Damit war der draufgängerische Hodge allerdings nicht erledigt, sondern er verfiel nun in förmliche Raserei. Er fuhr mit der Rechten in die Tasche seines Smokings, brachte sie mit einem Schlagring bewehrt wieder hervor und ging mit einem geradezu tierischen Wutschrei und geiferndem Munde neuerlich auf den andern los.
Noch dreimal klang das schrille »Oahooo – heiii!« wie ein Peitschenknall durch den Raum, dann lag der gefürchtete Mann von Soho auf dem Boden und rührte kein Glied mehr …
Die aufregende Szene hatte nur wenige Sekunden gedauert, und Hodges Freundeskreis war noch immer starr vor Bestürzung, als sie bereits längst zu Ende war. Aber selbst, als man endlich etwas zu sich kam, dachte man nicht daran, sich einzumengen. Das war eine Sache, die nach einer Berührung mit der Polizei aussah, und Hodge mußte rein den Verstand verloren haben, daß er sich auf so etwas eingelassen hatte.
Auch der Besitzer des Lokals wollte, so sehr er auch Mr. Meraine und dessen Gesellschaft schätzte, keine Scherereien mit der Polizei und rief diese daher lieber selbst herbei. Sie erschien leider rascher, als die große Tafelrunde sich verflüchtigen konnte, und es gab eine recht peinliche Befragung.
Nur Hodge nahm das bedenkliche Ende dieses Abends völlig teilnahmslos hin. Er war zwar nicht mehr ganz leblos, sah aber geradezu jammervoll aus, und der Schlagring, den er noch immer an der Rechten stecken hatte, machte sich neben den vielen funkelnden Brillantreifen gar nicht gut …
· · ·
Und damit war die Zeit gekommen, die allmählich einen Zusammenhang zwischen all diesen vorangeschickten Geschehnissen ergeben und die dunklen Vorgänge um das Sternbild des Skorpions ins Rollen bringen sollte.
Die Schreibstube in Finch Lane bestand erst knapp drei Monate, war aber bereits ebensolange eines der bekanntesten Büros der City.
Eines Morgens hatte ein etwas verfrühter Börsenbesucher bei einem Bummel durch die umliegenden Gassen an einem Laden, der noch vor kurzem den üblen Duft von vertrockneten Heringen und faulendem Gemüse ausgeströmt hatte, eine funkelnagelneue geschmackvolle Firmentafel entdeckt, auf der zu lesen war:
»Ghost Writers Bureau. We write it – You sign it. Bessie Clayton. Alice Parker.«
Da der Mann zufällig schon ein paar Tage einige unerledigte Briefe bei sich trug, trat er ein.
Und noch am selben Vormittage konnte das kleine Lokal kaum die vielen Leute fassen, die um ein Sixpencestück für die Seite irgendeine geschäftliche Mitteilung getippt haben wollten.
Darüber freute sich besonders Bessie außerordentlich, denn selbst in ihren kühnsten Träumen hatte sie nie zu hoffen gewagt, daß es mit dem Geldverdienen so unverhältnismäßig schnell und leicht gehen würde. Sie war vor einem halben Jahr nach London gekommen, um zu den Fertigkeiten und Kenntnissen, die sie in ihrem heimatlichen Landstädtchen erworben hatte, noch etwas zuzulernen und sich dann nach einer Stellung umzusehen, aber eines Tages hatte ein glücklicher Zufall dieser ihrer Vorbereitungszeit ein rasches und sehr befriedigendes Ende gemacht. In einer Zeitung hatte sie eine Anzeige gefunden, durch die eine tüchtige, intelligente Maschinenschreiberin gesucht wurde, und sie hatte sich auf gut Glück gemeldet. So war sie mit Alice Parker bekannt geworden, die eine Schreibstube im Geldviertel der City eröffnen wollte, und die beiden jungen Mädchen hatten sich sofort verstanden und Gefallen aneinander gefunden. Und wenn die Idee und das erste Geld von Alice waren, so war die Einrichtung des Unternehmens hauptsächlich das Verdienst Bessies. Sie hatte mit ihrem hartnäckigen Feilschen um jeden Penny sämtliche Schreibmaschinenhändler und Papierlieferanten Londons zur Verzweiflung gebracht, und dem Verwalter des Hauses in Finch Lane hatte sie über sein Lokal so viele unschöne Dinge gesagt, daß der Mann schließlich heilfroh war, als sie es zu einem Spottpreis zu mieten geruhte.
