeinen Verwirrung bei, als er jeden Schüler bat, sich als Blume vorzustellen. Ich entschied mich für ein Stiefmütterchen. Leider interpretierte er meine Wahl in eine falsche Richtung: „Sie sehen doch nicht aus wie ein Stiefmütterchen, oder werden sie aufgrund des Altersunterschiedes von ihren Mitschülern stiefmütterlich behandelt?“ Just in diesem Moment hörte ich Tobi seinem Nachbarn zuflüsterten: „Hoffentlich schafft Stiefmütterchen das Abi noch vor dem Verwelken.“
Hildegard Becker, 1952 in Mönchengladbach geboren, arbeitete lange Jahre im öffentlichen Dienst und als selbstständige Floristin. Später studierte sie Kunstgeschichte, sowie Medien- und Kommunikationswissenschaft in Düsseldorf, wo sie auch lebt.
Mit der „Überquerung der Feuerzangenbowle“ veröffentlicht die Autorin ihre erste Erzählung.
Die Überquerung der Feuerzangenbowle
Hildegard Becker
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2013 Hildegard Becker
ISBN: 978-3-8442-6134-9
In einem alten Jack Nicholsen Film, dessen Titel mir entfallen ist, wird zum Ende hin eine junge Frau von einem Gangster verfolgt. Scheinbar kommt sie, sehr zu seiner Freude, an einem steilen Abhang nicht mehr weiter. Aber dann passiert es: sie überbrückt den Abgrund mit einem wunderbaren Spagatsprung und landet elegant auf dem gegenüberliegenden Felsen. Während sie den rechten Arm hebt, um stolz den Mittelfingergestus zu präsentieren, ruft sie dem völlig verblüfften Verfolger zu: „9 Jahre Ballett, du Arschloch!“ Dieser Satz als Ausdruck höchster Genugtuung ist seitdem bei mir zum Bonmot avanciert, erfährt aber durch, „25 Jahre Ballett, du Arschloch“, noch eine kleine Steigerung. Ob ich den Sprung allerdings so hinbekommen würde sei dahingestellt, aber für mich zählt der Symbolcharakter des Satzes. Angewandt schon bei kleinen Erfolgen, die mir nicht zugetraut werden, oder Recht behalten in irgendeiner Angelegenheit, ist dabei unbedingt erforderlich, dass der andere kein Sympathieträger ist und dass ich es ihm „gezeigt“ habe. Unter diesen Voraussetzungen hebt diese, allerdings aus Gründen der Contenance, öfter gedachte als ausgesprochene Devise, meine Stimmung und stärkt das Selbstbewusstsein.
Überhaupt vergleiche ich das Leben oft mit Filmszenen, die mir zu bestimmten Gelegenheiten durch den Kopf schießen. Selbst für meinen Hochzeitswalzer vor zig Jahren griff ich auf Musik aus einem Hitchcock Film zurück. Deshalb ist es nicht eigentlich verwunderlich, dass mich die Theater- und Filmwelt in ihren Bann zieht. Aber auch das richtige Leben, unser „Real Life“, schreibt oft genug so gute Geschichten, dass sie unglaublicher erscheinen als manche Leinwandstory. Abenteuer muss sich nicht unbedingt wie bei Indiana Jones anfühlen, mit Lagerfeuerromantik assoziiert werden, oder mit dem berühmten Wurf in ein Haifischbecken. Abenteuer kann auch bei uns zu Hause während der täglichen Prozesse und Rituale stattfinden, man muss sie nur sehen. Abenteuer liegen oft zum Greifen nah. Sie können hart, bitter, aufregend, lustig und manchmal einfach nur lästig sein. Wir können uns in ein Abenteuer mit lässigem Schwung hineinfallenlassen, ahnungslos hineintappen, aber auch nicht selten gemein hineingestoßen werden. Befinden wir uns mitten in unserem persönlichen Abenteuerstrudel, kämpfen wir uns heraus, um nicht unterzugehen. Oder wir lassen uns treiben, genießen, sind dabei jedoch mit einem Auge schon auf der Suche nach dem nächsten Erlebnis.
