»Das Gute für uns ist, daß die Polizei glaubt, er wäre durchgegangen und säße schon längst irgendwo drüben«, bemerkte Ellis und fand dies so belustigend, daß er wiederum über das ganze Gesicht feixte, was ihn nicht hübscher machte.
Der Konsul nickte. »Darauf war ja auch alles angelegt. Besonders die Depesche nach der Schweiz war eine gute Idee. Die betreffende Person ist wirklich verschwunden und wartet offenbar irgendwo geduldig auf das Wort. Und auch das ist gut, denn wir werden sie vielleicht brauchen, um den versteckten alten Geldsack zum Reden zu bringen. Ich habe bereits ein verläßliches Detektivbüro beauftragt, sie auszuforschen. Durch die ›Times‹ wäre das zwar einfacher und billiger gewesen, aber es kann sein, daß die Polizei von dem Telegramm Kenntnis hat und noch immer scharf aufpaßt.«
»Zum Teufel«, platzte Ellis gallig heraus, »die sollte sich jetzt wahrhaftig um andere Dinge sorgen. Da wird unseren aufgetakelten Frauenzimmern einem nach dem andern der sündhaft teure Tand direkt vom Leibe gezogen, und das tüchtige Yard, von dem so viel Wesens gemacht wird, ist auf einmal mit allen seinen Künsten zu Ende. Die Sache ist einfach ein Skandal, und das alberne Weib« – damit meinte der höfliche Mann Mrs. Elvira Ellis – »ist in einer Laune wie des Teufels Großmutter, wenn dieser etwas über die versengte Leber gelaufen ist …«
Er zerdrückte wütend den arg zerkauten Zigarrenstummel, aber dann schnitt er plötzlich wieder eine seiner scheußlichen Grimassen.
»Daran bist übrigens auch du mit schuld«, fuhr er fort. »Seitdem du dich bei uns so rar machst und dafür fortwährend um Mrs. Reed herumscharwenzelst, kocht es in ihr gewaltig.« Das Lächeln des robusten Gentleman wurde noch anzüglicher. »Ich weiß nicht, ob sie sich darüber mit dir schon ausgesprochen hat, aber auf jeden Fall würde ich mich an deiner Stelle vor ihr gehörig in acht nehmen. Ein wenig kennst du sie ja auch, wenn auch noch lange nicht so genau wie ich.«
Konsul Karenowitsch, der die letzten verfänglichen Anspielungen mit der kühlen, verschlossenen Miene eines Mannes von Welt hingenommen hatte, warf einen deutlichen Blick auf die Uhr.
»Mein Lieber, ich muß mich nun ankleiden«, sagte er. »Spätestens um eins bin ich im Klub und warte dort auf dich. Sieh zu, daß alles glatt abläuft.« Er erinnerte sich plötzlich an die neben ihm liegende noch uneröffnete Post und begann diese hastig durchzublättern, Ellis aber stellte sich schwerfällig auf die massigen Beine und strampelte die hochgerutschten Hosen herunter.
»Verdammte Scherereien«, machte er sich noch einmal Luft. »Für alle Fälle werde ich natürlich nun auch an Wesley schreiben, und dabei will jedes Wort gut überlegt sein …«
Er nickte kurz und verdrießlich und hielt Karenowitsch die knochige Hand hin, aber dieser war noch immer mit seinen Briefschaften beschäftigt.
»Warte noch einen Augenblick«, sagte er. »Vielleicht ist darunter bereits eine Nachricht wegen der gewissen Person …«
Aber erst ganz zu unterst stieß der Konsul auf einen Umschlag, der ihn interessierte, und riß ihn ohne viel Umstände auf. Die einfache weiße Karte, die zum Vorschein kam, sah wie eine Einladung oder Familienanzeige aus, aber Karenowitsch hatte kaum einen Blick darauf geworfen, als er diesmal sichtlich außer Fassung geriet. Er starrte mit reglosem Gesicht lange Sekunden auf das Blatt, dann ließ er es endlich sinken und streifte den harrenden Besucher mit einem seltsamen Blick.
»Wer, zum Teufel, macht so alberne Späße?« stieß er zwischen den verbissenen Zähnen hervor, und in Ellis wurden sofort wieder alle Befürchtungen, mit denen er sich seit vielen Wochen herumschlug, wach.
