Helmut Lauschke
Im Zwielicht der Gleichheit
Roman
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Inhaltsverzeichnis
Titel Helmut Lauschke Im Zwielicht der Gleichheit Roman Dieses ebook wurde erstellt bei
Roman Roman Die große Gefahr liegt darin, dass die Begriffe von Wahrheit und Sittlichkeit in den Spitzen der Macht gegenstandslos werden. Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit, ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben. Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831): Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Einleitung Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt, der Menschheit geschworen erhellt sich die Welt. In Anlehnung an Johann Wolfgang Goethe (1749-1832): Faust II/5. Akt: Tiefe Nacht: Lynceus der Türmer auf der Schlosswarte Das höchste Gut ist der Wille zur Vernunft, wenn vernünftiges Denken das Tun mit einschließt. Baruch de Spinoza (1632-1677) Woher die Wahrheit auch kommt, sie lässt sich auf Dauer nicht wegdrücken.
Ahnungslos auf abgelaufenen Sandalen
Die ersten Gespräche und Detonationen
Der Dorn im Auge und andere Trübungen
Vom Leben und Tod ohne Rosen und Küsse
Erschöpfte Helden und die Zeit der nagenden Ratten
Zwischen Reden und Schweigen, die Sohlengeschichte vom Wasser
Bei den nächtlichen Razzien hatten sie Schattengesichter
Vom Graus der Amputation und das >schwarze< Omen
Von politischen Geschichten und Geschickten
Am verwaisten Gestern vorbei
Was leere Kleiderhaken noch erzählen
Andere Gesichter im Zwielicht der Gleichheit
Nachtrag zur schwarz-weißen Rassenschranke
Impressum neobooks
Die große Gefahr liegt darin,
dass die Begriffe von Wahrheit und Sittlichkeit
in den Spitzen der Macht gegenstandslos werden.
Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit,
ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben.
Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831): Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Einleitung
Zum Sehen geboren,
zum Schauen bestellt,
der Menschheit geschworen
erhellt sich die Welt.
In Anlehnung an Johann Wolfgang Goethe (1749-1832): Faust II/5. Akt:
Tiefe Nacht: Lynceus der Türmer auf der Schlosswarte
Das höchste Gut ist der Wille zur Vernunft,
wenn vernünftiges Denken das Tun mit einschließt.
Baruch de Spinoza (1632-1677)
Woher die Wahrheit auch kommt,
sie lässt sich auf Dauer nicht wegdrücken.
Ahnungslos auf abgelaufenen Sandalen
Was ich hatte, trug ich, so das weiße Hemd mit den kurzen Ärmeln, die weiße Arzthose und die Birkenstocksandalen, oder es lag mit dem andern Plunder noch in zwei Koffern verpackt. Die Gegenwart schob einen Tag vor den andern. Sie tat es ohne Rücksicht auf die Nacht mit ihren Stunden, von denen nur wenige zum Schlafen waren und die überwiegende Zahl bei der Arbeit zugebracht wurden. Ob ausgeschlafen oder müde mit dem >Sand< in den Augen, jeder Tag ging wie ein junges Mädchen aus dem Morgen hervor und sank wie eine alte, gebrochene Frau in die Abenddämmerung zurück. Es war der Gang mit dem Kommen und Gehen, der sich mit dem Stufauf und Stufab die Tagesscheibe aus dem >Brot< der Zukunft schnitt. Dabei schob er sich immer tiefer in die vorausgedachte und dunkel vorgestellte, nach jedem Scheibenschnitt anders aussehende Zukunft hinein. Ihr Anblick entsprach nicht den Vorstellungen und Wünschen zur Erleichterung des Lebens und des Alltags. Ich hatte wenig und noch weniger, was zu gebrauchen war.
Denn da waren nicht nur die veralteten, defekten und unbrauchbaren Arbeitsgeräte und die Aufgaben in ihrer unübersehbaren Fülle schon beim ersten Anblick, sondern es gab auch die Erinnerungen, Gedanken und Gefühle an das Gestern und Vorgestern. Deshalb war Vorsicht geboten beim Abkoppeln von der Vergangenheit. Auch in der Annahme war Vorsicht geboten, dass es ohne Gegenwart keine Vergangenheit gibt, was so selbstverständlich gar nicht war. Es ist die Macht des Traumes, wenn dem verängstigten Gemüt qualvoll die Dinge mit der unverrückbaren Zerstörungsabsicht aufs Auge gedrückt werden oder hautnah auf den Fersen folgen. Oft geht alles nicht schnell genug. Und gerade dann purzeln die unaufgeräumten Dinge und alles, was sich einfach nicht wegräumen oder vergessen lässt, in das Durcheinander von heute. Der Tast- und Riechsinn sind irritiert, dass man nicht weiß, was man in den Händen hält und aus dem Wust hervorzieht, oder was sich schlierig oder sonst wie gewunden dahinter versteckt. Die Schattenbilder schwimmen und schaukeln hin und her. Sie verwischen die Aktionen des An- und Abkoppelns nach hinten mit dem Hineinschieben nach vorn, wenn sich hängende Dinge im Nebel dem aufwachenden und schließlich erwachten Tagesbewusstsein erneut entziehen.
