„So, jetzt schauen wir noch mal kurz, ob dein Wagen richtig eingestellt ist. In wenigen Sekunden checkte er ihn: Der Stabilisator ist für diese Strecke zu weich! Mehr Stabi! Volker bitte korrigieren! Reifendruck 2.0/2.2. Verkehrt! Abends wird es kühler. Vorne und hinten um 0.1 absenken!“ Knut und Volker richteten alles in Windeseile. „Noch drei Minuten bis zum Start! Die Helfer bitte die Startaufstellung verlassen!“, schallte es aus dem Streckenlautsprecher.
Knut ermahnte noch einmal: „Sei absolut konzentriert, riskier‘ nicht zu viel und bewahre dein Selbstvertrauen. Du wirst merken, dass dein Wagen mit der neu eingestellten Stabi-Abstimmung viel stabiler liegen wird. Speziell in der Rechtskurve, vor der Gegengerade und in der Linkskurve kurz vor der Schikane hinten im Wald. Ab der 3. Runde kannst du dann dein Auto fliegen lassen. Ich vertraue dir! Du kannst das! Hals- und Beinbruch!“
Die Startflagge fiel. Nun galt für Peter alles, was er sich vorgenommen hatte, in die Tat umzusetzen: die gesamte Zielgerade bis zum ersten Linksknick auf der linken Seite bleiben, dann in Anfahrt auf den Rechtsknick nach innen wechseln. Es gelang ihm. Drei Wagen hatten sich bereits aus dem Feld verabschiedet. Sie waren einfach zu schnell gefahren, drehten sich beim Anbremsen und schoben sich dann gegenseitig von der Piste. Die schnelle Rechtskurve vor der Gegengerade fuhr auch Peter viel zu schnell an. Als er im Rückspiegel zwei Piloten sah, die Anstalten machten, sich in seinem Wind-
schatten anzusaugen, gab er ziemlich unkontrolliert Gas.
Insgesamt war sein Speed jedoch nicht zu hoch. Er hatte sogar noch Luft nach oben. Noch schneller zu fahren war möglich. In der nächsten Runde raste er mit 6200 Umdrehungen durch diese Passagen. Mit 200 Umdrehungen mehr als im Training.
Bei Start und Ziel sah er die Tafel von Volker: Pos. 6! Noch 7 Runden. Drei Runden vor Schluss war er bereits an 3. Position. Zwei Runden vor Schluss auf 2. Plötzlich tauchte Knut am Streckenrand auf – in seinem blauen Anorak – und schüttelte die Faust. „Was hat er denn?“, fragte sich Peter. Die Frage beantwortete sich sehr schnell von selbst. In der Anfahrt auf die vorletzte Schikane, sah er plötzlich blauen Qualm aufsteigen. Ein Überrundeter hatte offensichtlich seinen Bremspunkt zu optimistisch angelegt und war dem an Position 1 liegenden Fahrer direkt in die Seite geknallt!
Damit war der Weg frei zum ersten Sieg im ersten Rennen. „Nur noch heil ins Ziel kommen!“, flehte er. Die Zielflagge war das Schönste, was er an diesem Tag zu sehen bekam. Er riss die Arme hoch, während er die Auslaufrunde zu Ende fuhr. In der Box stürzten sich Knut und Volker regelrecht auf ihn und schüttelten ihn. „Das ist kein Traum, Peter! Du bist ein richtiges Talent! Das ist ja der Wahnsinn! Ich bin so froh, dass ich dabei war!“, sagte Knut. Volker stammelte nur: „Hammer – absolut Hammer!“
Als Peter sich gerade noch trocken rubbelte, weil er vollkommen verschwitzt war, hörte er durch den Fahrerlagerlautsprecher den Aufruf: „Wenn der Peter Eichner nur halb so schnell wie im Rennen wäre, dann hätten wir ihn auch hier bei der Siegerehrung!“ Oh je – das hatte er ja völlig vergessen! Einen Pokal im ersten Formel Rennen und am nächsten Tag die Möglichkeit, nochmals zu starten – von Startplatz 26 aus! Das war mehr als er sich je erträumte!
Erfahrungen im Grenzbereich
Sonntag, 11:00 Uhr: 30 Rennfahrer am Start. Startposition 26 für Peter. Ein Chaos-Rennen kündigte sich an. Der Himmel spielte verrückt. Der ständige Wechsel zwischen starkem Regen und Sonnenschein wurde begleitet von einem Temperatursturz um 11° Grad. Wahrhaftig nicht die Voraussetzungen, die man sich als junger, unerfahrener Pilot wünschte.
