Peters einzige Chance war, rechts zu bleiben. Als er dann die Curbs berührte – die Randsteine, die auf einer Rennstrecke die Fahrbahn vom Grünstreifen abtrennen – realisierte er schlagartig, dass ein Auto - von vorne kommend - direkt auf ihn zuflog. Dessen Vorderrad wurde zu Peters Sprungschanze – direkt in den Himmel…!
„Steig aus! Komm, du musst hier raus! Schnell!“ Das waren die ersten Worte des Streckenpostens, die er wieder wahrnahm. Nur zu gern wollte er raus! Aber es ging nicht! Sein linker Fuß oder besser gesagt, das Sprunggelenk, war gefangen im Gitterrohrrahmen des Rennwagens. Das Vorderteil abgeknickt im rechten Winkel. Die Aufhängung gebrochen. Erschwerend kam hinzu, dass er praktisch – wie ein Pfeil, der aus dem Himmel kommt – zwischen einer Doppel- Leitplanke „gelandet“ war.
Adrenalin satt! Seltsamerweise fühlte sich Peter geradezu euphorisch, weil er seinen Körper noch fühlen konnte, obwohl er gerade „ungespitzt in den Boden“ gerammt wurde! Mehr und mehr Zuschauer, die aus dem Fahrerlager Zugang hatten, drängten an den Unfallort.
Plötzlich spürte er, dass ihm irgendetwas Feuchtes, vom Rücken über den Po, an den Beinen herunterlief. BENZIN! Der Tank aus Polyester, normalerweise hinter dem Rücken des Fahrers positioniert, war gebrochen und befand sich in Schräglage. 30 Liter Benzin entleerten sich über Pit.
Seine Euphorie war schlagartig wie weggeblasen. Er hatte nur noch Angst, Angst und nochmals Angst! “Holt ein Stemmeisen, schnell!“, rief der Streckenposten. Gleichzeitig versuchte er mit bloßen Händen den Rahmen so aufzubiegen, damit Peter seinen Fuß herausziehen konnte – ohne Erfolg! Die Minuten verrannen wie Stunden. Als Peter sich umschaute und er unter den Gaffern einen Mann sah, der sich gerade eine Zigarette ansteckte, während er benzindurchtränkt im Auto gefangen war, ergriff ihn die völlige Panik!
„Schau dir das an! Dreh dich mal um! Siehst du den Typen da, mit der Zigarette!?“, schrie er dem Streckenposten zu. Dieser nahm sich sofort den Mann vor: “Mach die Zigarette aus, augenblicklich!“ Keine Reaktion! „Mach diese verdammte Zigarette aus – hier fließt Benzin!!“ Keine Regung!
„O.k., dann muss ich das Problem eben auf andere Art lösen!“ Unverzüglich ergriff er den Feuerlöscher, zog den Haltestift und machte im nächsten Moment aus dem Gaffer einen Schneemann – von oben bis unten eingeschäumt, inklusive der Zigarette. Er sah aus wie ein Michelin-Männchen! Da der Löschschaum wohl höllisch in seinen Augen brannte, schrie er nun wie am Spieß.
Dann kam endlich jemand mit einer Brechstange und befreite Peter aus seiner schrecklich gefährlichen Lage. Clever war, dass die beiden Helfer vorher einen Putzlappen um die Eisenstange gewickelt hatten, damit sich keine Funken bilden konnten, die möglicherweise übersprangen. Ansonsten hätte Peter in Flammen aufgehen können!
Der Streckenposten – Konrad Tronser, genannt Konny – und Peter pflegten ab diesem Tag eine dicke Freundschaft, die bis heute besteht.
Nach dem Duschen musste Peter mit ansehen, wie sein Rennwagen, beziehungsweise das, was noch von ihm übriggeblieben war, auf den Anhänger geladen wurde. Grausam wurde ihm klar, dass das jetzt erst mal das Ende seiner Rennfahrerkarriere war. Versicherungen, die einen Unfall bei Rennwagen abdeckten, waren rar und wenn sie dann in seltenen Fällen doch mal abgeschlossen wurden, blieben sie fast unerschwinglich. Aus verständlichen Gründen! O.k., das war also sein persönlicher Saisonabschluss. Kein Auto, kein Geld mehr – aber eine Winterpause.
Wie sagt man doch so schön? Die Zeit eilt, heilt und teilt…!
