„Ich seh doch, wie du dich Deaken an den Hals wirfst!“
Bitte was tat ich?
Mein Blick musste das auch gesagt haben, denn sie zischte weiter. „Jeder hier sieht das! Glaubst du etwa, das fällt nicht auf? Ständig hängst du ihm am Hemdsärmel!“
Oh ... mein ... Gott. Sah das wirklich so aus? Himmel, nein! Da war was komplett falsch rübergekommen! Okay, wir redeten ab und an, aber meist über Lia oder den Unterricht.
„Ich hänge ihm nirgendwo dran! Erzähl nicht so einen Scheiß!“
„Ach nein? Warum bist du dann ständig im Keller? Oder in der Bibliothek? Oder im Wintergarten? Du bist ständig da, wo er auch ist! Halt mich nicht für blöd, Waters!“
Ich konnte nicht mehr tun, als sie anzustarren, während sie meinen Blick festhielt, dann endlich schaffte ich es, zu verarbeiten, was sie eben gesagt hatte. „Ich bin im Keller, weil ich Extrastunden in Magie bekomme, das weiß jeder! Und ich lerne. Dazu braucht man Bücher und die stehen nun mal in der Bibliothek! Im Wintergarten bin ich, weil da das Licht am besten ist und nicht, weil er da rumhängt!“, fauchte ich zurück. Mir war auch ehrlich gesagt gar nicht aufgefallen, dass er da war. Warum auch? Ich ging da zum Zeichnen hin, nicht um mich außerhalb des Unterrichts mit meinen Professoren zu treffen.
„Ihr duzt euch!“, zischte sie eine weitere Anschuldigung.
Gut, das war eigentlich keine Anschuldigung. Es stimmte. Waren wir allein, duzten wir uns. Aber nur, weil wir uns auch privat kannten, durch die Anstalt und so. Außerdem war Deaken gerade mal Mitte 20 und fand es doof gesiezt zu werden.
„Und was wolltest du gestern im Professorenflügel?“, giftete sie weiter.
„Gott, stalkst du mich?“
„Was wolltest du da, Waters?“, fragte sie noch mal.
„Ich war bei Professorin Rivers. Sie hat mir ein paar Aufzeichnungen über meine Anders-Welt gegeben! Hörst du mal auf, mir was andichten zu wollen!“
Wieder funkelte Ohara mich nur böse an. Doch endlich schienen ihr die Anschuldigungen auszugehen. Ein letzter Blick und sie drehte sich wieder nach vorn. Ich ließ mich zurücksinken und schloss kurz genervt die Augen. Gott, die hatte Probleme.
„Sie hat recht“, kam es von der Seite und ich bemerkte erst jetzt, dass Dyllan aus seinen Gedanken aufgetaucht war. Er sah mich an, doch in seinen Zügen stand keine Abneigung oder Ähnliches. Ehrlich gesagt, war er meist recht teilnahmslos und neutral.
„Mit was denn?“, fauchte ich leise und warf ihm einen bösen Blick zu.
„Du bist immer da, wo auch er ist. Allerdings ist deine kleine Schwester schlimmer.“ Jetzt grinste er doch. Ich konnte nicht anders und musste ebenfalls lächeln. Lia war außerhalb der Schule tatsächlich ziemlich oft da, wo Deaken war. Sie hatte eben einen Narren an ihm gefressen.
„Ich hab echt keinen Plan, was ihr meint“, hielt ich fest und Dyllan schüttelte nur leicht amüsiert den Kopf. Dann richteten wir unsere Aufmerksamkeit wieder auf Professor White. Kurze Zeit später stand er bei mir und riss mich aus meinem Kapitel über Zeitverschiebung. Wir sollten es lesen und uns Notizen für einen Vortrag machen.
„Faylinn.“
Ich schaute auf und sah die Aufforderung zum Gehen in seinem Blick. Ich nickte und packte meine Sachen zusammen. Ohara warf mir erneut einen fiesen Blick über die Schulter zu, als ich aufstand und zum Fahrstuhl ging. Ich ignorierte sie, war allerdings gespannt, was da noch draus werden würde. Nur gut war ich gegen Gerede immun. Ich hatte es auf meiner alten Schule lange genug aushalten müssen. Lass sie reden und sie werden verstummen war mein Motto geworden.
