Recht schnell öffnete eine klischeehaft gekleidete Hausdame die Tür, mit einem fälschlich aufgesetzten Lächeln. „Was kann ich für die Herrschaften tun?“
Wie altmodisch, dachte sich Brigitte und zeigte der noch recht jungen Frau ihren Ausweis. „Ich bin Kommissarin Brigitte Köhler, das ist Kommissar Drewes. Kriminalpolizei. Wir würden gerne mit Charlotte sprechen.“
Zweifelnd starrte die Angestellte auf die Uhr, was Brigitte sofort durchschaute. „Es tut uns sehr leid, dass wir so früh am Morgen erschienen sind. Dennoch ist es wichtig. Sie wissen mit Sicherheit weswegen wir hier sind?“ Leicht durcheinander sah sie zwischen den beiden Kommissaren hin und her und unternahm nichts, als sie sich beide an ihr vorbei ins Haus drängten. Stattdessen schloss sie hinter ihnen die mächtige Tür.
„Ich gehe doch davon aus, dass Charlotte hier ist, oder?“
Frau Bielacki, wie sie dem Namensschild entnahm, nickte verlegen. „Fräulein Langen ist zuhause. Jedoch hat sie nicht viel Zeit und muss gleich zur Schule.“
Instinktiv kam Kommissarin Köhler eine Frage in den Sinn, die sie auch sofort aussprechen musste. „Die Langens sind doch vom guten Stande, wenn ich mich nicht irre, richtig?“
„Natürlich.“
„Warum schicken sie ihre einzige Tochter dann auf eine öffentliche Schule und nicht auf eine viel teurere Privatschule? Oder warum bekommt Charlotte kein Privatunterricht hier im Herrenhaus?“
Die vielleicht gerade mal vierundzwanzig Jährige Frau Bielacki blinzelte ein paar Mal, woraus Brigitte nur zu gut erkennen konnte, dass dieses ganze obsolete Getue nur eine Schau war. „Nach meinem Wissen war es die Entscheidung von Fräulein Langen.“
„Das müssen Sie mir genauer erklären.“
„Herr und Frau Langen waren zwar nicht begeistert, aber nachdem ihr Töchterlein das zwölfte Lebensjahr vollendet hatte, hatte sie sich strick geweigert weiterhin von ihrem Privatlehrer Herrn Nolan unterrichtet zu werden. Es war ihr Wunsch unbedingt auf eine öffentliche Schule gehen zu dürfen. Und da Herr Langen seiner lieben Tochter kaum etwas ausschlagen kann, hat er es ihr erlaubt.“
„Hat das Ehepaar denn keine Angst davor, dass die Bildung ihrer Tochter darunter leidet?“
Die Angestellte zögerte nicht eine Sekunde, bemerkte danach aber direkt ihren Fehler, denn sie platzte heraus. „Die Langens sind kein Ehepaar mehr, sie sind geschieden. Sie leben nur noch zusammen.“
Braves Plappermaul, dachte sich Brigitte innerlich schmunzelnd. „Oh, in Ordnung. Also ist es Herrn Langen nicht so wichtig, wie seine Tochter gebildet ist?“
Anscheinend roch Frau Bielacki langsam den Braten, da sie unvermittelt die Arme verschränkte und nur noch erwiderte. „Sie finden Fräulein Langen in ihrem Zimmer im zweiten Obergeschoss. Beeilen Sie sich, der Chauffeur wird sie schon bald abholen.“
„Im zweiten Obergeschoss, wo genau?“ Fragte Brigitte so gespielt freundlich wie sie konnte und machte sich nichts daraus, als sie die Wegbeschreibung jetzt mit einem erzürnten Hinterton zu hören bekam.
Sie bedankten sich und machten sich auf dem Weg die edlen Treppen, allesamt mit Teppich bedeckt, die Geländer aus Holz, welches beide Kommissare wohl noch nie als einen Baum in freier Natur gesehen hatten und zudem mit hochwertigen Schnitzereien verziert, hochzusteigen zum Zimmer des Mädchens.
„Und die hat dich hier nicht rein gelassen?“ Quetschte sie ihren Partner auf diesem doch recht langen Weg, in dieser doch recht großen Villa, aus.
