Der diensthabende Officer blickte Colin gelangweilt an.
-„Was meinen Sie ist gerade auf den Toiletten passiert? Das glauben Sie doch selber nicht. Nur weil Sie die Tür nicht aufbekommen, müssen Sie hier nicht gleich irgendwelche Schauermärchen erfinden“, sagte er genervt. „Aber da Sie meine Mittagspause nun eh schon gestört haben, kann ich Ihnen gerne die Tür zu den Toilettenräumen öffnen.“
Der dicke Beamte erhob sich langsam aus seinem Sessel, legte sein Sandwich zur Seite und nahm einen Schlüsselbund vom Haken.
Während er vor sich hin grummelnd in Richtung der Toiletten ging, warf er hin und wieder einen abschätzenden Blick auf Colin. Dieser ließ sich davon gar nicht beeindrucken und schlenderte lässig hinter dem Officer her. Er konnte davon ausgehen, dass der große Osteuropäer längst über alle Berge war. Es war also keine Eile mehr geboten. Außerdem würde sich der dicke Beamte garantiert nicht hetzen lassen.
Bei den Toiletten angekommen, drückte der Flughafenpolizist mit festem Griff die Klinke der Tür hinunter, ähnlich wie es Colin vor wenigen Minuten ebenfalls getan hatte. Aber auch jetzt ließ sich die Tür nicht öffnen. Der Officer probierte einen der Schlüssel und drehte ihn im Schloss. Der Schlüssel war der richtige, aber trotzdem blieb die Tür verschlossen. So langsam wurde der dicke Beamte unruhig. „Das kann doch nicht…“, brummelte er vor sich hin.
-„Scheint so, als hätten Sie recht gehabt“, sagte er. Es fiel ihm merklich schwer Colin zustimmen zu müssen. Langsam nahm er sein Handy aus der rechten Tasche seiner Hose und drückte auf eine Kurzwahltaste.
„Bernie?“, fragte er den Teilnehmer am anderen Ende der Leitung. Als dieser sich meldete, fuhr er fort: „Wir haben hier ein kleines Problem mit der Tür zu den Toiletten, willst Du mal nachsehen, was hier los ist oder soll ich die Tür einfach öffnen?“ Die Antwort erheiterte ihn merklich, denn ein breites Grinsen zog sich über seine Lippen. „Zurücktreten!“, befahl er Colin. Er nahm seine Dienstwaffe aus dem Gürtelhalfter und schoss einmal auf das Schloss der großen Kunststofftür. Dann folgte ein kurzer Tritt, der dem dicken Beamten sichtlich schwer fiel und die Tür öffnete sich. Colin hechtete durch den Waschraum hindurch zu den Urinalen. Der Anblick, der sich ihm bot, war das Schlimmste, was er je gesehen hatte. An der weißen Kachelwand des Toilettenraumes, unterhalb eines geöffneten Fensters, klebte eine Gehirnhälfte und auf dem Boden erstreckte sich über mehrere Quadratmeter eine Blutlache. Mitten in dieser Blutpfütze lag, ebenfalls blutüberströmt und kaum noch erkennbar, die Leiche des Mannes, der vor wenigen Augenblicken noch mit seinem Handy gearbeitet und nahe dem Tisch der beiden auffälligen Gestalten gesessen hatte. Von dem großen Osteuropäer gab es keine Spur. Colin wollte gerade wieder aus dem Raum gehen, als eine Welle der Übelkeit ihn übermannte. Er übergab sich in eine Toilette. Mittlerweile stand auch der dicke Officer der Flughafenpolizei im Raum. Er war nun totenblass und murmelte irgendetwas Unverständliches. Es war sonnenklar, dass mit diesem Mr. Brown und seinem osteuropäischen Gesprächspartner etwas nicht stimmte. Bevor er überhaupt richtig in seinem neuen Job angekommen war, schien Colin schon einer großen Sache auf die Spur gekommen zu sein. Ihm war klar, dass Opal Alpha von diesen Ereignissen sofort in Kenntnis gesetzt werden musste. Aber vorher müsste er dem entstehenden Wirrwarr nach dem Fund der Leiche entkommen und Opal Gamma finden. Als Colin gerade die Toilettenräume und den Fundort der Leiche verlassen wollte, hielt ihn ein Mann fest und sprach ihn auf Deutsch an:
-„Guten Tag, Mister Fox. Entschuldigen Sie die Verspätung, aber ich musste dem Zoll noch erklären, dass ich die Ausrüstung hier nicht verkaufen will. Jetzt ist aber alles geklärt.“
Colin blickte ein wenig verdutzt auf den Mann in dem großen Mantel und einem Borsalino auf dem Kopf. Wer war dieser Mann? Er war ihm nie zuvor begegnet. Aber der schien ihn zu kennen. Zumindest kannte er seinen Namen und blickte ihm freundlich entgegen.