Mit dem neuen Tag erwacht auch die Sprache neu, die sich mit neuen Varianten durch den Tag windet, springt, schlürft und quält und in nächtlicher Ermüdung dann erschlafft und einschläft. Die Sprache nimmt die Erlebnisse des Tages verpackt und die unerledigten Dinge ohne Verpackung mit in die Dämmerung und legt beides für die Nacht unters Bett. Oft rütteln Träume die abgelegten Dinge unterm Bett nach oben bis aufs Kopfkissen und zwischen die verknautschte, weggerutschte Bettdecke, um sich mit ihnen in anstrengenden Bildern auseinanderzusetzen oder anders, doch meist kämpfend zu beschäftigen. Riesenhöhen und Riesentiefen in Riesenentfernungen und Riesengestalten treten auf- und nebeneinander und gegenüber, die den Angstschweiß über den ganzen Körper drücken.
Kommende und hereinbrechende Sprachverschiebungen und Sprachstörungen sind nicht zu umgehen und nicht zu überhören, von denen eine frühe an der Schwelle von der Kindheit zur Jugend stattfindet. Die Verbindung von Ding und Wort, dass Dinge so sind und heißen, wie sie genannt werden, das erfährt an jener frühen Schwelle die erste >Korrektur<. Hier kommt es zum genauer beschreibenden und komplizierteren und längeren Nennwort oder zum Ersatz durch ein ganz anderes Wort, das für das Kind neu und unverständlich und oft unaussprechbar ist. Der Bezugskreis zwischen Ding und Wort, der für das Kind selbstverständlich, heil und geschlossen ist, bricht durch das Gesetz der revoltierenden Querstellung an der Jugenschwelle jäh auf, wo das Verquerte im erhöht bewussten Erleben großer Höhen und Weiten die Ursache zur tieferen Gründlichkeit mit der ballernden Dickköpfigkeit und dem klopfenden Kopfschmerz wird. Mit der wachsenden Genauigkeit im Trachten und Betrachten sowie im Zugriff nach den großen Dingen machen sich auch die Lücken und die unerklärlichen Verstrebungen im Bewusstsein bemerkbar, was zum Fass der immer neuen Fragen führt. Der Kopfschmerz wird umso heftiger, je stärker sich der Dickkopf zwischen die Schultern setzt. Das trifft auf die Licht- und Schattenbilder gleichermaßen zu, wenn dort Schatten ist, wo Licht sein sollte, und dort Licht ist, wo es nichts zu sehen gibt.
Wörter gibt es, die sind kurz und stark. Dazu gehören die Worte wie >gut<, >Brot< und >Liebe<. Letzteres schwingt lebendig hin und her zwischen Menschen, die sich lieben und um die Gegenseitigkeit der Liebe bemüht sind, weil in der Liebe einer auf den andern angewiesen ist. Wörter werden Arbeitswörter, wenn Menschen zusammen etwas tun, wo sie aufeinander angewiesen sind. Worte können ausgerufen werden, wenn sich der Schmerz Luft macht oder es sich um eine Notsituation handelt und Hilfe von anderen Menschen erforderlich ist, weil man sich selbst nicht mehr helfen kann. Diese Ausrufworte gab es in der Kindheit während der Bombennächte über Köln oder beim zu schweren Tragen von zwei Rucksäcken und zwei vollen Taschen als Elfjähriger auf der missglückten Flucht vor den anrollenden russischen T33 und T34 Panzern mit dem ohrenbetäubenden Rattern und Kettenquietschen über dem Steinpflaster der Durchgangsstraße im Dorf Kosten bei Aussig im ehemaligen Böhmen der Tschechoslowakei. Schreckensrufe gab es, als ich beim >Organisieren< von Kartoffeln, Rüben, anderen essbaren Produkten vom Feld oder mit dem halb gefüllten Sack Braunkohle auf dem Leiterwagen von russischen Soldaten angehalten wurde.
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