„Okay, wir sind ja schon so einiges gewöhnt miteinander. Was hältst du von einer Auszeit?“ „Großartig Gloria! Genauso machen wir das! Dann fahre ich dich jetzt nach Hause, einverstanden?“ Sie verabschiedeten sich vor ihrem Apartment mit einem Küsschen. „War trotzdem ein tolles Wochenende, Gloria!“ „Stimmt Peter, fand ich auch!“
Morgens um 11 Uhr klingelte Peter in Karlsruhe Durlach in der Eichelgasse 10. Eine sehr hübsche, sportliche, blonde Frau in einem blütenweißen T-Shirt und hellblauen Jeans öffnete. Sie hatte eine Badetasche in der Hand und strahlte Peter aus ihren blauen Augen an: „Ich bin fertig, kann‘s los gehen?“
Und ob es losgehen konnte! Zwei Jahre später waren Renate und Peter verheiratet.
Aber eins nach dem anderen…
Gasfuß und Geduld - aber ein Plan
Um die Europa-Meisterschaft ’74 fuhren u.a. der Holländer Leo Steenbergen, der Schweizer Marc Surer, zwei weitere Deutsche Eugen Pfisterer und Klaus Niedzwitz, der Finne Keke Rosberg, der Schwede Jelle Hingst und - Peter Eichner.
Im letzten Drittel der Saison standen noch vier Rennen auf dem Terminplan:
1 Salzburgring: Eichner, in Führung liegend, platzte zwei Run-den vor Schluss – mit etwa 200 m Vorsprung – in der Kurve oberhalb des Fahrerlagers der Motor. Durch die Explosion verteilte sich das komplette Öl auf der Fahrbahn. Die direkten Konkurrenten flogen einer nach dem anderen ab. High Speed Crash bei über 220 km/h. Alle unverletzt bis auf kleinere Blessuren. Materialschaden exorbitant. Gewinner des Rennens: ein Fahrer aus dem hinteren Feld.
2 Hockenheimring: Regenrennen – Keke Rosberg führte. Eichner an 3. Stelle. Motor saugte Stein aus Gischt der beiden Vorausfahrenden an. Stein geriet in Ansaugtrakt. Plötzlicher Leistungsverlust von 10%-15% weniger Drehzahl. Keine Kompensation möglich aufgrund des Hochgeschwindigkeitskurses mit den langen Geraden. Resultat für Eichner: 5. Platz.
3 Zandvoort, Holland: Natürliche, wilde Rennstrecke direkt an der Nordsee. Eichner auf dem 4. Startplatz. Harter Fight. Führungswechsel in jeder Runde. Beinharte Überholmanöver. Eichner lag auf 4. Position.
Um - wenn auch „mit der Brechstange“ - die Meisterschaft doch noch für sich zu entscheiden, entwickelte Peter blitzschnell ein Szenario in seinem Kopf:
In der Linkskurve hinter der Boxenanlage ganz innen einlenken. Durch diese Blitzattacke längsseitig zum 3. kommen. Durch „bessere Linie“ in folgender Linkskurve Position 3 übernehmen. Schwung in Anfahrt auf Rechtskurve in den Dünen ausnutzen und 2. ausbremsen.
Doch was nutzte es, wenn zwar im Kopf alles präzise ablief, die Realität aber nicht mitspielte und es an Zutrauen zu sich selbst mangelte.
Sie rasten also weiter. Die ersten Fünf fuhren, wie jede Runde, ein Windschattenrennen. Abstände von mehr als zwei Metern waren die Ausnahme. Niemand gab auch nur einen Zentimeter preis.
Im hinteren Teil der Rennstrecke, in den Dünen, wurden vor der Anfahrt der Schikane Geschwindigkeiten von mehr als 200 km/h gemessen. Vor der Schikane fuhr jeder die „Kampflinie“, indem er die Rechtskurve innen anbremste, um selbst nicht ausgebremst werden zu können. In der vorletzten Runde versuchte Keke einen Überrundeten außen zu überholen, der sah die Verfolger im Spiegel anfliegen, blieb außen, weil er Platz machen wollte, eine Kettenreaktion war die Folge. Die ersten Fünf fuhren sich gegenseitig ins Heck! Alle Rennwagen waren schwer beschädigt, keiner der Piloten sah die Zielflagge!
Wieder gewann ein Außenseiter! Wieder holte Peter keine Punkte! Wieder hatte er ein Auto zu Schrott gefahren! Nächtelang warf er sich sein Zögern vor: Warum hast DU nicht schon in den Runden zuvor überholt? Warum hast DU dich nicht getraut? Was wäre passiert wenn…? Doch Hätte, Wenn und Aber gibt es nun mal nicht – und schon gar nicht im Motorsport!
