Es währte noch eine weitere gute halbe Stunde, bis unten endlich die Tür ins Schloß fiel und die Hauswirtin mit roter Nase und zwinkernden Augen wie der im Eßzimmer auftauchte.
»Ich habe einen neuen Mieter aufgenommen«, sagte sie so beiläufig, nachdem sie sich gründlich geräuspert hatte.
»Wie sieht er aus?« erkundigte sich Bessie mit reger Wißbegierde, aber Mrs. Toomer schien die dringliche Frage überhört zu haben, weil sie eben wieder heftig in ihr Taschentuch trompetete. Aber dann gab sie plötzlich doch so etwas wie eine Antwort.
»Man darf bei diesem schrecklichen Wetter nicht die Nase vor die Tür stecken, ohne gleich etwas abzubekommen«, stellte sie zunächst mürrisch fest und fügte dann völlig geistesabwesend hinzu: »Ja – also – er ist groß – ich glaube grau und sieht aus wie ein richtiger Wolf. Und am liebsten hat er getrocknete Fische …«
»Getrocknete Fische – du guter Gott …« murmelte Bessie mit starren Augen. »Da war vielleicht die Lehrerin mit ihrem Käse und ihren Zwiebeln doch noch angenehmer …«
Eine Anfrage im Unterhause
Es war wieder einige Tage später. Das House of Commons hatte eben eine sehr eingehende Aussprache über die Aufrüstung der See-, Land- und Luftstreitkräfte abgeschlossen, als sich noch ein Mitglied erhob.
»The gallant member – der sehr tapfere Abgeordnete für Souths Down wünscht noch etwas vorzubringen«, verkündete der Sprecher.
Das Parlamentsmitglied, dem diese ehrende Anrede zukam, war ein verdienter alter Commodore, und man wußte, daß er stets dann ins Treffen geschickt wurde, wenn es um eine Sache ging, bei der es mehr auf die betreibende Persönlichkeit, als auf rednerische Wirkung ankam. Er entledigte sich seiner Aufgabe auch diesmal sehr kurz und bündig.
»Ist der Regierung bekannt«, stieß er mit seiner rauhen Seemannsstimme hervor, »daß vor einiger Zeit einem britischen Staatsangehörigen auf einem fremden Staatsgebiete eine Ausbeutungskonzession verliehen wurde, der in Anbetracht der Besonderheit und der Verwendungszwecke des betreffenden Vorkommens außerordentliche Wichtigkeit beizumessen ist? – Und gedenkt die Regierung – falls dies nicht schon geschehen sein sollte – raschestens Schritte zu unternehmen, um die wichtigen Interessen des Empires in dieser Angelegenheit zu wahren?«
Auf der Regierungsbank erhob sich sofort einer der jungen zukunftsreichen Unterstaatssekretäre und erwiderte darauf ebenso allgemein und vorsichtig:
»Die Regierung kann nur nochmals die Versicherung abgeben, daß sie auf alles Bedacht nehmen wird, was für das vorgesehene Aufrüstungsprogramm irgendwie von Bedeutung sein könnte. Sie hat auch der erwähnten Angelegenheit bereits ihr Augenmerk zugewendet, und nur besonderen Umständen, die nicht an ihr liegen, ist es zuzuschreiben, daß sie heute dem Hause noch keine bestimmtere Erklärung abgeben kann.«
Schon die ersten Morgenausgaben der großen Blätter wurden in dieser Sache etwas deutlicher. Es handelte sich um ein äußerst reiches Molybdänvorkommen in Asien, das für die englische Stahlindustrie tatsächlich von größter Wichtigkeit war. Die Konzession hatte ein gewisser Thomas Wesley erworben, ein unternehmender Glücksritter großen Stils, der bereits wiederholt von sich reden gemacht hatte. Er war einmal hoch oben, einmal tief unten und nie ganz nüchtern. Während besonders arger Trunkenheitsperioden pflegte er oft monatelang zu verschwinden und sich in einem höchst fragwürdigen Zustande in den übelsten Spelunken irgendeines Anschwemmplatzes der Welt herumzutreiben.
Eine solche Periode schien Thomas Wesley auch gegenwärtig wieder durchzumachen, denn er war nicht aufzufinden, obwohl die englische Regierung seit Wochen ihren den ganzen Erdball umspannenden Apparat in Bewegung hielt, um des Mannes mit den wichtigen Schurfrechten habhaft zu werden. Man hatte bisher lediglich ermitteln können, daß er vor ungefähr vier Monaten einige Tage in London geweilt hatte und dann mit einem eigenen Flugzeug allein nach einem unbekannten Ziel gestartet war.
