„Hey Partner, wie war dein freier Tag?“
Brigitte sah nur kurz von ihren Unterlagen auf. „Freier Tag? Willst du mich verarschen, ich habe den ganzen Tag Wäsche gewaschen, Rechnungen bezahlt und mich gezwungen mein Fitnessprogramm aufrechtzuerhalten. Und mich natürlich über diese Presseheinis aufgeregt.“
„Wieso tust du dir auch so was an.“ Meinte er grinsend und setzte sich an seinen eigenen Schreibtisch, direkt gegenüber ihrem.
„Es war wirklich dringend das alles zu erledigen und da ich in der Woche keine Zeit dazu habe, muss ich es eben an meinem freien Tag machen.“ Den freien Tag hatte sie in Anführungszeichen gesetzt und hatte dabei ihren typisch kritischen Blick aufgesetzt. Amüsiert übergab Jonas ihr seine Ergebnisse. „Ich habe meinen Sonntag auch für die Arbeit benutzt und die letzten vierundzwanzig Stunden unseres Opfer rekonstruiert.“
„Braver Junge!“ Witzelte seine Partnerin und begann sofort damit seine Resultate zu überfliegen. Die Tote arbeitete halbtags als Bankangestellte in einer Bank mitten in der Innenstadt. Am Tag ihres Verschwindens war sie wie immer die fünf Stunden von sieben Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags anwesend. Danach war sie, nach Aussage ihrer Kollegin, zusammen mit ihr beim Mittagessen im nahgelegenen Restaurant. Nachdem sie, bewiesen anhand der Behauptungen zweier Nachbarn, ein paar Stunden zuhause verbracht hatte, war sie ungefähr gegen vier Uhr mit ihrem Schützling zum Kino verabredet. Hiernach war sein Bericht im Groben und Ganzen zu Ende.
Als ob Jonas ihre Gedanken lesen konnte, meinte er. „Die Tatsache mit dem Kino, weiß ich von einer Freundin von der Kleinen. Mit Charlotte selber konnte ich nicht sprechen, ich wurde nicht ins Haus gelassen.“
„Das trifft sich gut…“ Begann Brigitte und nahm einen Schluck Kaffee, ohne den sie am frühen Morgen nicht zu recht käme. „…dann können wir bei ihr ansetzen. Möglicherweise war sie wirklich die Letzte, die unser Opfer gesehen hat. Zudem könnte sie ein wichtiger Drehpunkt in der Geschichte sein, schließlich ist sie Mia-Sophies Schützling.“
„Bei der Gelegenheit bietet es sich an, auch direkt die Familie Langen unter die Lupe zu nehmen.“
„Das ist der Plan.“ Verkündete seine Partnerin und richtete sich streckend und gähnend auf.
„Und was hast du da auf dem Tisch?“ Er deutete auf eine Mappe, die sie beim Aufstehen automatisch zugeschlagen hatte.
„Ach ja genau, das ist der Bericht von William. Auch er hat wohl den Sonntag durchgearbeitet.“
„Im Gegensatz zu anderen, was?“ Necke Jonas seine Partnerin, die anscheinend ganz akzeptable Laune hatte und somit nur die Augen verdrehte.
„Das Todesopfer weist mehrere Stichwunden und Schnittwunden auf, manche waren noch vom Fundtag, andere von den drei vorherigen Tagen. Außerdem zeigen die vielen Blutergüsse, die über ihren ganzen Körper verteilt sind, dass sie geschlagen wurde. Es gibt eine Platzwunde an ihrem Hinterkopf, die ihr mit einem stumpfen Gegenstand am Tage ihres Verschwindens zugefügt wurde.“
„Dann ist sie überrascht worden, niedergeschlagen worden und verschleppt worden.“
„Ja und danach begannen die Stunden der Folterung, denn sie hat nach Aumanns Untersuchungen auch keine Nahrung erhalten und nur sehr wenig Trinkwasser.“
Jonas Mund bildete mit einem Mal ein ‚O’, als er die Todesursache sah. „Sie ist an einer allergischen Reaktion gestorben?“
„Interessant, nicht wahr?“
„Das kannst du laut sagen, dann hat der Mörder sie ja im Grunde nicht umgebracht.“
„Wenn man es so sieht, nicht. Sie ist an den Folterungen gestorben und an den Medikamenten, die sie bekommen hat. Jemand hat sie mit allem möglichen Zeug vollgepumpt und anscheinend hat sie eine allergische Reaktion erlitten. Also hat er sie doch umgebracht. Möglicherweise ungewollt; deshalb das rasante Loswerden der Leiche.“
„Du glaubst also, dass er sie deswegen so schnell loswerden wollte und sie einfach an die nächst beste Stelle geworfen hat?“
„Ich kann mir gut vorstellen, dass ihre Gefangenhaltung eigentlich noch nicht zu Ende gewesen war und ihn das überrascht hat.“ Jonas nickte eifrig, sichtlich fieberhaft aufgrund dieser Unterhaltung. „Das klingt mir sehr nach einem Anfänger.“
„Der Fakt, dass es keine vergleichbaren Fälle in der Vergangenheit gab, lässt darauf schließen, ja.“ Brigitte hatte sich derweil auf die Tischkante gesetzt und ihre Arme verschränkt. „Aber wegen der Todesursache ist mir noch ein anderer Gedanke gekommen.“
„Welcher?“ Gespannt sah er auf, in ihr wie immer erfahrend, abschätzendes Gesicht, das sich dadurch auszeichnete, dass sich ihre Zornesfalten deutlicher abzeichneten.