Meine Geschichte beginnt in einem Alter, in dem die Meisten schon viele Abenteuer bestanden haben. Selbstverständlich habe auch ich ein Vorleben, aber es ist für die folgenden Ereignisse eher nebensächlich. Vielleicht werde ich einmal an anderer Stelle einige Episoden preisgeben. Dennoch möchte ich mich nun kurz vorstellen: Ich gehöre der Generation an, die noch auf der Straße spielen konnte. Es gab zwar schon Spielplätze, dort benutzte ich aber ausschließlich das Kotzkarussell, den Fliegenpilz (außen mit den großen Jungs) und die Lauftrommel (mit Bein hochziehen). Zu Hause bei uns gegenüber, wo sich seit endloser Zeit ein Wohnblock erhebt, stand der Hof von Bauer Scholzen, der immer nach dem Schlachten einen Wurstteller in der Nachbarschaft herumreichte. Eine Prämisse meines Vaters lautete: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“ Er war Kicker in einer bekannten rheinischen Fußballmannschaft und impfte mir schon früh eine sportliche Weltanschauung ein. Gedrillt durch väterliches Training, wollte ich zeitweise ein Junge sein, was durch Vaters Typberatung, „ein sportliches Mädchen trägt die Haare kurz“, optisch unterstützt wurde. Manchmal spornte mich bereits der süßlich-penetrante Gummigeruch verschwitzter Knieschoner, mit denen ich aufwuchs, zu sportiven Glanzleistungen an. Etwas später entdeckte ich meine Liebe zum Ballett und wollte lieber tanzen als Fußballspielen. „Kommt gar nicht in Frage“, so der Kommentar, „da laufen doch nur Affen rum!“ Damit war zunächst das Thema erledigt. Erst viel später setzte ich mich durch- und blieb beim Tanz. Auch heute noch fühle ich mich dem kleinen Billy Elliot verbunden, der gegen den Willen seines Vaters den Boxring mit dem Ballettsaal tauscht. Und auch bei mir war der Vater, allerdings erst sehr viel später, stolz auf das, was sein Kind zu bieten hatte. Oft schon habe ich mich gefragt, warum viele Menschen sich immer auf gewisse Erfolge ihrer Kinder stützen müssen, ganz so, als ob diese Leistungskrücke zwingend notwendig sei, um daran das eigene Selbstwertgefühl aufzurichten. Warum reicht es nach einer gewissen Zeit einfach nicht mehr aus, Tochter oder Sohn derselben Eltern zu sein, die damals bei unserer Geburt in einen Freudentaumel gerieten, unsagbar stolz auf uns, ohne dass wir dafür etwas anderes geleistet haben, außer endlich da zu sein?
Wenn man uns Frauen schon in die amerikanische, östliche, exotische, oder französische Typschublade steckt, würde ich mich der letzten Kategorie zuordnen. In diesem Zusammenhang betone ich immer wieder gerne meine (entfernte) französische Verwandtschaft. Von Großtante Christine dieses Zweiges stammt das Zitat: „Obwohl wir arm waren, hatten wir immer einen guten Geschmack.“ Und, ein Filmgeständnis Dany DeVitos: „Ich liebe Geld“, habe ich für mich in: „Ich liebe Schmuck“, abgewandelt. Keine teuren Klunker, die könnte ich mir sowieso nicht leisten, aber hie und da ein kleines Schmuckstück und- auf jeden Fall Ohrringe! Ohne sie läuft nichts- Ohrringe müssen immer sein, sonst fühle ich mich nackt. Und nackt gehe ich nicht auf die Straße. Und, ich liebe Friseur. „Wenn die Haare nichts sind, nutzt das schönste Kleid nichts“, pflegt meine Mutter zu sagen, von der ich die Leidenschaft für Friseurbesuche unmittelbar mit der Muttermilch übernommen habe. Sie ist Schneiderin und muss es ja wissen. Böse Zungen in meinem Freundeskreis behaupteten schon vor Jahren, dass ich aufgrund dieser Neigung das Vermögen meines Mannes verplempere. Da er keins hat, kann ich weiter den Friseuren die Tür einrennen. Trotz meines fortgeschrittenen Alters bin ich also eitel geblieben, beziehungsweise es wird täglich schlimmer. Ich merke es daran, dass die Zeiten im Bad und beim Anziehen immer länger werden, damit ich so natürlich lässig wirke, als sei ich soeben aufgewacht und hätte die Haare mit einer Jeans durchgewuselt, in die ich danach gesprungen bin. Die Banalität dieser Koketterie beschämt mich, aber bisherige Selbstbremsversuche sind völlig fehlgeschlagen.
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