Die Morgenbesprechung von Montag bis Freitag um halb acht bestand zum großen Teil in der Wiederholung ungelöster und unlösbarer Probleme bei der Beschaffung des Allernötigsten. In der Situation der Machtlosigkeit, der erbärmlichen Hospitalausstattung und der quälenden Unterbesetzung mit Ärzten lag das Wissen der totalen Abhängigkeit von der zentralen Administration. Die Administration wurde von Menschen geführt, die ihre Positionen unverantwortlich missbrauchten in der gefälligen Hörigkeit in Richtung Pretoria, der Zentrale der burischen Macht. Diese Schreibtischmenschen hielten mit wenigen Ausnahmen ihre Augen vor den dringendsten Notwendigkeiten für die Menschen im Norden verschlossen.
Es war an einem Mittwochmorgen in der ersten Januarwoche, als der zivile Superintendent Leon Witthuhn mich den Ärzten vorstellte. Die drei schwarzen Kollegen, zwei Damen und ein Herr, signalisierten mit einem Lächeln ihre Zustimmung. Dagegen verzogen die Ärzte in den Uniformen mit den zusammengefalteten Baretten unter den rechten Epauletten keine Miene. Ihre Gesichter bekamen die Züge der Nachdenklichkeit und Neugierde. Als der Superintendent sagte, dass ich als Spezialist der Chirurgie kam und die Verantwortung für die chirurgischen Säle übernehmen solle, wechselten die Züge auf den Gesichtern der jungen Militärärzte in Abneigung und Abwehr. Die Gesichter drückten aus, dass es ihrem weiß-afrikanischen Verständnis widersprach, sich einen Nichtafrikaner vorsetzen zu lassen. Sie sahen sich ihres Status beraubt, den sie der schwarzen Bevölkerung gegenüber zu halten glaubten in der Wahrung des burischen Selbstverständnisses im südlichen Afrika bis hinab zum Kap der guten Hoffnung.
Dem dunkelhaarigen Hutman lief das Gesicht rot an. Seine finsteren Blicken sprühten die Flammen des Hasses. Es war unverkennbar, dass er einen deutschen Kollegen neben und über sich nicht dulden und deshalb die Erklärung des Superintendenten nicht akzeptieren würde. Es schoss diesem Leutnantarzt aus dem Mund: “Haben Sie denn schon die Arbeitserlaubnis aus Pretoria? Werden Sie hier als Spezialist überhaupt anerkannt?” Diese und andere Fragen richtete er an mich und gegen den Superintendent, als die Wutröte der Zornesblässe wich. Die anderen Kollegen mussten es begriffen haben, dass hinter den Fragen die abgrundtiefe Feindschaft steckte. So schwiegen sie aus Gründen des Anstands. Einige Gesichter brachten sogar Züge des Mitleids zum Ausdruck.
Der Superintendent atmete hörbar und erwiderte, dass der Antrag auf Arbeitsbewilligung in Pretoria sei und er mit einer positiven Entscheidung innerhalb einer Woche rechne. Der junge Leutnant gab nicht auf. Schließlich platzte dem Superintendenten der Kragen: “Zähmen Sie ihre Zunge, schließlich sind Sie noch in der Ausbildung, während der deutsche Kollege als ausgewachsener Chirurg mit reichen Erfahrungen nach Oshakati gekommen ist.” Dr. Hutman schlug das rechte Bein über das linke und schwieg mit dem blassen Gesicht des kochenden Zornes. Seine dunklen Augen schworen mir die bittere Feindschaft.
Ich begriff, dass die Arbeit im Hospital schwierig werden würde, unterschätzte aber die Probleme mit der Intrige in der Annahme, dass die Not der Menschen, wo der Krieg derart eskalierte und die Zahl der Verletzten in erschreckendem Maße zunahm, Ärzte dringend gebraucht würden. Leon Witthuhn, der zivile Superintendent, saß mit seiner Entscheidung auf einem Stuhl, an dessen Beinen bereits gesägt wurde. Die Jungärzte in Uniform der südafrikanischen Steitmacht verschafften sich Gehör beim uniformierten Colonel und ärztlichen Direktor, als auch beim Regimentskommandeur, um ihre ablehnende Haltung gegenüber dem deutschen Arzt zu bekräftigen.
Es fanden Telefonate mit dem Superintendenten statt, die als ernste Warnung zu verstehen waren. Doch ließ sich Leon Witthuhn weder vom Direktor, noch vom Kommandeur oder vom Sekretär der >Administration for Ovambos< von seiner Entscheidung abbringen. Das Hospital sollte für die Bevölkerung offengehalten und die Arbeit durch einen Chirurgen effektiver werden. Die Gestaltung sollte freundlicher für die Patienten werden, was allerdings nur mit Zivilärzten zu schaffen war.
Dass Leon Witthuhn als Arzt auch ein Patriot war, weil er sich in der kritischen Zeit, wo das Leben und so vieles mehr auf dem Spiele stand, für die Menschen in Not eingesetzt und um den Erhalt des Hospitals und seine Verbesserung mit Argumenten der Menschlichkeit gekämpft hatte, ist ihm nie gedankt worden. Im Gegenteil: Seine Achtung vor und seine Hilfsbereitschaft für die leidenden Menschen hatten längst die schwarz-weiße Barriere der Apartheid überwunden. Das sollte ihm noch in der letzten Phase der weißen Ära binnen Jahresfrist die Stellung als Superintendent kosten.
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