Den letzten Kilometer hatten ja die beiden Obergefreiten aufgenommen. Sie warteten auf uns an der Ausgangsstelle. Wir traten zwanglos an und marschierten zur Nachrichtenkammer zurück. Gesungen wurde in dieser Nacht nicht mehr. Es war bereits ein Uhr vorbei, als wir vom Staffelführer entlassen wurden. Mit Grauen dachte ich an den nächsten Tag. Die Stiefel und die ganze Uniform waren verdreckt.
Am nächsten Morgen war Fußdienst. Wir mussten genauso früh antreten wie die anderen.
Im Anschluss an das Mittagessen besprachen wir in der Nachrichtenkammer die gestrige Übung. Im Großen und Ganzen waren unsere Unteroffiziere mit uns zufrieden, aber trotzdem bemängelten sie den Bau von Anfang bis Ende. Alles hatte ihnen zu lange gedauert. Unsere Hilflosigkeit bei der Überwindung von Hindernissen hatte sie sehr enttäuscht.
Ja, wenn die gesamte Nachrichtenstaffel beisammen ist, weiß immer einer, was zu tun ist, sagte der Staffelführer, aber nehmen wir mal an, die Leitung sollte von zwei Mann gebaut werden und er nannte zwei Mann. Hätte das auch geklappt?
Natürlich wird man im Ernstfall die Trupps so zusammenstellen, dass sie sich gegenseitig ergänzen. Aber weiß man, was alles kommt? Oft fallen die besten Leute aus. Er sah mich dabei ganz besonders an.
Jeder Mann muss jederzeit auch mit den schwierigsten Situationen fertig werden. Jeder Fernsprecher muss flink und wendig sein. Er ist meist auf sich allein gestellt. Sein Dienst erfordert viel Geschicklichkeit. Wir müssen das bereits Gelernte oft wiederholen. Solange, bis es auch dem letzten Mann in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Das war die Lehre, die wir aus der Nachtübung ziehen konnten. Lernen und üben und nochmals lernen und üben!
Mittlerweile war es Juni geworden, die schönste Zeit des Jahres. In den Gärten blühten die Rosen und der Flieder war bereits verblüht, jetzt blühte bereits der Jasmin. Die Bäume und Sträucher hatten ebenfalls ausgeblüht und es bildete sich bereits die Frucht. Auf den Feldern stand das Korn bereits einen Meter hoch. Auf den Wiesen und Weiden grasten die Kühe. Die Natur hatte ihr schönstes Kleid angelegt.
Der Wald war jetzt am schönsten. Die Blätter des Waldes bildeten ein Dach, unter dem es sich wunderbar wandern ließ. Wieder einmal war Sonntag und ich hatte mich gerade entschlossen, mich den Kameraden anzuschließen, die im Begriff waren, in den Wald zu gehen.
Wartet noch ein wenig, ich hole schnell meinen Fotoapparat, denn wir wollen doch einige Aufnahmen machen. Sie warteten, denn auch sie wollten ein Andenken an diese Zeit. Mit blankgeputzten Stiefeln marschierten wir dem Walde zu.
Was haben wir heute nur für ein schönes Wetter, sagte Hannes, der ein richtiger Naturfreund war. Ja, Hannes, sagte ich, viel zu schade, um hier herumzuliegen und Soldat zu spielen. Was meinst du, warum wir eigentlich hier sind? Ich weiß es nicht, Hannes, darüber nachzudenken wäre nur Zeitverschwendung, sagte ich. Hast du die Truppenbewegungen auch gesehen, hier sind doch allerhand Fahrzeuge durchgekommen, fragte er mich. Meinst du die mit den beiden gelben Kreuzen? Ja, sagte er, die meine ich. Das ist die 6. Panzerdivision, zu der gehören wir auch.
Einen Sinn muss die ganze Sache doch haben, sonst wären wir nicht hier und dann würde nicht alles so organisiert werden. Ich meine, es liegt doch eine ganze Division hier, bemerkte ich. Das alles ist doch Tarnung, sagte Heinz, der Bäcker aus Höxter. Wir sollen hier in Ruhe ausgebildet werden, in Frankreich ist zu oft Fliegeralarm und dann ist die Spionage zu groß. Wir sind für England vorgesehen, und dass wir hier sind, hat auch einen Grund. Der Tommy soll getäuscht werden. Uns ging allen ein Licht auf. Also nach England sollen wir fahren, nach England? An England glaube ich nicht, eher an Russland, sagte Fritz. So leid es mir tut. An Russland glaub ich wieder nicht, erwiderte Heinz. Ob wir es glauben oder nicht, ist im Augenblick egal. Jedenfalls nichts Genaues wissen wir nicht!
Die 6. Panzerdivision wird hier neu aufgestellt. Wenn alles beisammen ist, rücken wir ab.
