Ich verlor das Mana und die Funken erloschen. „Man, Deaken“, stieß ich aus und verdrehte die Augen. „Kündige dich gefälligst an und schleich nicht so rein.“
„Sorry“, grinste er und kam herüber. „Komm mit, ich will dir was zeigen. Deine Tasche kannst du hierlassen.“
Ich rutschte vom Tisch und folgte ihm ein paar Räume weiter. Das Mana änderte sich und ich spürte eine mir unbekannte Struktur, als wir in einem etwas kleineren Raum anhielten.
„Das fühlt sich aber komisch an“, ließ ich ihn wissen und schaute mich um. Der Raum sah aus, als wäre er länger nicht benutzt worden. „Wo sind wir?“
„Dieser Raum hat die gleiche Mana-Struktur wie Wisteria. Ab sofort werden wir deine Übungsstunden hier fortsetzen“, erklärte er.
„Jetzt schon?“ Ich wusste ja, dass es Anders-Welten gab, die eine einzigartige Mana-Form aufwiesen und dass Wisteria dazugehörte. Doch dass ich schon in meinem ersten Jahr hier üben würde hatte ich nicht gedacht.
„Ja, jetzt schon“, meinte er. „Es gibt ein paar unerwartete Entwicklungen und wir müssen zusehen, dass du mit dem Mana hier auch zurechtkommst.“
Ich konnte Sorge in seinem Blick lesen. „Was ist denn passiert?“, fragte ich argwöhnisch aber neugierig.
„Du weißt, dass Wisteria gerade keinen Hüter hat?“, fragte er und ich nickte. Mein Vorgänger war gestorben, weshalb meine Ausbildung vorangetrieben wurde. Das hatte May mir erklärt, kurz nachdem ich hier angekommen war.
„Ja“, antwortete ich noch mal laut. „Deswegen hat Ava meinen Schlüssel.“
„Richtig. Allerdings ist sie nun mal nicht die Hüterin. Das heißt, sie kann nur beobachten und berichten. Es geht Einiges dort vor und wir brauchen mehr als einen Beobachter. Wir brauchen einen Hüter, der richtig eingreifen kann.“ Er schaute mir direkt in die Augen. „Wir brauchen dich.“
Kurz fehlten mir die Worte. Die normale Ausbildung dauerte bis zu sieben Jahre. Meine würde unter Umständen kürzer ausfallen, weil eben Not am Mann war, aber ehrlich mal, ich hatte gerade erst ein Viertel des Schuljahres rum.
„Ähm. Und was genau, soll das jetzt heißen?“, hakte ich nach und ahnte schon, was kommen würde.
„Du wirst demnächst auch in Raum-Zeit und Mythen ein paar zusätzliche Stunden bekommen. Außerdem wird dein Kampftraining vorgezogen.“
„Waaaas? Oh nein, bitte“, flehte ich, denn Kampftraining war das Letzte, was ich wollte. Ich hatte mich dieses Jahr um den Kurs drücken können, denn er war noch wahlfrei und würde erst im dritten Jahr Pflicht werden, doch Deakens Blick ließ mir keine Wahl. „Verdammt“, fluchte ich leise und schaute bedrückt zu Boden.
„Es wird schon nicht so schlimm.“
„Glaubst du. Ich hasse es jetzt schon.“ Körperliche Auseinandersetzungen waren einfach nicht mein Ding. Ich konnte verbal austeilen und argumentierte besser als so mancher Debattierer. Aber mich schlagen? Musste ich nicht haben.
„Es hat auch was Gutes“, meinte er nun und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen.
„Das glaubst auch nur du“, entgegnete ich, ohne zu wissen, was er überhaupt meinte.
„Mhh.“ Jetzt klang er nachdenklich.
„Sagst du mir, was das sein soll?“, fragte ich trotzdem und verzog das Gesicht.