Und wenn du denkst es geht nicht mehr …
Vier Tage vor dem Weihnachtsfest des Jahres 1972 fand bei BULOVA Deutschland die Weihnachtsfeier statt. Peter fühlte sich ziemlich ausgepowert, da er in den letzten drei Monaten wie ein Verrückter gearbeitet hatte. Er wollte einfach auch im nächsten Jahr wieder Rennen fahren und dazu brauchte er dringend Geld. Also gab es nur eines: Arbeiten – ohne Ende und mit Vollgas.
Als jüngster Reisender für einen Markenartikler war Peter inzwischen in der Branche recht bekannt geworden. Das half ihm enorm. Nachdem dann auch noch „ Markt Intern “, eine Fachzeitschrift für den Deutschen Juwelier, über ihn berichtete, wurden ihm die Türen noch schneller geöffnet!
Am 2o. Dezember saßen nun Rudolph Charles Richter, seine Kaderleute und natürlich alle anderen Mitarbeiter bei einem vorweihnachtlichen Abendessen zusammen. Wie jedes Jahr wurden in diesem Zusammenhang herausragende Leistungen der Belegschaft gewürdigt. Den Meisten ging es jedoch nicht nur um die Ehrung, sondern – was viel wichtiger war – um einen Umschlag, der eine Prämie enthielt. Dazu gab es meist auch noch eine besondere Armbanduhr als Geschenk.
Peter hatte es geschafft, an diesem Abend direkt neben Penny zu sitzen. Das war ihm wirklich wichtig. Er musste nur aufpassen, dass er sie nicht den ganzen Abend anschmachtete… Aber sie sah einfach wieder umwerfend süß aus mit ihren roten Locken, dem hautengen, superkurzen, schwarzen Cocktailkleid und natürlich – mit High Heels! Kurz und gut, einfach sowas von sexy! London calling…
Während die Ehrung der Kollegen im vollen Gang war, ging Peter dazu über Penny zu „ehren“. Der gute Badische Rotwein hatte seine Zunge gelockert und so versuchte er permanent, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Das Ganze natürlich gespickt mit viel Charme und massenhaft Komplimenten. Frauen galten ja dafür als besonders empfänglich. Heute musste es einfach passieren! Seine männlichen Kollegen am Tisch bemerkten schon allmählich, was da vor ging und zeigten sich etwas genervt über diese „penetranten Anbaggerungsversuche“ des jungen Mannes. Auf der anderen Seite stellte dieser jedoch keine echte Bedrohung dar. Schließlich war er ja noch viel zu jung. Viel zu jung – im Gegensatz zu diesen erfahrenen Männern!
„Kommen wir nun zur letzten Ehrung!“ Peter hörte ausnahmsweise mal wieder zu. „Seit April dieses Jahres haben wir einen neuen Kollegen im Team. Obwohl er erst einundzwanzig Jahre jung ist, leistet er hervorragende Arbeit. Unsere Sales Force hat neun Mitglieder. Der junge Mann, um den es hier geht, hat den drittbesten Umsatz gemacht – und das in nur drei Quartalen! Darüber freue ich mich ganz persönlich und bitte nun um einen entsprechenden Applaus für unseren Peter Eichner!“
Penny klatschte begeistert in die Hände: “Los, auf geht’s! Und denk‘ dran – immer schön cool bleiben!“ Über beide Ohren grinsend, ging Peter nach vorne, wo ihn der große RCR herzlich an seine Brust drückte: „Well done, Peter, good job!“
Mit einer noblen Accutron Uhr mit Bicolorarmband sowie einem ziemlich dicken Umschlag eilte er zum Tisch zurück. Seine Neugier war kaum zu bremsen. Bevor er sich überhaupt setzte, entschuldigte er sich kurz und verschwand auf die Toilette. Mit schweißnassen Händen riss er den Umschlag auf: 3.000 DM! Ihm wurde schwindlig vor Freude. O.k. – immer schön cool bleiben, dachte er und riss sich zusammen. Als Penny ihn zurückkommen sah, sprang sie auf, lief auf ihn zu und drückte ihm – unter dem Gejohle der Kollegen – einen dicken Kuss auf den Mund. Er wusste gar nicht wie ihm geschah. Es war einfach geil! Einen „Gefühlsausbruch“ dieser Art, konnte keiner seiner männlichen Kollegen bisher für sich verbuchen. Viel zu jung? Möglicherweise doch nicht!
Kurz nach Mitternacht hatte er Penny dann endlich überredet, mit ihm noch ins PIKA zu gehen. Das war eine kleine, intime Disco, in der zwar auch getanzt wurde, man sich aber hauptsächlich an der Bar aufhielt, um „gute“ Gespräche zu führen. „Einen Whisky Sour und einen Gin Tonic, bitte – mit viel Eis“, bestellte er.
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