Es war ein richtig faules Leben. So halten wir es schon aus, sagte ich und so hörte man es auch von den anderen Kameraden.
Wir bekamen gute Verpflegung und Strapazen hatten wir so gut wie keine, denn wir waren ja vollmotorisiert. Oft trafen wir auf unserem Vormarsch freundliche Leute, die uns Milch oder Butter gaben. Wir bedankten uns freundlich dafür und lachten. Wir benahmen uns überall soldatisch, besonders wenn wir sie manchmal um eine Gefälligkeit baten. Denn wir kamen ja nicht als ihre Feinde, sondern als ihre Befreier. Deshalb war uns an einem guten Verhältnis zur Zivilbevölkerung viel gelegen.
Das ging solange, bis es auf einmal nicht mehr ging. Wir erhielten den Befehl, sofort in Stellung zu gehen. Gerüchte tauchten auf, eine Bunkerlinie sei zu durchbrechen und starker Widerstand sei zu erwarten.
Die Fahrzeuge wurden rechts und links der Straße untergestellt und die Geschütze gingen am Waldrand in Stellung. Eine B-Stelle wurde eingerichtet und eine Sprechstelle in der Feuerstellung. Wir legten nur 2 km Kabel aus. Sofort begann die Batterie zu schießen. Meist schoss sie mit der vierten Ladung, das bedeutet, das Ziel liegt zwischen vier oder fünf Kilometer.
Nun kam das Kommando: Jedes Geschütz 60 Schuss bereit legen. Die Kanoniere arbeiteten fieberhaft. Sie schleppten Munition und machten die Kartuschen fertig. Diese mussten ja alle auf die vierte Ladung umgestellt werden.
Ein Geschützführer meldete schon nach kurzer Zeit: Feuerbereit! Es folgte das Kommando: Batterie feuern! Ein Donnern und Dröhnen setzte ein, das die Erde erzittern ließ.
Die Geschütze wetteiferten miteinander. Jedes schoss so schnell es ging. Die Kanoniere hielten sich die Ohren zu und machten den Mund auf. Wir Fernsprecher taten dasselbe, denn da spürte man den Druck in den Ohren nicht so, da schonte man das Trommelfell.
So wie die Batterie mit dem Trommelfeuer aufhörte, erschienen Bombenflugzeuge und Stukas am Himmel. Die Kanoniere und auch wir richteten unser Augenmerk auf das Ereignis am Himmel. Gewaltig war das Dröhnen der Bombeneinschläge und das Geheul der Stukas. Dieses Bombardement war sicher noch gewaltiger als der Beschuss durch unsere Artillerie.
Das Feuer wurde von drüben sogar erwidert. Wie war das möglich? Hatte unser Bombardement keine Wirkung gehabt oder ging die Wirkung daneben? Zunächst lagen ihre Einschläge in unmittelbarer Nähe der Feuerstellung. Das waren wir nicht gewöhnt und wir bauten sofort Deckungslöcher. Die ganze Nacht behielten wir den Stahlhelm auf dem Kopf und beim Hinlegen legten wir den Kopf in den Stahlhelm.
Interessant für uns waren die Luftkämpfe, die wir am klaren Himmel beobachten konnten. Immer wieder brachten unsere Jäger die sowjetischen Flugzeuge zum Absturz, die dann meist brennend abstürzten.
Als es gegen Abend ruhiger wurde, hieß es Stellungswechsel. Alles wurde so schnell wie möglich abgebaut und verladen. Die Geschütze wurden auch abmarschbereit gemacht. Zugmaschinen fuhren ein und bald darauf kamen die Fernsprecher mit dem Kabel. Der B-Wagen kam und wurde auch verladen. Der Tross stand auch schon marschbereit auf der Straße. Nun zogen die Fahrer der Zugmaschinen die Geschütze heraus, dann folgten B-Wagen und die Muni-LKWs.
Es ging in eine neue Feuerstellung. Um uns herum brach die Nacht herein. Alles dachte an Schlaf, aber damit wurde es heute nichts. Wir bezogen nach einer kurzen Fahrt eine neue Feuerstellung. Alles wurde eingerichtet. Die Geschütze mussten ordnungsgemäß stehen, sie wurden ausgerichtet, die B-Stelle musste ausgesucht werden und eine Leitung gelegt werden. Ein Melder brachte uns zur B-Stelle, die glücklicherweise nur drei Kilometer vor der Feuerstellung lag. Auf seinem Motorrad nahm er sogar unsere Decken mit.
Die Nacht verlief ruhig und am nächsten Tag schossen wir zur Unterstützung der Infanterie.
Unsere B-Stelle war in einem alleinstehenden Gehöft untergebracht, von wo man einen guten Einblick in eine weit ausgedehnte Moorlandschaft hatte. Die Bewohner waren sehr freundlich und gaben uns große Mengen von Butter und Milch.