Dafür war Bessie Clayton sofort Teilhaberin mit vierzig Prozent vom Reingewinn geworden, und Alice hatte sie auch eingeladen, mit ihr zu wohnen. Bessie war mit großer Begeisterung darauf eingegangen und hätte es auch in dieser Hinsicht nicht besser treffen können. Mrs. Christina Toomer betreute ihre beiden Mieterinnen mit mütterlicher Besorgtheit und Alice sogar mit einer gewissen liebevollen Unterwürfigkeit. Bessie konnte das verstehen, denn auch sie tat für die Freundin, der sie soviel zu verdanken hatte, alles, was sie ihr an den Augen ablesen konnte, aber zuweilen schien es ihr, als ob für das Verhalten der Hauswirtin noch ganz besondere Gründe vorhanden wären. Es fiel jedoch darüber nie eine Andeutung, und Bessie war zu taktvoll, um danach zu forschen. Ebenso vermied sie es, Alice über deren persönliche Verhältnisse zu befragen, da sie auf ihren ersten derartigen Versuch bloß eine ganz allgemeine und sichtlich äußerst verlegene Antwort erhalten hatte. Anscheinend gab es da einen recht schmerzhaften Punkt, dem wohl auch das bedrückte Wesen der Freundin zuzuschreiben war.
Nach Schluß der Börse und der Bankschalter wurde es auch in der Schreibstube still, und sobald die restliche Post aufgearbeitet war, pflegte Bessie die drei netten und fleißigen Tippfräuleins, die nun erst an ihren eigentlichen Beruf, das Studium verschiedener Wissenschaften, gingen, mit einem freundlichen »Good bye, Kinder« an der Tür zu verabschieden.
Heute geschah das noch eine Viertelstunde früher als sonst, denn Alice Parker mußte wieder einmal den weiten Weg nach Kensington machen. Es war dies aus gewissen Gründen ein sehr unangenehmer Weg, und das junge Mädchen verriet an den Tagen, da er ihm bevorstand, immer eine auffallende Unruhe. Bessie kannte die Gründe hierfür, und während sie zu dem nahen Speisehause schritten, um rasch ein bescheidenes Lunch einzunehmen, kam sie diesmal mit besonderer Entschiedenheit darauf zu sprechen.
»Wir werden nun mit diesem Mr. Ellis aber wirklich Schluß machen«, sagte sie. »Wenn der grobschnauzige Goldgräber, oder was er sonst war, nicht weiß, wie er sich gegen eine Dame zu benehmen hat, soll er sich seine Briefe selber tippen. Ich werde nicht länger dulden, daß du dich wegen einer Guinee solchen Dingen aussetzt. Du kommst ja immer ganz verstört zurück. Erkläre ihm also heute kurz und bündig, daß er sich für das nächste Mal nach jemand anderem umsehen soll. Im übrigen kann ich verstehen, daß der alte Buschmann augenblicklich besonders übler Laune ist. Der Schmuck, den man seiner Frau abgenommen hat, soll ja einige tausend Pfund wert gewesen sein. Hast du diese Mrs. Ellis überhaupt schon einmal gesehen? – Du weißt ja, was man sich von ihr erzählt …«
Alice schüttelte bloß den Kopf, aber da sie mittlerweile das Speisehaus erreicht hatten, gab Bessie sich damit zufrieden und konzentrierte sich ausschließlich auf den Zweck, zu dem sie hergekommen waren. Erst nach dem Mahle wurde sie wieder gesprächig. Sie kam aber nicht auf das frühere Thema zurück, sondern schlug ein anderes an, das sie seit einer Woche ziemlich häufig, jedoch immer nur mit sachlicher Kühle berührte.
»Dieser Mr. Allan« – das war der neue Mieter, der vor kurzem bei Mrs. Toomer eingezogen war – »scheint ja ein recht lockerer Vogel zu sein«, begann sie auch diesmal wieder so ganz obenhin. »Er ist keinen Abend zu Hause, und dann schläft er immer bis in den hellen Tag hinein. Es sieht ganz so aus, als ob er trotz seines Telefons keine ordentliche Beschäftigung hätte. Ich habe Mrs. Toomer schon danach gefragt, aber sie hat mir recht kurz erklärt, sie habe sich noch nicht darum gekümmert, und es gehe sie auch nichts an. – Das wundert mich, denn Mrs. Toomer ist doch sonst ziemlich mißtrauisch und hält darauf, genau zu wissen, wen sie im Hause hat.«
Bessie trommelte mit den hübschen, kräftigen Fingern gereizt auf den Tisch, aber Alice zeigte für die Verhältnisse und das Treiben des neuen Hausgenossen nicht das geringste Interesse. Sie war dem jungen Manne zwar bereits einige Male begegnet, hatte jedoch seinen höflichen Gruß immer nur ganz flüchtig und mit der ihr eigenen scheuen Zurückhaltung erwidert. Die weit weniger scheue und zurückhaltende Bessie hingegen hatte schon wiederholt einen kleinen Plausch mit ihm gehalten, der allerdings stets nur dem seltsamen Hunde gegolten hatte, der mit besonderer Vorliebe getrocknete Fische fraß. Und um diesen Hund drehte sich offenbar auch jetzt ihre hauptsächlichste Sorge, denn nach einer kleinen Pause setzte sie mit verkniffenen Lippen fort:
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