Wir hatten uns alle zur Ruhe begeben. Nur ein Fernsprecher wachte am Apparat.
Als es kaum richtig hell geworden war, wurden wir durch einen ohrenbetäubenden Knall aus dem Schlaf gerissen. Jeder von uns griff zu den Waffen und eilte ins Freie. Da hatten wir die Bescherung! Auf der Straße war eine riesige Staubwolke, sicherlich durch eine Explosion entstanden.
Es knallte ja immer noch. Was ist denn passiert? Hundert Meter von unserem Haus entfernt, war mitten auf der Straße ein sowjetischer Panzer explodiert. Trotz erhöhter Wachsamkeit der Infanteristen, trotz Lauscher und Späher, war es einem sowjetischen Panzer doch gelungen, in die Ortschaft vorzudringen. Plötzlich war er da. Die Pak schoss sofort und machte ihn bewegungsunfähig. Aber hier noch konnte er für uns gefährlich werden.
Da schlich sich ein beherzter Mann von der Infanterie von hinten an den Panzer heran. Er hatte eine geballte Ladung in der Hand. Er sprang auf den Panzer, drückte die Luke auf und schob die geballte Ladung hinein.
Blitzschnell sprang er herunter und brachte sich in Sicherheit. Dann erklang der ohrenbetäubende Knall. Die Explosion zerriss den Panzer mitsamt der Besatzung in viele winzige Teile. Nun war es die mitgeführte Munition, die immer noch knallte. Vom Panzer war nicht viel zu sehen, lediglich die Stelle, wo er gestanden hatte. Verbrannt waren auch die Häuser und Gärten neben der Straße und von Splittern durchsiebt.
Staunend standen wir da und bestaunten das gewaltige Werk der Vernichtung. Nur einige größere Teile des Panzers lagen noch herum, sonst war von dem Riesenkoloss nichts mehr zu sehen.
Das war für die sowjetische Panzerbesatzung ein schneller Übergang vom Leben in den Tod. Warum nur wagte er sich denn so weit vor? Glaubte er, er könne durch seine mutige Tat den Krieg zu seinen Gunsten entscheiden? Oder was war der Anlass zu seinem spontanen Handeln?
Nur kein falsches Heldentum, so ging es mir jetzt durch den Sinn. Das führt zu nichts, außer zur Katastrophe.
Nach einer Woche war der Kessel an der Luga immer noch nicht bereinigt. Ja der Kampf erschwerte sich sogar. Der Russe hatte unsere Feuerstellung ausgemacht und hatte einige Treffer in unserer Feuerstellung gelandet. Nun hieß es umziehen. Das hatten ja die Kanoniere oft genug geübt. Die Fernsprecher mussten die Leitung vollkommen umbauen.
Während die Heeresgruppe Mitte im Kessel von Smolensk die sowjetische 16., 19. Und 20. Armee aufrieb, beschleunigte die Heeresgruppe Nord entlang der Ostseeküste ihren Vormarsch auf Leningrad. Anfänglich hatten Seen, Wälder und Flüsse das Vordringen von Leebs Panzerspitzen verzögert. Obgleich ihm nur drei Panzerdivisionen zur Verfügung standen und ihm keine so spektakulären Einkreisungen gelangen wie Bock, hatte die Heeresgruppe Nord am 30. Juni Litauen besetzt und sicherte Brückenköpfe jenseits der Düna, wo man den Verlauf der Stalin-Linie vermutete. Rasch überwand die Panzergruppe 4 den Fluss, erreichte Ostrow an Lettlands Vorkriegsgrenze mit Russland und stand 10 Tage später an der Luga, dem letzten größeren Wasserhindernis 100 km vor Leningrad.
Die Heeresgruppe Nord hatte ihre konzertierten Anstrengungen zur Einnahme Leningrads am 8. August mit einem energischen Angriff auf die Luga begonnen, an der sich die vordersten Verteidigungsstellen der Stadt befanden. Parallel dazu war eine deutsch-finnische Offensive über die Karelische Landenge geplant.
Aber Leebs Offensive wurde durch drei Faktoren erschwert.
Erstens, wurde Leningrad im Rücken vom Ladogasee, einer riesigen Wasserfläche, geschützt, wodurch jeder nördliche Umfassungsversuch unmöglich war.
Zweitens hatte das Leningrader Truppenkommando die Stadtbevölkerung mobilisiert, um konzentrische Verteidigungsringe um die Stadt zu legen. Dazu gehörten 1000 km Erdwälle, 650 km Panzergräben, 600 km Stacheldrahtverhau und 5000 Bunker- eine ungeheure Arbeitsleistung, zu der 300 000 Komsomolzen und 200 000 Zivilisten, Frauen wie Männer, herangezogen worden waren.