Wohin werden wir wohl abrücken? fragte Kurt, der bisher geschwiegen hatte.
Das kann doch nicht Russland sein, denn mit Russland haben wir doch einen Vertrag, griff ich wieder in die Debatte ein. Dann werden wir wohl zum Balkan fahren, denn da ist noch längst nicht alles in Ordnung, sagte Hannes, der wollte es genau wissen.
Von Westpreußen nach Jugoslawien, das ist ein ganz schön weiter Weg, wandte ich ein. Spielt doch heute keine Rolle, meinte Hannes. Ob er wohl selbst davon überzeugt war? Wir machten uns alle unsere Gedanken, waren aber alle verschiedener Meinung.
Schon ein paar Tage später, am 17. Juni, musste sich die Batterie auf der Dorfstraße aufstellen und zum Abmarsch fertig machen.
Nun fuhren wir vier Nächte ununterbrochen in Richtung Osten und tagsüber wurde ausgeruht. Am Morgen des vierten Tages waren wir im äußersten Osten von Ostpreußen angelangt. Am Abend dieses vierten Tages ließ der Batteriechef antreten und enthüllte endlich das große Geheimnis.
Ihr werdet es kaum glauben, denn bis vor kurzem habe ich es selbst noch nicht geglaubt. Aber jetzt weiß ich es: Es gibt Krieg mit Russland. Das Unglaubliche ist eingetreten und zu diesem Zweck sind wir hier!
Wir starrten uns gegenseitig an und dann sahen wir den Oberleutnant an. Wir konnten und wollten es einfach nicht glauben. Aber die Worte waren gefallen, bzw. sie waren uns verkündet worden. Jetzt mussten wir daran glauben. Das war der Sinn und der Zweck unserer Ausbildung und deshalb waren wir hier, sind vier Nächte gefahren, haben uns die Köpfe zerbrochen und Rätsel geraten und haben gestritten. Und haben die ganze Zeit nicht gewusst, was diese Fahrt bedeutet. Eine ganze Division ist getäuscht worden.
Ja hat es denn der Führer nur allein gewusst? Sonst wäre es doch durchgesickert. So dachten nicht nur wir, so dachten all die vielen, die jetzt am Vorabend ihre Ausgangsstellungen bezogen hatten.
Es ist natürlich nicht so ein Krieg, wie ihr ihn euch vorstellt, fuhr der Oberleutnant fort. Es wird genau so ein Blitzkrieg werden, wie wir ihn von Polen und Frankreich her kennen.
Es gibt in Russland zwei Parteien. Die Partei Molotows, die sich sofort auf unsere Seite stellen wird. Die behandelt wie eure Freunde und die Partei Stalins, das sind eure Feinde. Mit denen seid vorsichtig.
Außerdem wird in Russland sofort eine Revolution ausbrechen, wenn sie sehen, dass wir kommen. Also seid vorsichtig beim Betreten dieses Landes. Wir kommen nicht als Feinde des russischen Volkes, sondern als ihre Befreier.
Die Geschütze fahren um 12 Uhr in ihre erste Feuerstellung. Die Fernsprecher legen ihre Leitungen dazu. Um drei Uhr beginnt der Großangriff auf der ganzen Linie.
Es war der 22. Juni 1941 früh drei Uhr. Pünktlich um die festgesetzte Zeit setzte das Trommelfeuer ein. Geschütze aller Kaliber schossen ihre todbringenden Ladungen über die Grenze in die Sowjetunion.
Als ich die vorstehenden Passagen das erste Mal las, konnte ich diese Naivität nicht nachvollziehen. Waren die Dialoge bewusst falsch dargestellt, um sich als ahnungslos und damit schuldlos darzustellen, oder konnte man sich wirklich keinen Krieg gegen Russland vorstellen?
Konnte es denn der Wahrheit entsprechen, dass die ganze Batterie erst am Vorabend des Angriffs auf Russland über den Angriffsplan informiert worden war?
Heute wissen wir natürlich mehr und es erscheint uns alles sehr unwahrscheinlich. Aber selbst Stalin ist von dem Angriff überrascht worden.
Tatsache ist, dass Hitler schon am 14. August, als er seine neu ernannten Feldmarschälle in der Reichskanzlei empfing, von der aufkommenden Notwendigkeit eines Krieges gegen die Sowjetunion sprach.
Am 6. September genehmigte Hitler die Verlegung von Bocks Heeresgruppe B aus dem Westen in den Osten, wo nun 35 Divisionen, darunter sechs Panzerdivisionen, bereitstanden. Zwar erklärte er Anfang November gegenüber Bock, dem Oberbefehlshaber seiner in Polen stehenden Heeresgruppe, was im Osten geschehe sei noch nicht endgültig entschieden, aber es blieb bei der Verlegung von West nach Ost.
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