„Sie sollten Ihre Energie auch besser auf Ihre eigentliche Aufgabe als frischgebackene Polizistin beziehen.“
„Keine Frage, aber desto mehr ich mich damit befasst habe, desto mehr hat es mich fasziniert. Dabei steckt das Projekt noch in den Kinderschuhen.“ Klarer Fall Joana Lehmann war mit Sicherheit gut für die Polizei geeignet, sie schien ihre Aufgaben sehr gewissenhaft zu erledigen. Dennoch konnte sich Ruby von einem Gedanken schon die ganze Zeit über nicht lösen. Und darum nahm sie das jetzt auch in Angriff. „Joana, Sie haben doch bestimmt auch von dem Mord an Mia-Sophie gehört, oder?“ Mit einem Mal versiegte die Freundlichkeit aus Joanas Gesicht. „Wer hat das nicht.“
Ruby vergaß ihre Zurückhaltung genau wie bei dem Kommissar Drewes und platzte sofort mit ihren Fragen heraus. „Wissen Sie etwas darüber?“ Das anfängliche Lächeln kam wieder auf ihre Lippen zurück, diesmal allerdings etwas zurückhaltender. Anscheinend gefiel ihr dieses Gesprächsthema überhaupt nicht, weshalb auch immer. „Diese Phrase hab ich schon gut auswendig gelernt: Darüber darf ich Ihnen leider nichts sagen.“
„Tut mir leid, ich wollte nicht damit anfangen. Es ist nur so, dass es mich nicht mehr loslässt.“
„Schon gut, das kann ich verstehen. Ich habe Mia-Sophie bei meinen Recherchen auch kurz kennen gelernt. Das ist grausam. Das verdient niemand.“
„Und trotzdem wollen Sie diesen Job ausüben?“ Das faszinierte Ruby freilich, denn sie hatte jahrelang einen Job gesucht, der ihre Mutter am meisten auf die Palme bringen würde. Polizistin stand recht weit oben auf der Liste, am Ende hatte sie sich jedoch für ihre Leidenschaft entschieden.
„Ja, wahrscheinlich weil meine Mutter auch Polizistin ist, liegt vermutlich in der Familie.“
„Ich tippe darauf, dass Ihr Vater auch Polizist ist?“ Joana lachte laut. Für eine Frau ein sehr tiefes Lachen, das ziemlichen Eindruck auf sie hinterließ. „Nein, mein Vater nicht. Er ist der dazugehörige Staatsanwalt.“
Ruby kicherte mit. „Ja was auch sonst. Interessante Konstellation.“
„Sie sagen das so daher, dabei ist es gar nicht so einfach. Man kann sich in dieser Familie nichts zu Schulden kommen lassen, bei diesen kritischen Augen wird man sofort durchschaut.“ Diesmal grinste Joana nur und trank ihren Kaffee mit einem kräftigen Schluck aus. Dann stand sie mit einem Mal auf und sagte. „Es war nett mit Ihnen zu plaudern, das müssen wir mal wiederholen. Leider muss ich jetzt auch schon wieder los; Schichtdienst ist nicht immer das Beste.“ Genauso turbulent wie Joana ihr diese Einladung gemacht hatte, genauso schnell machte sie sich wieder aus dem Staub. Ruby musste ihr ein Dankeschön für den Kaffee sogar nachrufen, so hastig war sie davon geeilt.
Etwas stutzig schüttelte Ruby den Kopf und setzte sich wieder hin – sie war aufgesprungen zum rasanten Abschied – um den Kaffee im Gegensatz zu Joana etwas gemütlicher auszutrinken.
Schon komisch dachte sie bei sich und war noch verwunderter als sie die beschriebene Servierte sah. Darauf war anscheinend Joanas Handynummer und der Ausspruch, dass Ruby sie immer anrufen konnte.
Wieder schüttelte sie nur konfus den Kopf; so schnell lernte man jemand Neues kennen.
Nach dieser doch etwas merkwürdigen – ja auf dem Weg nach Hause war sie zu dem Schluss gekommen, dass dieser Vorfall merkwürdig war – Begegnung, war Ruby gerade dabei ihren Haustürschlüssel heraus zu kramen, den sie sich um den Hals gehangen hatte. Sie bog in diesem Moment in die Straße ein, in der ihr neues Haus lag, als sie beim Aufsehen plötzlich bemerkte, dass Lauren schnurstracks von ihrem Grundstück stapfte. Ohne lange darüber nachzudenken, rief Ruby ihren Namen um sie aufzuhalten, doch das Mädchen tat so als ob sie sie nicht gehört hatte sondern ihre Schritte wurden nur noch eiliger.