-„Verzeihung, aber wer sind Sie?“, fragte Colin immer noch etwas verwirrt.
-„Natürlich“, lachte der Mann. „Sie können ja gar nicht wissen, wer ich bin. Entschuldigen Sie, ich vergaß, mich vorzustellen. Mein Name ist Joachim Bergmann. Allerdings kennt man mich besser als Opal Gamma und Ausrüster des European Secret Service.“ Er nahm seinen Hut vom Kopf und streckte Colin die offene Hand entgegen. Colin schlug ein.
-„Nett, Sie endlich kennen zu lernen.“
Opal Gamma schien auf den ersten Blick ein wirklicher sympathischer Mensch zu sein. Ein schelmisches Grinsen hing dauerhaft auf seinen Lippen und seine Augen blickten Colin treuherzig durch eine kleine, runde Brille an. Er hatte kurzes, grau meliertes Haar und der Borsalino passte ausgezeichnet zu seinem Auftreten.
Hinter Opal Gamma standen mehrere, zu einem kleinen Hügel gestapelte Koffer.
-„Helfen Sie mir mal bitte mit meinem Gepäck“, sagte er mit einem Kopfnicken in Richtung des Kofferbergs.
-„Aber gerne“, erwiderte Colin zuvorkommend. „Allerdings gibt es hier ein kleines Problem, wie Sie ja sehen.“
Colins Blick wanderte wieder in Richtung der Leiche, die er soeben gefunden hatte. Durch die ansteckend gute Laune, die Opal Gamma seit seinem Erscheinen verbreitet hatte, hätte Colin fast vergessen, welch schreckliches Bild seinem Auge hier gerade geboten worden war. Wieder überkam ihn Übelkeit. Opal Gamma trat in die Toilettenräume ein und sah sich am Tatort um.
-„Deshalb also dieser Aufruhr“, murmelte er in Gedanken.
-„Vorhin habe ich in der Bar ein Gespräch zwischen dem mutmaßlichen Mörder dieses Mannes und einem anderen Mann namens Brown mit angehört“, bemerkte Colin. „Ich glaube, das könnte Opal Alpha interessieren. Die beiden sprachen davon, irgendwelche Freunde unter Druck setzen zu wollen. Ich denke, die Freunde könnten uns noch interessieren. Dieser Mann hier hat die beiden wohl belauscht. Das wurde ihm offensichtlich zum Verhängnis. Ich hatte Glück, dass die beiden nicht mitbekommen haben, dass ich ihnen ebenfalls zugehört habe. Wenn auch nur zufällig.“Während er seine Gedanken aussprach, wurde ihm erst bewusst, wie viel Glück er wirklich gehabt hatte, dass nun nicht er sondern dieser Mann hier lag. Das flaue Gefühl in seinem Magen verstärkte sich noch, als er realisierte, dass diese Lebensgefahr, in der er sich bewegte, nun sein Tagewerk war.
Allerdings fühlte er sich psychisch stark genug, um dieser Gefahr zu trotzen. Er musste eben der Überlegene sein. „Survival of the fittest“, wie Charles Darwin es genannt hätte. Also traf die Evolutionstheorie auch auf das Geheimagentendasein zu. Er schob diesen Gedanken beiseite, da ein breitschultriger Mann vor ihm auftauchte, der sich als CI Holtby vorstellte.
-„Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen“, sagte er mit monotoner Stimme.
Opal Gamma schritt ein.
-„Er steht Ihnen jetzt aber leider nicht zur Verfügung. Für Fragen wenden Sie sich bitte an diese Nummer.“ Er übergab dem Inspektor eine Karte mit einer Nummer der Konstanzer Handelskammer und schob Colin aus dem Toilettenraum. Als die Beiden wieder in der großen Halle des Flughafengebäudes standen und Colin bereits ein paar Koffer zum Ausgang tragen wollte, hielt ihn Opal Gamma plötzlich zurück.
-„Sie müssen bei jedem Einsatz versuchen, den örtlichen Behörden aus dem Weg zu gehen.“ Er blickte verstohlen zu dem Inspektor hinüber, der nun seine Befragungen fortsetzte. „Sie machen Ihre Arbeit, die ihre. Um unsere Interessen zu wahren, dürfen die Ihnen nicht in die Quere kommen. Und die Geschichte mit den beiden Männern und dem Mord hier müssen Sie Opal Alpha unbedingt noch mitteilen. Ob da was dran ist, weiß ich nicht, aber wir dürfen nichts außer Acht lassen. Haben Sie möglicherweise schon eine Ahnung, wer diese Freunde in New York sein könnten?“
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