Die Batterie sollte wegen des starken Beschusses eine neue Stellung beziehen. Dafür war ich gerade gut genug. Es war Abend und es regnete. Wir machten die Geschütze marschbereit, verluden die Munition und die Zugmaschinen kamen. Sie zogen die Geschütze heraus. Aber das war wieder nicht so einfach, denn die Geschütze wurden zweilastig gefahren, da musste das Rohr vom Geschütz abgenommen werden und das wog immerhin mehr als eine Tonne.
Wir waren nass und von oben bis unten mit Lehm beschmiert. Unsere Decken waren ebenfalls nass und lagen irgendwo auf der Zugmaschine. Gern wären wir in den behelfsmäßigen Bunkern geblieben, aber der Batteriechef erkundete bereits eine neue Feuerstellung.
Wir standen auf der Straße und warteten auf den Abmarschbefehl. Plötzlich kam ein Kradmelder und brachte einen neuen Befehl. Oberleutnant Knoll ist beim Erkunden einer neuen Feuerstellung schwer verwundet worden. Er musste sofort in ein Lazarett gebracht werden. Wir bekamen einen neuen Batteriechef und rückten wieder in die alte Stellung ein. Die Geschütze wurden wieder an den alten Platz gestellt und wir legten uns auch wieder in die alten Bunker.
Das sagt sich so leicht hin, aber was damit für Arbeit verbunden ist, kann sich keiner vorstellen. Alles, was wir vorher gemacht hatten, musste jetzt wieder rückgängig gemacht werden. Es dauerte bei dem Mistwetter lange, bis wir wieder alles in Ordnung hatten.
Die ganze Erholung der letzten Tage war mit einem Schlage dahin.
Am nächsten Tag schien die Sonne. Die Muni-Kolonne fuhr unheimliche Mengen Munition in die Feuerstellung. Wir hoben Gräben aus, um sie zu lagern. Es kommt noch mehr, sagten die Fahrer, denn heute beginnt der Großangriff. Eine feindliche Bunkerlinie soll durchbrochen werden.
Gegen acht Uhr tauchten starke Fliegerverbände auf. Bomberstaffeln, die von Jägern begleitet wurden. Sie warfen ihre totbringenden Ladungen in die feindlichen Linien. Das Sirenengeheul der Stukas, das sie beim Herunterstürzen auslösten und das Detonieren der Bomben verursachten einen ohrenbetäubenden Lärm. Eine Serie folgte der anderen. Die Luft war erfüllt vom Motorengeräusch, sowie Detonieren der schweren Bomben. Die Erde erzitterte regelrecht.
Wir beobachteten den Vorgang, so gut wir konnten. Noch ehe die Bomberverbände abgeflogen waren, bekamen wir das erste Kommando.
Das zweite Geschütz schoss sich ein, es kamen noch einige Korrekturen und dann hieß es: Ganze Batterie! Wir schossen Trommelfeuer. Die Luft war jetzt erfüllt vom Knall der Abschüsse und von den Detonationen der Einschläge, die bis hierher zu hören waren.
Überall an der ganzen Front schoss die Artillerie auf die Bunkerlinie. Wir Ladekanoniere hatten die schwerste Arbeit, denn wir mussten die Munition heranholen und die Kartuschen fertig machen. Der Jupp, wie mein Kamerad mit Vornamen hieß, schob die Granate hinein und ich musste die fertig gemachte Kartusche hinterher schieben. Wenn meine Kartusche drin war, zog der K 3 sofort ab. Wir hatten den Eindruck, da kommt keine Maus mehr heraus.
Im Verlaufe dieses Bombardements wurde unser Feuer vorverlegt. Ein Zeichen, dass sich der Russe zurückzieht. Insgesamt schossen wir 300 Schuss.
Mit einem Schlage hörte das Artilleriefeuer auf. Nun mochte die Infanterie sich zum Angriff fertig machen. Sie war auch verstärkt worden. Außerdem standen Panzerverbände bereit, die auf ihren Einsatz warteten. Nun ging es wieder vorwärts. Wir warteten schon darauf. Gegen acht Uhr kam der Befehl zum Stellungswechsel.
Zunächst hatten wir alles aufgeräumt, die Kartuschen-Kästen auf einen Haufen gelegt und die Munitionskörbe ebenfalls. Die Muni- Kolonne musste ja das Leermaterial abholen. Wir waren noch nicht mit dem Abprotzen fertig, als die Zugmaschinen auch schon kamen.
Nun saß ich mit dem Jupp auf der Zugmaschine, als wir in die nächste Feuerstellung fuhren. Jetzt hatten wir ein wenig Zeit, um zu verschnaufen. Jetzt konnte ich mir auch die Männer von unserer Geschützbedienung ansehen und ein paar Worte mit ihnen wechseln. Sie wunderten sich immer wieder, dass ich als Fernsprecher jetzt an ihrem Geschütz war.