Offenbar hatte ein Schutzengel Peter als Neuling erkannt und ihn unter seine Fittiche genommen. Der Start glückte. Er blieb von Kollisionen verschont. Schon nach zwei Runden war er auf der 12. Position. Die Montage von nagelneuen Regenreifen zahlte sich aus. Während der ersten neun Runden gab es unzählige Ausrutscher und Unfälle. Peter wurde nicht darin verwickelt. Es reichte zum 6. Platz und dem 2. Pokal an einem Wochenende. Peter dankte seinem vermeintlichen Schutzengel und hoffte, dass er ihm gewogen blieb. So viel Glück hatte er noch nie erlebt!
Volker und er packten zusammen, bugsierten den Rennwagen auf den Hänger und verstauten die Räder und Reifen. Eigentlich hatten sie vor, so früh wie möglich die Heimreise anzutreten.
Doch dann zeigte sich, wieviel Respekt man sich innerhalb von 24 Stunden aufbauen kann. Nach ihrer Ankunft am Samstag, erfuhren sie zwar Freundlichkeit, aber man merkte doch, dass man beide auch ein wenig belächelte. Am Samstagabend erntete Peter im Restaurant von den anderen Fahrern schon das ein oder andere anerkennende Schulterklopfen. Am Sonntag sah es dann ganz anders aus! Eine stattliche Anzahl von Besuchern fand sich nach dem Rennen an der Box ein, um mit dem neuen Rennfahrer zu sprechen oder auch nur mal einen Blick auf ihn und seinen Boliden zu erhaschen. Die Abreise verzögerte sich.
Ein sehr hübsches Mädchen aus Mannheim strahlte ihn mit ihren wunderschönen blauen Augen besonders an. Sie hatte ihre Freundin zum Rennen begleitet, da diese mit Jockel zusammen war, der das A-Rennen gewonnen hatte und jetzt die Meisterschaft anführte. Als sie erfuhr, dass Peter auch aus Baden Württemberg war, steckte sie ihm gleich einen Zettel mit ihrer Telefonnummer zu. „Melde dich doch mal! Du bist immer willkommen. Magst du Pizza, Peter?“ „Ja klar!“ „Wir haben nämlich die beste Pizzeria in ganz Mannheim. Alle Studenten kommen gern zu uns. Es ist immer was los und es schmeckt echt lecker!“ Am liebsten hätte er ja gleich zugesagt, aber das wollte er Volker nicht antun. „Susanne, ich melde mich! Ganz fest versprochen!“
Schön war die Rückfahrt. Sie fuhren im Windschatten von Knuts weißem Porsche 911 Carrera. Allerdings nur so schnell, wie es der Audi - vor allem mit Anhänger - zuließ. Der Carrera hatte unter diesen Umständen natürlich ein ganz anderes Überholimage. Aber mal so richtig in Schwung, erreichten auch sie Geschwindigkeiten von fast 160 km/h. Muss eine schöne Attraktion für viele Sonntagsausflügler gewesen sein…
Bis zum September, wo in Hockenheim das Saisonfinale 1972 stattfand, fuhr Peter noch zwei Rennen. Beim Flugplatzrennen in Sembach bei Kaiserslautern wurde er Dritter und anschließend holte er auf dem Flugplatz in Kassel/Calden einen 4. Platz heraus. Er hatte es richtig genossen, mal wieder Podiumsluft zu schnuppern. Seine guten Resultate führten zudem auch dazu, dass er nach nur einer halben Saison eine Einladung von VW-Motorsport bekam, an deren Saisonfinale teilzunehmen.
Im Umfeld eines Formel 2-Rennens starteten die FV Piloten um 10:30 Uhr morgens im Rahmenprogramm. Dieses Mal saßen auch einige von Peters Kollegen der BULOVA Deutschland auf der Tribüne. Sein 8. Startplatz in diesem Feld war das Resultat einer couragierten letzten Trainingsrunde. Der Trainingsschnellste hatte ihn in der legendären Ostkurve überholt und so ergab sich für Peter die Gelegenheit, sich in seinem Windschatten bis zum Motodrom-Eingang „ziehen zu lassen“. In einem Riesenfeld mit 34 Startplätzen letztlich unter den Top 10 zu landen, machte Peter ziemlich stolz.
Den Start meisterte er ausgesprochen gut. Als 7. fuhr er in der ersten Runde in das voll besetzte Motodrom, in dem man als Fahrer die Zuschauer zwar nicht sieht, sie dafür aber jubeln und schreien hört. Ein Gefühl als hätte man Flugzeuge im Bauch! Gigantisch!
In die Zielgerade einfahrend sah Peter, wie der 5. sich neben den 4. setzte, um ihn auszubremsen. Der 4. war ein ihm unbekannter Holländer, der im Moment des Einlenkens offenbar nicht bereit war, freiwillig seine Position aufzugeben. Die beiden freistehenden Räder verhakten sich, das eine Fahrzeug stieg auf und überschlug sich über den Überrollbügel.
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