Wie ist das möglich? wollte der Chef wissen. Der Wagen ist ausgebrannt, der Fahrer sitzt noch am Steuer. Der Batteriechef wurde immer nervöser. Erzählen Sie doch weiter. Der Herr Leutnant und die beiden Funker haben das Fahrzeug noch verlassen können, sind aber nicht weit gekommen. Sie sind von Kugeln getroffen worden. Fahren Sie mich sofort dorthin! befahl der Chef. Ein leichter LKW wurde fertiggemacht und ein Kommando fuhr mit dem Chef dorthin, um die ersten Gefallenen zur Batterie zurückzuholen.
Das war ein gewaltiger Schlag. Fünf Tote und einen Schwerverwundeten an einem Tage und das so kurz nach dem Beginn des Feldzuges. Dazu noch die Panzer in der Feuerstellung. Was hatte das zu bedeuten? Sicher war das kein gutes Omen.
Zu den Gefallenen konnte man sagen: Besser, wer am ersten Tage fällt, als am letzten. Denen ist vieles erspart geblieben.
4. Vormarsch in Richtung Leningrad
Als der Oberleutnant und der Wagen mit den Gefallenen zurückkamen, befahl er sofort Stellungswechsel. Wir lagen nun an der Rollbahn, auf der ununterbrochen die Fahrzeuge nach Osten rollten.
Es begann nun der Vormarsch, denn der Russe begann seinen Rückzug. Wir fuhren die ganze Nacht hindurch. Erst früh um vier bezogen wir eine neue Feuerstellung. Der Vormarsch ging ununterbrochen durch Litauen hindurch. Mit ihnen standen wir ja nicht im Kriegszustand. Nach zwei Tagen bezogen wir am Abend an der Düna erneut eine Feuerstellung. Hier tauchten das erste Mal Flugzeuge des Gegners auf, die versuchten, unsere Stellungen zu bombardieren. Als sich unsere Jäger aber dazwischen stürzten, wurden wir Augenzeugen der ersten Abschüsse. Der Übergang über die Düna jedoch blieb unbeschädigt, so dass wir ohne Schwierigkeiten übersetzen konnten.
Erst am 1. Juli bezogen wir eine Feuerstellung. Mein Kollege Fritz Tofanke und ich waren gemeinsam auf der B-Stelle. Wir wurden damals in Litschen ganz zufällig Fernsprecher. Leutnant Schmidt war unser VB. Er suchte das Gelände mit dem Scherenfernrohr nach irgendwelchen Bewegungen oder lohnenden Zielen ab. Er errechnete Kommandos auf verschiedene Punkte, die wir Fernsprecher aufschrieben, Die meiste Zeit war jedoch Ruhe.
Hättest du gedacht, dass wir nach Russland ziehen? fragte ich ihn. Wenn wir uns nur nicht totlaufen, sagte er nachdenklich. Du siehst doch, es geht ganz gut vorwärts, versuchte ich ihn zu beruhigen. Ja, schon, aber denk nur nicht, dass es immer so weiter geht. Einmal ist dann Schluss damit. Der Russe muss sich doch erst fangen. Für ihn kam dieser Überfall doch völlig überraschend. Er war doch unvorbereitet.
Ehe er sich besinnt, ist er von uns überrumpelt. Wir dürfen ihm keine Zeit zur Besinnung lassen, sagte ich voller Überzeugung. Du bist sehr optimistisch, sagte Fritz. Der Russe hat große Verbündete. Und die wären? Die langen Wege, seine Armut und im Winter die große Kälte.
Im Verlaufe dieser Unterhaltung schaltete sich Leutnant Schmidt ein. Er sagte: Die heutige Kriegsführung geht davon aus, dass Russland noch vor Antritt des Winters zur Kapitulation gezwungen wird. Es liegen noch einige Monate vor uns, in denen wir versuchen werden, eine Entscheidung herbeizuführen.
Sollte es uns nicht gelingen, bis zum Eintritt des Winters unser Ziel zu erreichen, wird das OKW sicherlich umdisponieren. Der Oberleutnant Schmidt war ebenfalls zuversichtlich.
In Wirklichkeit sah das Unternehmen „Barbarossa“ vor in drei Truppenkörpern – den Heeresgruppen Nord (Leeb), Mitte (Bock) und Süd (Rundstedt) – auf jeweils einer der historischen Vormarschstraßen ins europäische Russland, in Richtung Leningrad, Moskau und Kiew zu ziehen.
„Nord“ folgte der Ostseeküste durch ein Gebiet, das vor mehr als 500 Jahren vom Deutschen Orden und hanseatischen Kaufleuten germanisiert worden war.
Die zweite Route, der Napoleon 1812 gefolgt war, verlief durch die alten, vor langer Zeit einmal polnisch-litauischen Städte Minsk und Smolensk.