Seither fehlte jede Spur von ihm.
Ein gefürchteter Mann erlebt eine peinliche Niederlage
Mr. Roger Meraine, kurz Hodge genannt, war in Soho ein Mann von großem Einfluß, aber auch östlich und westlich von diesem Londoner Fremdenviertel hatte sein Name etwas zu sagen. Er betrieb, wie eine gediegene Firmentafel verkündete, ein sehr vielseitiges Maklergeschäft, dessen Erträgnisse es ihm gestatteten, auf großem Fuße zu leben und seine arbeitsreichen Tage allnächtlich im Kreise seiner zahlreichen Freunde und Freundinnen in gehobener Stimmung zu beschließen.
An diesem Abend hatte die Gesellschaft eine kleine Bar gewählt, wo sie immer so ziemlich unter sich blieb, denn man wollte versuchen, Hodge endlich wieder ein bißchen aufzuheitern. Der breitschultrige Vierziger mit dem starken südländischen Einschlag zeigte sich nämlich seit kurzem auffallend übelgelaunt und von gefährlicher Reizbarkeit. Sogar Jozy Healy, eine heißblütige junge Irin mit wundervollem rotem Haar, hatte darunter zu leiden, obwohl sie sich bisher der besonderen Gunst des in vieler Hinsicht außergewöhnlichen Mannes hatte erfreuen dürfen.
Sie saß nun arg gekränkt und höchlich gelangweilt an seiner Seite, denn Hodge war auch heute aus seiner düsteren Stimmung nicht aufzurütteln. Zwischen seinen buschigen schwarzen Brauen stand eine böse Falte, und wenn er zuweilen die schweren Lider hob, lag in seinen verschleierten Augen ein wenig freundlicher Ausdruck. Er sprach kein Wort, trank aber sehr viel und rauchte ununterbrochen mit tiefen, nervösen Zügen.
Nach etwa einer Stunde verirrte sich doch noch ein weiterer Gast in das Lokal. Er kam nichts weniger als gelegen und erregte daher besonderes Aufsehen. Der Fremde mochte etwa Dreißig sein, sah sehr gut aus und schien nach seinem von Luft und Sonne gedunkelten Gesicht und seiner sonstigen ganzen Art nicht zu der Gilde der Londoner Nachtbummler zu gehören. Er zeigte für die Runde um Roger Meraine nicht das geringste Interesse, sondern ließ sich an einem Tisch gegenüber nieder und gab gelassen seine Bestellung auf.
Das Gespräch an der großen Tafelrunde verstummte fast völlig, denn die Dinge, über die man sich bisher unterhalten hatte, waren nicht für fremde Ohren bestimmt, und die unvermittelte Ruhe wirkte geradezu bedrückend; nur nicht auf die wirklich hübsche, feurige Miß Jozy Healy, die vielmehr plötzlich außerordentlich lebendig wurde. Sie legte zunächst rasch eine sorgfältige frische Bemalung an und schenkte dann dem neuen Gaste eine sehr verheißungsvolle Aufmerksamkeit. Ihr kam dieser vornehme, sehnige Gentleman, mit dem sich der bereits etwas dicklich werdende, eingebildete Hodge in keiner Weise messen konnte, gerade recht. Nun wollte sie dem Ekel an ihrer Seite einmal zeigen, daß sie es nicht notwendig hatte, sich seine Launen gefallen zu lassen …
Die beredte Augensprache der roten Irin fand zwar keine Erwiderung, aber Miß Jozy ließ nicht locker, und ihre Blicke wurden immer ermunternder und glutvoller …
Plötzlich fuhr Roger Meraine wie der Blitz hoch, versetzte seiner unternehmenden Freundin einen heftigen Schlag ins Gesicht und stürzte auch schon auf den Tisch gegenüber zu.
Der Fremde verharrte völlig reglos, als ob ihn der Vorgang gar nicht berührte, und ließ den toll gewordenen Mann mit den tückisch funkelnden Augen ganz dicht herankommen. Selbst als Hodge in blinder Wut ausholte, rührte der andere sich noch immer nicht – aber dann glitt er plötzlich unter der zuschlagenden Faust hinweg, so daß der Angreifer sich um ein Haar über den Tisch gelegt hätte …
Dazu sollte es jedoch nicht kommen, weil in der gleichen Sekunde ein schneidendes »Oahooo – heiii!!!« durch das Lokal schallte und Roger Meraine gleichzeitig einen Hieb zwischen die Augen erhielt, der ihn nicht nur jäh wieder aufrichtete, sondern auch noch einige Schritte zurücktaumeln ließ.
Читать дальше