Erst am Mittag ging es weiter. Wir fuhren nur zehn Kilometer und gingen sofort in eine neue Feuerstellung.
Am nächsten Tag hatte ich frei und hielt mich in der Protzen-Stellung auf, die an einem kleinen Bach lag. Diese Gelegenheit nutzten wir, mein Kamerad und ich, wir badeten nach Herzenslust, wuschen unsere Wäsche und brachten auch unsere Sachen in Ordnung. Es war auch einmal schön, in der Sonne zu liegen und nur an sich selbst zu denken.
Am Abend saßen wir gemütlich vor unseren Zelten und sangen Volks- und Heimatlieder. Ein Kamerad vom Tross begleitete uns dabei mit einer Gitarre. Fast alle Kameraden vom Tross saßen mit uns auf einem Haufen und wir sangen nacheinander ein Lied nach dem anderen.
Vom Krieg war im Augenblick nichts zu merken. Diese Ruhe dauerte auch noch den ganzen nächsten Tag. Wir liefen in Badehosen herum und fühlten uns wie im Urlaub. Nebenbei machten wir Bratkartoffeln und auch Puffer.
Diese Schilderungen zeigen nur zu deutlich, wie gern die Soldaten den Ernst der Lage vergessen wollten. Obwohl sie bereits die Bombardierung einzelner Frontabschnitte erlebt hatten, gab man sich gern der Illusion hin, dass der ganze Krieg ein siegreicher Vormarsch sein könnte, der mit dem schnellen Erreichen des Ziels vorbei sein würde. Es ist auch noch Sommer und man ist noch nicht in Russland, wo man einer feindlich gesonnenen Bevölkerung gegenüber stehen wird.
Am 12. Juli ging es dann weiter. Wir fuhren Richtung Leningrad. Tag und Nacht saßen wir jetzt wieder auf unseren Fahrzeugen, die abwechselnd fuhren und dann wieder stundenlang standen. Bei jedem Halt stiegen wir aus und streckten uns im Grase aus. Wir fuhren durch Wälder und Felder, durch kleinere Ortschaften und auch Städte, deren Namen man sich nicht immer merken konnte, zumal die Beschriftung oft nur russisch war.
Hielten wir einmal in einem Walde, dann suchte alles nach Blaubeeren oder Erdbeeren, die es hier in reichem Maße gab.
Am sechsten Tag dieser Fahrt hatte unser B-Wagen einen Federbruch. Der Fahrer scherte aus und besah sich den Schaden. Federbruch, sagte er zum Kradmelder, der bei uns hielt. Das kann lange dauern. Ich wechsle das Teil selbst aus. Wilhelm, unser Fahrer fing an zu bauen.
Auf der Straße rollte es unentwegt weiter. Vorbeirollende Panzer ließen die Straße erzittern. Alles fuhr Richtung Osten.
Als wir am nächsten Vormittag wieder fahrbereit waren, kam uns auf halbem Wege schon der Kradmelder entgegen. Die Batterie steht bereits in Stellung, sagte er. Die Fahrzeuge stehen 20 km von hier rechts im Walde. Wir fuhren zunächst zur Protze, denn der andere Wagen hatte ja die Leitung schon gebaut. Wir lagen hier an der Luga, auf deren jenseitigem Ufer der Russe starke Befestigungen angelegt hatte. Er beschoss uns mit Waffen aller Kaliber.
Unsere Infanterie hatte es schwer, denn der Russe war auf alles vorbereitet. Dieses war der äußere Ring um Leningrad. Sofort wurde auch der Fernsprechtrupp eingesetzt, denn die Leitung war zu oft gestört. Unsere B-Stelle war in einem kleinen Haus untergebracht, das in einem Garten stand. Das Haus lag am Rande einer größeren Ortschaft. Fünfhundert Meter vor der B-Stelle war ein Waldrand, auf den besonders geachtet werden musste. Der Wald war zwar schon in deutschem Besitz, aber man konnte nicht wissen. Unsere Infanterie hatte den Wald durchkämmt und lag dort in Stellung. Immer wieder ertönte Gewehr- und MG-Feuer im Ort. Überall patrollierten die Landser mit schussbereiter Waffe. Sie trugen den Stahlhelm auf dem Kopf und ihr Sturmgepäck auf dem Rücken. An ihrem Koppel hingen mehrere Handgranaten.
Leutnant Schmidt hatte sich mit dem Scherenfernrohr im Dachgeschoss eingerichtet, während die Fernsprecher im Parterre saßen. Sie hatten eine Stichleitung nach oben gelegt. Nachts krochen alle in den Keller des Hauses, wo sich die Fernsprecher ein richtiges Lager eingerichtet hatten.
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