»He – vielleicht noch eine Bescherung?« platzte er besorgt heraus, und da nicht sofort eine Antwort kam, riß er seinem Teilhaber die Karte ungestüm aus der Hand und trat damit zum Fenster. Und dann fuhr ihm auch bereits ein gewaltiger Schreck in die Glieder: Das sah ja ganz nach dem verdammten Humbug aus, der ihnen schon einmal gehörig zu schaffen gegeben hatte. Aber hatte man denn dieser niederträchtigen Geschichte nicht ein Ende gemacht? – Ein so gründliches Ende, daß man davor für immer Ruhe haben mußte? – Was sollte da auf einmal dieser Wisch bedeuten?
Ellis glotzte auf die sechs unregelmäßig angeordneten Sternchen in der linken oberen Ecke, und dann flogen seine flimmernden Augen über die wenigen Maschinenzeilen.
»Das Geschäft mit Th.W. und jenes im Hafen geht halbpart. Als Anzahlung haben Sie in der Nacht zum 21. d.M. pünktlich um elf Uhr den Betrag von zweitausend Pfund zu erlegen. Der Umschlag mit dem Gelde ist an einem genau drei Meter langen Bindfaden am dritten Geländerpfeiler des Regent’s Canals links von der Canalbridge Street zu befestigen und zum Wasser hinabzulassen. Die endgültige Abrechnung für den 11.V.1936, der sich diesmal nicht wiederholen wird, bleibt offen.«
»Natürlich ist das ein fauler Witz«, wiederholte der Konsul auf die stumme Frage, die in Ellis’ verstörtem Gesicht geschrieben stand, aber es klang nicht sehr sicher. »Diese Leute haben wir samt ihren Sternen ein- für allemal ausgeblasen. Du warst ja selbst mit dabei. Es kann nur sein, daß Elvira zu irgendwelchem hinterhältigen Zweck plötzlich auf diesen blöden Einfall gekommen ist.«
Ellis ließ ein gereiztes Lachen hören und fuhr sich grimmig durch die schütteren rötlichen Haarsträhnen. »Mein Lieber, ich fürchte, es steckt etwas weit Schlimmeres dahinter«, würgte er aus rauhem Halse hervor. »Das Weib ist ja ein tückischer Satan, aber woher sollte es von Wesley und dem andern wissen, he? Wir haben ja bei uns nie ein Wort darüber gesprochen.« Er befeuchtete mit der Zunge die trockenen Lippen, und seine kleinen geröteten Augen flackerten noch unruhiger als sonst. »Es könnte doch sein, daß wir damals nicht das ganze Nest erwischt haben, und daß der eigentliche Mann …«
Der Konsul war plötzlich so übler Laune, daß seine Selbstbeherrschung platzte und alle weltmännische Glasur von ihm absprang. »Scher dich endlich schon zum Teufel!« herrschte er seinen besorgten Freund an. »Ich bin mit dieser verdammten Bande bereits einmal fertig geworden, und wenn sie daran nicht genug hat, wird sie eben nochmals draufzahlen. Bis zu dem gewissen Tage haben wir ja fast noch eine ganze Woche Zeit …«
Er machte eine verabschiedende Handbewegung, und Ellis war zwar noch bedrückter und sorgenvoller, als er gekommen war, aber als er im Abgehen seinen Genossen mit einem mürrischen Blick streifte, wurde er etwas ruhiger und zuversichtlicher. So, wie Iwan Karenowitsch augenblicklich dreinsah, hatte er gar nichts von einem Gent, Herzensbezwinger und mit flimmernden Orden bespickten Konsul an sich, sondern glich einem verteufelt entschlossenen Mann, dem es auf ein Menschenleben und ähnliche Kleinigkeiten nicht ankam. Mit solch einem Verbündeten konnte man vielleicht schließlich doch aus allen Schwierigkeiten heil herauskommen.
Kaum fünf Minuten, nachdem Ellis den Gang zu Karenowitsch angetreten hatte, war in seinem Hause wieder einmal Inspektor Sharp vom Scotland Yard mit seinem kleinen Stabe, dem Assistenten Guy Denby und dem Sergeanten Huggins, erschienen.
Der Pförtner, der die Besucher bereits kannte, öffnete mit großer Beflissenheit die Gartentür.
»Mr. Ellis ist eben ausgegangen«, meldete er, »und Mrs. Ellis noch nicht aus der Stadt zurück. Sie dürfte aber nun jeden Augenblick kommen, da Mrs. Reed bei uns lunchen wird.«
»Mrs. Reed auch? – Gut, das erspart mir einen Weg. Wir werden also warten«, sagte der Inspektor mit seiner hohlen Stimme, die aus dem langen, dürren Halse wie aus einem Sprachrohr kam.
Der Türhüter schickte sich an, die Führung zum Hause zu übernehmen, aber Sharp lehnte ab.
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