„Lauren warte!“ Rief Ruby noch einmal und entschloss sich dazu ihrem Schützling hinterher zu laufen. Anstatt aber stehen zu bleiben tat sie als ob sie Ruby gar nicht bemerkt hatte und rannte mit einem Mal los, um die Ecke herum.
„Gott, verdammt.“ Knurrte Ruby und erhöhte ihr Tempo, wobei sie den Schlüssel mit einem kräftigen Griff umklammerte. Doch ihre Mühen waren umsonst, da Lauren genau in dem Moment, als sie um die Ecke bog, in einen Bus stieg.
Verwirrt und zugleich verärgert blieb sie stehen und warf die Hände in die Luft. „Diese verzogene Göre.“ Brachte sie zischend zwischen den Zähnen hervor und machte sich fluchend auf den Rückweg.
Sie hatte schon häufig solche Abgänge von Lauren mitbekommen, ohne Frage. Dennoch hatte sie gehofft, dass die gestrige Vorstellung möglicherweise etwas geändert hatte. Fehlgedanke. Oder aber, es war wieder einmal eine Schau gewesen. Dieses Kind war nämlich verdammt gut in ihrem Fach, der Schauspielerei; sie konnte Ruby an der Nase herumführen wie einen treudoofen Hund, wenn sie wollte. Und jedes Mal wieder fiel sie darauf rein.
Trotzdem was war diesmal der Auslöser, fragte Ruby sich, während sie die Tür aufschloss und eintrat. Weil sie nicht Bescheid gesagt hatte, wo sie war? Das wäre zu oberflächlich, auch wenn Lauren ziemlich sensibel sein mochte. Vermutlich steckte da etwas dahinter, wovor sie sich selber fürchtete, weswegen sie sich selber schon den Kopf zerbrochen hatte, was bedeutete, dass sie schon wieder etwas völlig versiebt hatte. Das hätte sie sich eigentlich auch schon vorher denken können, irgendwann musste Lauren es erfahren.
„Scheiße!“ Schnauzte sie sich selber an, als sie schon den Beweis für ihre richtige Vermutung auf dem Küchentisch sah. Die dicke Sonntagszeitung lag auf dem Küchentisch und natürlich mit der einzig wahren Schlagzeile: ‚Skrupelloser Mord an junger Frau!’. Lauren musste den Artikel gelesen haben und welche Gedanken sie dabei hatte konnte Ruby nicht einmal in ihren kühnsten Träumen erahnen. Sie war gerade mal fünfzehn. Das Schicksal hatte schon zu viel mit ihrem Leben gespielt. Sie war gut mit Charlotte befreundet und dann der Mord an Mia-Sophie.
Ruby fasste sich an den Kopf und wollte den Gedanken, dass sie vielleicht doch einfach überfordert war, loswerden, worauf sie begann zu lesen. Der Nachricht des Tages, der Woche, der Stadt so wurde der grausame Mord an Mia-Sophie dargestellt.
Diese Spinner von der lokalen Zeitung.
Der Artikel enthielt einige an Informationen und da er beinahe die ganze Titelseite umfasste waren es nicht unbedingt wenige. Am Anfang ging es vor allem um das Allgemeine. Sie fragte sich, woher die Autoren so viele Informationen über Mia hatten. Danach griffen sie die Fakten auf, die sie vermutlich am Tatort aufgenommen hatten und die die Polizei freigegeben hatte, und am Ende natürlich die völlig banalen Spekulationen und davon betroffen die Organisation der ‚Young Adults’. Es hieß, dass die Organisation in kriminelle Machenschaften verwickelt war und die Gläubiger nun kurzen Prozess machten.
Absoluter Schwachsinn dachte sich Ruby und wandte sich geladen ab, so ein absoluter Schwachsinn! Das war doch nur Verrücktmacherei und Zerstörungswut. Was sollte das?
Zähneknirschend nahm sie die Zeitung und pfefferte sie wutentbrannt in das Altpapier. Auf dem Weg zur Dusche konnte sie Laurens Reaktion jetzt nur zu gut nachvollziehen. Nicht nur, dass der Tod an einer jungen, lebendigen, lebenslustigen, Frau, die es nicht verdient hatte so zu sterben, in den Dreck gezogen wurde von diesen Heuchlern, nein jetzt zogen sie auch noch ein ansehnliches Projekt in den Dreck, dass noch in der Aufbauphase war und jetzt in Gefahr war.
Kommissar Jonas Drewes hatte seinen freien Tag damit verbracht die letzten vierundzwanzig Stunden des Opfers in Freiheit nachzuvollziehen. Dies war eine der besten Möglichkeiten etwas herauszufinden, auch wenn es in diesem Fall schon einige Tage zurücklag und die Chance, dass sich Zeugen an Kleinigkeiten erinnerten, geringer war. Dennoch hatte er es am Ende geschafft und konnte an diesem Montagmorgen ein paar Ergebnisse liefern.
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