Die dritte Einfallstraße wurde vom Kamm der Karpaten im Süden begrenzt und von der mittleren und nördlichen Route durch die riesigen Pripjetsümpfe geschieden. Diese Südroute führte nach Kiew, ins Schwarzerdegebiet der Ukraine, Russlands Kornkammer, weiter zu den großen Industrie- und Bergbauregionen an Donez und Wolga und zu den Ölfeldern des Kaukasus.
Auf diesen Routen sollten die Heeresgruppen nun entschlossen vorstoßen. Es war vorgesehen, dass die Panzereinheiten, unterstützt durch die Artillerie und aus der Luft, die russischen Fronten durchstoßen, so dass sie die russischen Heeresgruppen von hinten in die Zange nehmen konnten. Für die nachrückenden Infanterieeinheiten wäre es dann ein Leichtes, die eingeschlossenen russischen Verbände zu zerschlagen.
Mit Bedacht hatte man für den Angriff den trockenen Hochsommer gewählt. So waren die deutschen Verbände nicht auf ein Straßennetz angewiesen, um mit einer Vorwärtsbewegung in den Rücken des Feindes zu gelangen. Man wusste, dass die Russen die Masse ihres stehenden Heeres in das enge Grenzgebiet hinter dem schmalen und noch unvollständigen Befestigungsgürtel, der sogenannten Stalin-Linie, gepresst hatten.
Am 14. Juni standen in den östlichen und nördlichen Landesteilen Deutschlands 180 deutsche Divisionen mit annähernd 4 Millionen Mann, 3350 Panzer und 7200 Geschütze sowie 2000 Kampfflugzeuge zum Angriff bereit. Zu ihrer Unterstützung waren 14 rumänische Divisionen aufgeboten, zu denen wenig später die Armeen der Finnen, Ungarn und Slowaken hinzukamen, ergänzt um eine spanische und etliche italienische Divisionen.
Früh um sechs ging es weiter. Am 4. Juli stieß unsere Infanterie über die russisch- lettische Grenze vor. Hier befand sich die erste Auffangstellung der Russen. Sie war durch eine Bunkerlinie befestigt. Wir verspürten den ersten Widerstand.
Wir bezogen hintereinander viermal Feuerstellung, wichen zurück oder wichen nach rechts oder links aus. Dann erst ging es wieder vorwärts und wir verlebten wieder ruhige Tage.
Auf einer Wiese, die an einen Wald grenzte, bezogen wir Bereitschaftsstellung. Wir bauten Zelte auf und reinigten unsere Sachen.
Abends ließ der Spieß die ganze Batterie antreten. Den beiden Geschützführern und ihren Richtkanonieren, die in den ersten Tagen dieses Feldzuges die sowjetischen Panzer in unserer Feuerstellung abgeschossen bzw. kampfunfähig geschossen hatten, wurde für ihre mutige Tat das EK 2 verliehen. Wir freuten uns mit ihnen.
Lange dauerte diese Ruhe aber nicht, denn es ging schon am nächsten Tag weiter. Wir zogen durch Ostrow und bezogen gleich hinter der Stadt Feuerstellung. Ich war wieder mit meinem Kameraden Fritz Tofanke auf der B-Stelle. Wir bauten die Leitung und blieben auch gleich da. Hier kam unsere Batterie endlich zum Schuss. Nun hieß es, das Gelernte in der langen Zeit unserer Ausbildung, in die Tat umzusetzen.
Ich bekam zunächst von Herrn Leutnant das Kommando: Vierte Ladung Aufschlag, zwotes allein. Von Grundrichtung zehn mehr, feuern!
Nachdem das zwote Geschütz feuerbereit gemeldet hatte, rief der Leutnant: Feuern!
Abgefeuert! rief der Fernsprecher in der Feuerstellung.
Jetzt dauerte es nicht lange und wir hörten die Granate über unsere Köpfe zischen.
Leutnant Schmidt beobachtete den Schuss durch das Scherenfernrohr. Jetzt kamen die Korrekturen sowohl in der Entfernung, als auch in der Seite. Erst als der Schuss richtig im Ziel lag, schoss der Leutnant mit der ganzen Batterie. Er glaubte, eine Wirkung seiner Einschläge zu erkennen.
Des Nachts trat Ruhe ein, die auch den ganzen nächsten Vormittag anhielt. Wie nicht anders zu erwarten, kam am Nachmittag der Befehl zum Stellungswechsel.
So rückten wir durch Lettland, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Nach der Durchbrechung der Bunkerlinie an der russisch-lettischen Grenze, sind wir weiter auf lettischem Gebiet vorgerückt. Oft fuhren wir den ganzen Tag und manchmal die ganze Nacht. Oft lagen wir in der Stellung, ohne einen Schuss abgegeben zu haben.
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