„Sie hat mich mit dem Argument abgeschmettert, dass es an einem Sonntagnachmittag, an dem adlige Familien ihre Teatime abhalten, sehr unhöflich ist nach ihrer Gesellschaft zu bitten.“
„Weichei. Ich wette mir dir, so adelig, wie die sich hier vorstellen, sind sie nicht einmal ansatzweise.“
„Was hätte ich denn darauf antworten sollen?“
„Zu viele dir nicht geläufige Worte, was?“
„Ach, halt doch die Klappe, Köhler.“
Brigitte lachte und da sie vor dem Zimmer angekommen waren, entgegnete sie lediglich noch. „Ich wette mir dir die edlen Herrschaften waren nicht einmal hier, aber jetzt sind wir ja drin.“
Sie waren nicht nur im Haus der Langens, sondern standen nun vor der Zimmertür von Charlotte, die sich extrem vom ganzen Haus unterschied. An der dunklen Holztür, mit dem Türgriff um den ein Schild ‚Nicht stören’, wie man sie im Hotel fand, hing, haftete ein plakatives Warnzeichen, dass das Eintreten ein Fehler sein könnte. Zudem klebte mit bunten Buchstaben Charlottes Name auf dem oberen Drittel, darum viele kleine Sterne.
Der Kontrast war einfach, dass allein schon an der Zimmertür so viel Krimskrams zu finden war, wie im gesamten restlichen Haus nicht. Unaufgeräumt, kindlich; offensichtlich rebellierte das einzige Kind gegen peniblen, gesitteten Hausstand, der hier normalerweise herrschen sollte. Brigitte klopfte an die Tür, auch wenn die Schilder es ihr verboten. „Charlotte, hier ist Kommissarin Brigitte Köhler. Ich bin gekommen um mit dir über Mia-Sophie zu sprechen. Darf ich reinkommen?“
Zuerst war nichts aus dem Inneren des Zimmers zu hören, erst nach einigen Augenblicken waren Schritte zu hören, worauf Brigitte Jonas zunickte. Er wusste genau was das zu bedeuten hatte, er sollte sich dezent zurückhalten. Damit hatte er kein Problem, denn meistens redeten Kinder lieber mit Brigitte.
Ganz unwillkürlich wunderte er sich, warum seine Partnerin selber nie den Weg eingeschlagen hatte eine eigene Familie zu gründen. Zugegeben sie waren erst seit fünf Monaten Partner, aber alles was er in dieser Zeit aufgeschnappt hatte, zeugte davon, dass Brigitte Köhler nie einen langwierigen Lebenspartner gehabt hatte oder je an Kinder einen Gedanken verschwendet hatte. Irgendwie schade, dachte er, seiner Meinung nach wäre sie eine gute Mutter gewesen.
Ein recht zierliches Mädchen, mit misstrauischen Augen und deutlichen Augenringen darunter, machte die Tür einen Spalt breit auf. „Was wollen Sie denn wissen?“
„Es sind nur ein paar Fragen. Du könntest uns helfen den Mord an Mia aufzuklären.“ Die Vierzehnjährige sah kurz zur Seite weg, öffnete danach jedoch ganz die Tür.
„Kommen Sie rein.“ Obwohl Charlotte erst vierzehn Jahre alt war, hatte sie schon eine beträchtliche Größe erreicht für ihr Alter; mindestens einen Meter fünfundsiebzig. Sie hatte die langen, blonden Haare ihrer Mutter, über die sich die beiden bereits etwas informiert hatten, geerbt, die sie an diesem Morgen zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden hat. Das Mädchen drehte sich zu ihnen um und deutete dabei auf die riesige Couch, die so ausgestellt war, sodass der Sitzende mitten in die aufgehende Sonne sehen konnte. So ein Anblick, von diesem kleinen Hügel, auf dem das Haus stand, war wahrhaftig beeindruckend. Nur leider ein kurzer Augenblick, denn zumindest Brigitte konzentrierte sich rasch wieder auf das Kind, dass überhaupt nicht wie ein kleines Mädchen wirkte. Ihr Blick durchbohrte sie regelrecht, nachdem sie sich auf den dazugehörigen Sessel gesetzt hatte.
„Wie geht es dir Charlotte?“ Inzwischen hatte Charlotte noch die Arme verschränkt und die in ein paar Jahren sicherlich meterlangen Beine übergeschlagen. Ihre Kiefermuskeln arbeiteten ununterbrochen und Brigitte suchte verzweifelt momentane Anzeichen von Traurigkeit.
„Ich weiß es selber nicht wirklich.“ Glücklicherweise stellte Brigitte nun fest, dass es in den Augen der Kleinen schimmerte.
„Es tut uns sehr leid, was mit Mia-Sophie geschehen ist.“
„Wie kann ich Ihnen helfen, Frau Köhler?“ Brachte das Mädchen, was auf Brigitte einen immer größeren viel zu erwachsenen Eindruck machte, das Gespräch auf den Punkt. Verdammt das irritierte sie ungemein. „Seit wann war Mia-Sophie deine…äh ‚Schwester’?“
„Vor sechs Wochen habe ich mich bei dem Projekt angemeldet. Von da an haben wir uns einfach super verstanden.“
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