Als dritter erschwerender Faktor kam hinzu, dass das finnische Heer oberhalb des Ladogasees stehenblieb, da es nicht mehr Gebiet besetzen wollte, als ihm zustand. Daher war Hoepners Panzergruppe 4 bei dem Versuch, die Befestigungsanlagen zu durchbrechen und die Stadt einzunehmen, auf sich allein gestellt.
Wir errichteten eine Zwischenstelle in einem tiefen Bunker, der von den Russen bereits angelegt war. Er lag im Walde in einer tiefen Schlucht und hatte seinen Ausgang nach Osten, also nach der Feindseite. Dieser Wald wurde von der russischen Artillerie besonders scharf bewacht und unter Feuer genommen. Es klang unheimlich, wenn die Einschläge in unserer Nähe niedergingen. Wir waren drei Mann mit dem Staffelführer, und einer machte dem anderen Mut.
Als wir nach vier Tagen wieder in der Feuerstelle waren, begann die russische Artillerie wieder zu schießen. Die Einschläge waren verdächtig nah. Plötzlich bekam unser B-Wagen einen Volltreffer in den Führersitz. Er stand dicht an einem Gebäude. Wir erschraken und warfen uns spontan auf die Erde. Zum Glück saß kein Fernsprecher im Wagen und es wurde auch keiner verletzt.
Nun hatten wir nur noch einen B-Wagen, denn der getroffene wurde abgeschleppt. Den sahen wir nie wieder.
5. Stellungskrieg vor Leningrad
So langsam ging der Vormarsch in einen Stellungskrieg über. Die bespannten Einheiten trafen bereits ein und lösten uns ab. Wir waren froh darüber, denn hier an der Luga waren wir bereits 12 Tage und immer noch war die Lage nicht bereinigt.
Es war der 29. Juli, als wir abgelöst wurden. Wir bezogen weiter rückwärts eine Bereitschaftsstellung, in der wir bis zum 7. August blieben. Es war wunderschön! Wir lagen am Rande einer Ortschaft auf einer Wiese. Etwas Wald und Wasser war auch vorhanden.
Wenn wir nun aber dachten, wir könnten uns nach Herzenslust aalen, dann irrten wir uns gewaltig.
Es kam die Zeit der großen Appelle. Alle Sachen wurden in Ordnung gebracht, auch das Nachrichtengerät. Die Kanoniere arbeiteten an ihren Geschützen, die Kraftfahrer an ihren Fahrzeugen. Wir waren von früh bis spät auf Trapp. Trotzdem hatten wir noch genügend Zeit für alle möglichen Nebenarbeiten. Wir kochten, backten und brieten.
Sogar zum Erdbeerpflücken wurden alle verfügbaren Kräfte mobilisiert. Wir pflückten drei Munitionskästen voll und die Feldküche kochte eine schmackhafte Suppe daraus. Gebadet haben wir natürlich auch, aber nicht so oft und lange.
Des Nachts schliefen wir in Zelten, die wir ganz nach Vorschrift bauen mussten. Mehrere Posten gingen Tag und Nacht durch das Lager und sorgten für unsere Sicherheit.
Die Nachrichtenstaffel wurde nach dem Ausfall des einen B-Wagens neu eingeteilt. Mehrere Fernsprecher bekamen auf einem LKW einen Platz, sie blieben jedoch Fernsprecher.
Ich dagegen wurde Beifahrer auf einem Muni-LKW. Als Fernsprecher wurde ich abgelöst.
Zuerst stimmte mich diese Versetzung traurig, aber dann dachte ich, ist egal. Der Krieg ist noch lange nicht beendet. Verschlechtert hatte ich mich auf keinen Fall.
Am siebten August fuhren wir wieder in die alte Stellung zurück. Wir holten Munition aus einem Lager von weit zurück und brachten sie in die Feuerstellung. Wir luden immer dreißig Schuss mit dreißig Kartuschen. Insgesamt fuhren acht Wagen und holten Munition.
Als wir am zweiten Tage wieder dabei waren, Munition in der Feuerstellung abzuladen, schlugen einige russische Granaten in der Feuerstellung ein.
Wachtmeister Wohlert, bei dem wir immer unseren artilleristischen Unterricht hatten und der seit Beginn dieses Feldzuges Batterie Offizier war, bekam einen Splitter ab und musste in ein Lazarett. Der Richtkanonier wurde sogar tödlich verwundet.
Ab sofort war meine Tätigkeit als Beifahrer beendet. Ich wurde Kanonier. Immer nur ich, rief ich. Verdammt nochmal!
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