Zwei Tage hatten sie gebraucht, um in Zandvoort – bei furchtbarem Wetter – den Rennwagen wieder fahrbar zu machen. Zwar gelang das optisch tadellos, aber technisch gesehen eben nicht zu 100%! Beim Vermessen des Rahmens stellte sich heraus, dass das Monoquoque durch den Aufprall irreparabel beschädigt, also krumm war. Für ein Ersatzchassis gab es kein Budget!
Knutstorp in Südschweden blieb nun als letzte Chance in der laufenden Saison. Direkt von Amsterdam aus wurde die Stena Line-Fähre nonstop nach Göteborg gebucht. Nachdem der Lkw im riesigen Bauch des Schiffes vertäut war, suchten alle Mitglieder des Teams fast unverzüglich ihre Kabinen auf. Jeder war froh, sich mal zurückziehen zu können. Da die Überfahrt ruhig war, hinderte sie nichts daran, endlich mal ausgiebig Schlaf nachzuholen. Zwischendurch traf man sich nur ab und zu im Restaurant, um sich am Büffet mit frischen schwedischen Leckerbissen zu stärken. Von Göteborg aus ging’s dann weiter Richtung Malmö.
1 Knutstorp: 6. Startplatz für Eichner. Besonderheit: Steilkurven. (Herausforderung für jeden Piloten: der „rechte Fuß“ will nicht gehorchen, da das Hirn signalisiert: das geht niemals! Geht aber doch! Physik muss man eben verstehen und daran glauben!) 7. Runde von 25. Eichner auf Platz 3. Ausgang der Steilkurve: Eichners Monoposto stellt sich plötzlich quer. Er versucht zu reagieren. Zu spät! Der Motor explodiert! Kapitaler Kolbenfresser. Folge der Fliehkräfte?
Aus, Ende, Amen!
Auge um Auge, Zahn um Zahn
Ausgesprochen demoralisiert packten sie abends zusammen und machten sich am nächsten Morgen auf den Weg nach Göteborg. Da eine Baustelle die Weiterfahrt auf der Autobahn verhinderte, mussten sie auf die Landstraße ausweichen. Als sie gerade durch ein kleines Dorf mit wenig mehr als einer Handvoll Häusern fuhren, realisierten alle den roten Blitz. Zu schnell gefahren! Auch das noch! Ein weißer Volvo überholte und wies sie an zu halten. Polizei! Erich Hitchfel saß am Steuer. Umgerechnet 200 DM wollte sie für die Geschwindigkeitsübertretung von 21 km/h kassieren. “So viel Bargeld haben wir nicht mehr dabei!“, erklärte Erich. „O.k., dann müssen sie eben mit aufs Revier! Ohne Bezahlung kommen sie nicht weiter!“
Peter murmelte etwas wie: …verdammtes, von allen guten Geistern verlassenes Nest … reine Abzockerei! ... alles Schikane!“ „Schikane hin oder her“, meinte Erich, „Tatsache ist, dass wir das Geld wirklich nicht haben!“ Inzwischen kramten alle in ihren Geldbörsen. 320 DM waren das Ergebnis des gemeinsamen Kassensturzes. Die Passage von Schweden nach Holland war zwar bezahlt, aber essen mussten sie ja schließlich auch noch etwas und die Benzinkosten von Amsterdam nach Mannheim hatten sie ebenfalls noch zu berappen.
Inzwischen waren sie auf dem Revier angekommen und warteten auf die Rückgabe ihrer Reisepässe, die die beiden Beamten zur Überprüfung der Daten an sich genommen hatten. Endlich ging die Tür wieder auf: „Glück gehabt – gegen sie liegt nichts vor! Das soll aber nicht heißen, dass sie ohne zu bezahlen gehen können! – Entrichtung der Strafgebühr gegen Reisepässe!“
Erich stand auf, zwinkerte den anderen unmerklich zu, ging zum Fenster und öffnete es. Ganz ruhig und besonnen sagte er: “Wenn sie uns nicht die Möglichkeit geben diese Strafe von Deutschland aus zu begleichen, werde ich aus dem Fenster springen!“
Alle Beteiligten schwiegen und blickten zu Erich, der nach wie vor am Fenster stand und keine Miene verzog. Der Polizeiobermeister zündete sich derweil eine Zigarette an und inhalierte genüsslich. „Na los, springen sie! Ich schau‘ ihnen gern dabei zu!“
Peters Renate, die ihn seit jenem Tag zu allen Rennen begleitete, konnte die Tränen kaum noch zurückhalten. Verzweifelt versuchte sie nun den Beamten klarzumachen, dass sie zwar bezahlen könnten, aber dann keinerlei Reserven mehr hätten, um ihre Reise nach Deutschland fortzusetzen. „Das hätten sie sich vorher überlegen müssen! Schließlich hat sie niemand gezwungen, so schnell zu fahren!“
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