„Wir haben zwar noch nicht viel über das Motiv gesprochen, aber ich gehe davon aus, dass wir es mit einem Triebtäter zu tun haben. Ich weiß ich fische hier in tiefen Gewässern, aber eine Überlegung ist es wert.“
„Fahr fort, Gitti.“
„Okay, also, ein Triebtäter handelt nicht nach den üblichen Motiven wie Gier, Rache oder Eifersucht sondern er lässt sich von anderen Gefühlen leiten. Meistens macht ihnen das Morden Spaß und unserem Freund in diesem Fall auch das Quälen. Was ist wenn er es darauf angelegt hat, dass sein Opfer aufgibt?“
Jonas runzelte die Stirn, er verstand nicht ganz. „Was meinst du genau?“
„Hör zu…“ Leitete sie ein. „…, stell es dir so vor. Er findet es nicht nur absolut unterhaltsam sie leiden zu sehen, nein er will sie geradezu brechen. Ihre Seele, ihren Geist zerstören. Es geht ihm nicht direkt darum sie umzubringen, sondern er peinigt sie solange bis sie sich selbst aufgibt und genau dieses Aufgeben gibt ihm den richtigen Kick.“
Vor Anregung war sie aufgeschreckt und war vor ihm auf und ab gegangen, jetzt blickte sie ihn auffordernd an. Er blinzelte erst ein paar Mal, um diese Vorstellung auf sich einwirken zu lassen. „Also ein Spiel mit der Psyche des Opfers?“
„Ich verbessere, ein krankes Spiel mit der Psyche.“
„Das ist wirklich sehr weit hergeholt, Partner.“
Kommissarin Brigitte Köhler zuckte nur mit den Schultern.
Die gerade mal vierzehn Jahre alte Charlotte Langen wohnte in dem wohl edelsten Stadtviertel der Stadt. Das Haus, vor dem Jonas und Brigitte nun standen, war offensichtlich so unerschwinglich für sie, dass sie nicht einmal mit dem Gedanken spielten, jemals ein solches Haus zu besitzen. Und dieses Gefühl hatte Jonas sogar noch beim zweiten Mal.
„Ich bin eindeutig in der falschen Familie aufgewachsen und habe den falschen Beruf gewählt.“ Sagte er dementsprechend baff, während sie den recht langen Weg zur Haustür erklommen.
„Nein, falsch, Jonas, wir arbeiten einfach nur auf ehrliche Art und Weise.“
„Keine Vorurteile, Köhler.“
„Mein Gott, ihr Vater ist Banker, das sind alles falsche Schlangen.“
„Wie gesagt, der falsche Job.“ Während er sein unverkennbares Grinsen auflegte, strafte sie ihn nur mit einem grimmigen Blick. Ohne ihn weiter zu beachten klingelte sie dann und fragte sich im Innern, weswegen das Mädchen, was augenscheinlich alles hatte, bei einem noch mickrigen Projekt wie den ‚Young Adults’ Hilfe suchte. Sie rechnete fest damit, dass die Eltern der Kleinen gefühlskalte Workaholics waren, die irgendwann auf dem Weg zu Arbeit vergessen hatten, dass sie ein Kind gezeugt haben. Dafür waren schließlich die bezahlten Gefährten zuständig, Hauspersonal, das sich um alles kümmerte. Mit dem tagtäglich, mindestens zweiundzwanzig Stunden am Tag, verdienten Geld konnte man bekanntlich alles regeln. Und wenn dann doch mal aus unbestimmten Gründen etwas Freizeit auftauchte, dann wurde das Kind nicht in den ausschweifenden Fünf-Sterne-Urlaub integriert.
Schlichtweg musste Charlotte von Langen ein Kind sein, das einen Ersatz für die Eltern brauchte.
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