„Ich weiß nicht. Wenn du schon so negativ eingestellt bist ...“
„Haha. Erzähl!“
„Nein. Lass dich überraschen. Deine erste Stunde ist übrigens schon heute Abend, soll ich dir von May ausrichten. Dein Abendessen wird sich also nach hinten verschieben.“
„Toll. Wunderbar“, grummelte ich vor mich hin. „Wird ja immer besser. Fehlt nur noch so ein Wicht von Trainer, der alles besser weiß und mich grün und blau schlägt.“
Trotz dass ich mehr gemurrt als gesprochen hatte, hatte Deaken es gehört und lachte auf. „Na los. Komm, lass uns üben. Das lenkt dich ab.“ Damit trat er in die Mitte des Raumes und baute sich auf. „Wir fangen klein an, damit du dich an das Mana gewöhnst.“
Nach einer Stunde hatte ich es immer noch nicht raus. Diese Energie war so anders. Ich konnte sie greifen und formen, aber irgendwie kam am Ende doch nur ein verzerrtes Etwas von dem dabei heraus, was ich eigentlich erschaffen wollte.
„Wieso ist das so schwer? Ich versteh das nicht“, schmipfte ich vor mich hin, als wir auf dem Rückweg in den Hauptraum waren.
„Du schaffst das schon. Es war deine erste Stunde da drin. Und vergiss nicht, dass du das Mana nur hier wirklich brauchst. In Wisteria wirst du auch ohne auskommen können.“
„Es wäre bestimmt effektiver, wenn ich dort üben könnte.“ Auf jeden Fall wäre es das. In Wisteria würde ich nämlich nur meine Vorstellungskraft und ein bisschen Geschick brauchen, um meine Gedanken mit der Magie zu verbinden. Mana war dort praktisch überflüssig für mich. Ich lernte es nur, um es im Notfall nutzen zu können, sollte meine Hütermagie mal versagen. Was kaum vorstellbar war.
„Wäre es. Aber du darfst noch nicht durch die Tür“, hielt Deaken fest.
„Ich könnte den Hüterschwur ablegen.“
„Aber den Test würdest du nicht bestehen.“
Ich wollte noch fragen, was denn genau überhaupt geprüft wurde, doch da waren wir schon im Hauptraum, wo meine Klassenkameraden warteten. Oharas Blick verfinsterte sich sofort und mir fiel wieder ein, was sie gesagt hatte. Kurz huschte mein Blick zu Deaken - ab jetzt Professor Rivers - und dann zu ihr zurück. Ich nahm mir vor, aufzupassen, ob sie recht hatte und er und ich wirklich immer in der Nähe des anderen waren. Wenn ja, dann war es jedenfalls nicht, weil ich es darauf anlegte.
Mir kam ein Gedanke. Bedeutete es vielleicht, dass er es tat? Aber warum sollte er?
So ein Quatsch. Das war sicher nur Zufall. Weave Mansion war zwar groß, aber so viele gemeinschaftliche Aufenthaltsmöglichkeiten gab es nicht. Da konnte es immer wieder passieren, dass man sich über den Weg lief. Speziell, wenn man hier auch wohnte. Was ihn und mich einschloss.
Deaken begann die Stunde und ich folgte seinen Anweisungen wie immer penibel. Hier klappte es besser. Das Mana in diesem Raum war ein Gemisch aus allen. Wir konnten frei wählen. Wisterias Magie spürte ich allerdings nicht. Die ersten beiden Stunden vergingen schnell und die dritte war dann endlich still. Denn diese nutzten wir immer zum Meditieren. Keiner sprach mehr oder fluchte, weil etwas nicht klappte. Jeder konzentrierte sich auf sich.
Mein Magen knurrte peinlich laut und ich konnte spüren, wie mein Gesicht rot wurde. Ich öffnete die Augen und warf einen verstohlenen Blick in die Runde. Einige waren so tief versunken, dass sie es gar nicht mitbekommen hatten, andere hatten es sehr wohl gehört. Dyllan grinste breit mit geschlossenen Augen, Ohara verdrehte ihre hinter den Lidern und Deaken lächelte amüsiert. Als mein Blick auf ihn fiel, öffnete er seine Augen und schaute zu mir.
Ich versuchte einen fragenden Blick und er nickte leicht. Also stand ich auf, holte leise meine Tasche und verließ den Keller. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich eine gute halbe Stunde zu früh beim Essen sein würde, aber das Magietraining machte echt Hunger und immerhin hatte ich schon eine Stunde vornweg gehabt.
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