Wir fuhren nur 10 km und trotzdem dauerte es bis Mitternacht bis wir wieder feuerbereit waren. Wir schossen in dieser Nacht bis zum Morgen nur mäßig und wurden für den letzten Einsatz entschädigt.
Es ist erstaunlich, wie emotionslos das Durchbrechen der Bunkerlinie beschrieben wird. Das Bombardement wird eher als Luftschauspiel angesehen, denn als Kriegsmaßnahme. Offenbar trug die Tatsache, dass man keinerlei Feindberührung hatte und körperlich schwer am Geschütz arbeiten musste, dazu bei, ohne Emotionen nur an das Ende des Trommelfeuers zu denken und an ein Vorwärtsgehen.
Das Wetter war wieder schön geworden, so dass wir die meiste Zeit in der Sonne lagen, schreibt mein Vater kurz nach dem Großangriff auf die Frontlinie vor Leningrad.
Ich schrieb Briefe nach Hause, das taten auch einige andere Kameraden, oder wir brachten mal wieder unsere Sachen in Ordnung. Manche spielten Karten und andere rauchten gemütlich ihr Pfeifchen. Ja, das Leben als Kanonier hat auch seine Vorteile.
Plötzlich kam der Kradmelder in die Feuerstellung. Wo ist der Chef? rief er schon von Weitem. Herr Hauptmann! riefen wir, denn seit dem Ausscheiden unseres Chefs, war Hauptmann Hartmann, der bisher Chef der leichten Kolonne gewesen war, nun unser Chef geworden. Was ist los? fragte der Hauptmann.
Die Protzen Stellung ist überfallen worden, berichtete der Kradmelder. Er war ganz aufgeregt. Obergefreiter Holländer ist schwer verwundet. Wir horchten auf und einige tuschelten miteinander. Wie kam es denn dazu, wollte der Hauptmann wissen.
Aus ganz naher Entfernung wurden auf einmal Schüsse abgegeben aus MGs und Gewehren. Wir waren ganz überrascht und gingen zuerst sofort in Deckung. Später nahmen wir die Verteidigung auf und verfolgten die Angreifer. Das ist ja unglaublich! sagte der Hauptmann.
Der Hauptwachtmeister hat sofort alle notwendigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen, berichtete der Melder weiter.
War es eine starke Gruppe? wollte der Hauptmann noch wissen. Das konnten wir nicht feststellen. Wir sahen nur durch die Büsche die Stahlhelme und die Uniformen schimmern. Besteht bei dem Kameraden Lebensgefahr? Das ist möglich. Bauchschuss! sagte der Melder dazu.
Der Herr Hauptmann machte ein sorgenvolles Gesicht. Er übergab das Kommando dem Wachtmeister Hellwig und ließ sich sofort in die Protzen Stellung fahren.
Die Unsicherheit machte sich auch in der Feuerstellung bemerkbar. Überall sprach man von versprengten Russen, die seit dem Durchbruch ihrer Befestigung den Anschluss an ihre Truppe verloren hatten. Sie operierten auf eigene Faust, drangen in unsere Stellungen ein, oder überfielen des Nachts unsere Kameraden. Überall wurden unsere Wachen verstärkt und die Posten scharf kontrolliert. In der Feuerstellung gingen nur noch Doppelposten.
Der Herr Hauptmann kam erst spät aus der Protzen Stellung zurück und gab hier sofort seine Anweisungen. Am nächsten Vormittag war sofort Stellungswechsel. Es ging wieder weiter und wir waren froh darüber.
Kaum waren wir angefahren, setzte eine starke feindliche Fliegertätigkeit ein. Sie flogen über uns hinweg, noch bevor wir unsere Geschütze getarnt hatten.
Es entstand nun ein wenig Verwirrung unter den Kanonieren und einige sagten: Nanu, das hätte ich den Russen gar nicht zugetraut. Nur ein wenig dichter heran müsst ihr noch kommen, aber das lernt ihr noch, oder wir holen euch mit unseren MGs herunter. Man veräppelte die russischen Flugzeuge, man nahm sie einfach nicht ernst.
Es dauerte nicht lange, da kam auch schon der Melder zurück und meldete: Bombenabwürfe in der Protzen-Stellung! Zwei Mann sind bereits verwundet.
Also auf die Protzen-Stellung haben sie es abgesehen. Soll der Spieß doch besser tarnen, dann kann doch gar nichts passieren, sagte Wachtmeister Hellwig, und der müsste es eigentlich wissen.
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