Ich hielt die Schlüsselkarte vor den Scanner und drückte die Taste für den Keller. Die Türen glitten zu und der Lift hinab.
2
Der Keller, oder besser das Klassenzimmer für Magie, war das Einzige, was nicht wie ein Miniamphitheater aussah. Es umfasste genau genommen sogar sehr viele Räume. Türen gab es aber nicht, bis auf die eine vom Treppenaufgang hier rein. Es waren viele Zimmer, die durch kurze Wände getrennt waren. Ein Raum führte in den nächsten und man hätte sich locker verlaufen können ohne den Hauptweg, der sich zwar auch schlängelte, aber durch Symbole an den Wänden gekennzeichnet war. Wenn man den fand, fand man auch wieder raus.
Einmal hatte ich mich kurz verlaufen. Echt peinlich. Das wusste aber keiner. Nicht mal Lia. Die Räume zogen sich unter dem gesamten Haus entlang und ich vermutete, dass sie auch unter dem Garten weitergingen. Denn zu dieser Seite hin, gab es wesentlich mehr und größere Zimmer.
Kurz stand ich unentschlossen da, weil ich nicht wusste, wo Deaken heute üben wollte. Jeder Raum hatte eine andere Mana-Struktur, die man anders nutzen konnte, weil in den verschiedenen Anders-Welten ebenfalls verschiedene Mana-Strukturen vorherrschten. Ich entschied mich für den Hauptraum und lief los.
Kurz darauf stand ich im größten Raum. Hier war die Kraft fast physisch greifbar. Deaken war noch nicht da, also ließ ich meine Tasche auf einen Tisch fallen und setzte mich daneben auf die Platte. Ich hob eine Hand und ließ Funken blitzen. Das war es. Hier konnte ich auch zaubern und pure Freude durchströmte mich. Diese Räume waren der einzige Ort, an dem auch Hüter Mana-Magie nutzen und damit ihre Hütermagie trainieren konnten. Zwar war ich noch in der Ausbildung, doch zaubern gehörte dazu, denn irgendwie würde ich meine Anders-Welt später ja schützen müssen.
Hüter hatten als einzige Magier überhaupt die Fähigkeit, die Bilder aus ihren Köpfen lebendig werden zu lassen. Damit waren wir die stärkste Magiergruppe, die es gab. Denn wir könnten quasi alles tun. Selbst Tote könnten wir zurückholen, aber das hatte bisher kaum einer getan. Bei dem Versuch griff man in das Gefüge von Raum und Zeit ein und alles konnte sich verschieben, bis hin zu fürchterlichen Katastrophen.
Da alle Welten irgendwie miteinander verbunden waren, konnte es jede andere ebenso treffen, wenn man als Hüter nur einen magischen Fehler in seiner Welt machte. Unbeteiligte Welten konnten dadurch untergehen, was das gesamte Weave, also das Weltennetz, so erschüttern würde. Daraufhin konnte es zu weiteren verhängnisvollen Ereignissen in wieder anderen Welten kommen. Beispiel dafür waren unter anderem die Weltkriege auf der Erde. Irgendwo im Weave war damals etwas schiefgelaufen und die Menschenwelt hatte die Konsequenzen tragen müssen. Deshalb galten für Hüter auch die strengsten Regeln, was das Zaubern betraf. Und wir hatten die strengste Ausbildung, um wirklich jeden Fehler von vornherrein auszumerzen.
Meine Begabung im Zeichen half mir aber enorm beim Studium der Magie. Wenn ich malte, waren die Resultate so lebhaft, dass man meinen konnte, es wären Momentaufnahmen aus einem Film. Zu Anfang meiner Ausbildung hatte ich trotzdem Schwierigkeiten gehabt, sie auch dreidimensional aussehen zu lassen. Zum Glück hatte ich das mittlerweile ganz gut im Griff. Es war eben ein Unterschied zwischen etwas aus dem Kopf auf die Leinwand bringen und etwas aus dem Kopf wirklich real werden lassen .
Noch mal ließ ich die Funken tanzen und mischte etwas mehr Türkis hinein. Ein kleines Feuerwerk entstand knapp über meiner Handfläche und ein Lächeln stahl sich in meine Mundwinkel.
„Sehr schön“, drang Deakens Stimme an mein Ohr und schlagartig war meine Konzentration dahin.
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