1 ...6 7 8 10 11 12 ...23 Wütend sprang die Namenlose wieder auf die Beine:
„Was soll das? Warum hast du nicht weiter nachgesetzt?“
„Nun werte Dame, ich habe Euch ausgekontert- und nunmehr gewonnen."
Der junge Mann lachte.
„Du denkst du hast gewonnen Marzo? Gar nichts hast du! Nicht mit so einer kleinen Finte! Meinst du ich kann dich von hier unten nicht mehr töten? Mit dem Schwert nach deinen Beinen schlagen oder deine Gedärme von hier aus aufspießen? Es ist ein gewaltiger Fehler deinen Feind zu unterschätzen! Nichts ist vorbei solange dein Gegner nicht den letzten Atemzug ausgehaucht hat. Nur ein toter Feind ist ein besiegter Feind! Kein toter Gegner wird sich des Nachts an dich heranschleichen und dir aus Rache im Schlaf die Kehle durchschneiden.“
Lord Marzo fuhr sich angewidert mit der Hand zum Hals:
„Aber was ist wenn ...“
„Stärke ist alles! Töte deinen Gegner bevor er sich wieder von seinen Verletzungen erholt und sich rächen will. So einfach ist das."
"Ich kann doch nicht einfach so jemanden töten, die Ehre des Sieges muss doch nicht mit dem Tod des Besiegten einhergehen.", protestierte er.
"Marzo, du sprichst vom Töten als wäre es etwas Schlechtes, als hättest du es nie getan."
"Meine Dame, ich habe nie ..."
"Du hast getötet und gemordet Lord Marzo, so wie jedes Lebewesen auf unserer Welt. Nur durch den Tod anderer können wir selbst überleben. Pflanzen, Tiere... alle fallen sie uns zum Opfer, damit wir leben können. Erinnere dich an das Schlachten in eurem Anwesen in Finsterforst, wenn das Schwein aus dem Stall geführt wird. Es ist unruhig, es quiekt und grunzt um sein Leben, denn es riecht den Mord. Du kannst mir erzählen, dass du nicht den genauen Wortlaut der Schreie verstehst - aber nicht dass du die Botschaft nicht hörst - Tötet mich nicht."
Lord Marzo blickte zu Boden.
"Nur weil du ihre Schreie nicht deuten kannst heißt es nicht, dass sie nicht leiden, dass sie nicht um das Leben ihrer Kinder flehen. Mord und Tod sind überall und wenn du eines Tages stirbst und dein Körper verrottet, so nährt er den Boden, auf das neuer Weizen dort erwächst. Alles was lebt, existiert nur durch den Tod anderer. Der Starke überlebt, der Schwache geht unter.
Das ist die Natur, das ist deine Natur Lord Marzo. Sie zu verleugnen heißt sich selbst zu verleugnen. Wir töten, damit wir leben und wir sterben damit andere leben können - so ist es im Großen und im Kleinen. Akzeptiert es Sohn Finsterforsts und Ihr werdet einst ein mächtiger Krieger sein.", sie wischte sich die schweißverklebten Haare aus dem Gesicht und lächelte den Adeligen beruhigend an.
Ein großer Krieger, das war es was er immer sein wollte.
„Schluss für heute.“, kommentierte sie seinen fragenden Blick.
„Meine Dame ? Es ist doch kaum Mittag - der ganze Tag liegt noch vor uns!“, Marzo starrte sie fassungslos an. Wollte sie ihn nur testen?
„Gehe nach Hause Sohn Finsterforsts und komm morgen wieder.“
"Nach Hause? Wieso...?", seine Widerworte fegte sie mit einer bloßen Handbewegung davon, ging steif an ihm vorbei ins Haus und schloss die Tür hinter sich.
Verwirrt stand der junge Adelige noch einige Minuten wie versteinert vor der verschlossenen Hütte. Dann setzte der Regen ein. Dicke schwere Tropen hämmerten auf seine Schulter als Lord Marzo sich schweren Schrittes auf den Weg zurück nach Hause, zurück nach Finsterforst machte. Seine Gefühle galoppierten hin und her. Irgendwo zwischen Resignation und Wut auf seine Lehrerin und diesen verdammten Regen kamen sie zur Ruhe. War er die letzten Tage nicht konzentriert genug gewesen? Oder ärgerte sich die Kriegerin immer noch darüber, dass er den Todesstoß nicht angesetzt hatte? Er hatte die Lektion doch gelernt.
Aus der Ferne sah er schon wie sich Finsterforst und das Anwesen seiner Familie durch die Regenschwaden abzeichnete. Eine wohlbekannte alte Last legte sich auf seine Schultern.
Marzo ging an dem gemauerten Brunnen vorbei, direkt auf das Gebäude mit dem Familienwappen der Dynastie zu. Das hohe Gras streifte seine Hosenbeine, während seine Blicke nach links und rechts schossen. Als er näher kam, erkannte er, dass die Mauern des Gebäudes von Ranken verwuchert waren.
Irgendetwas beunruhigte den jungen Mann zunehmend.
Nachdem Marzo das Haupthaus betreten hatte, bemerkte er, dass die Innenausstattung völlig unbehelligt geblieben war, kein Dieb oder Räuber hatte sich darüber her gemacht. Es war nur alles sehr staubig und wirkte verlassen. Überall moderiger Geruch, in den weitläufigen Räumen Spinnennetze … wie lange war er nur fort gewesen? Ein ungutes Gefühl schoss durch Marzos Körper.
Zu seiner Befremdung waren scheinbar auch sein Vater und Askan noch immer nicht zurückgekehrt, alles befand sich noch genau in dem Zustand wie an jenem Tag, an dem er fortgegangen war. Selbst die Milchschale- nun voll mit Wasser, lag noch unberührt an der Hauswand.
Marzo erblickte in dem Gefäß sein Spiegelbild, zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit.
Noch vor kurzer Zeit schaute ein junger Mann mit dunkelbraunem Haar aus der Reflexion seines Selbstbildes zu ihm. Doch das weiche brünette Haar war nun schwarz, lang und strähnig. Er sah wie eine Träne über sein hartes, gealtertes und kantiges Gesicht lief - und ins Wasser tropfte. Fast hoffte er nachdem die Wellen, welche die Träne dort verursachte, wieder sein altes Ich im Spiegelbild zu erblicken. Aber so schnell die Hoffnung kam- so schnell verschwand sie wieder als sich ihm immer noch das Antlitz eines Kriegers darbot. Er war gefangen in einem Körper, der nicht sein eigener war. Zumindest noch nicht.
Aus ihm war ein Mann geworden - die jugendhafte Leichtigkeit in seinen Augen war verschwunden, tiefe Furchen hatten sich in sein Gesicht gegraben.
Erschrocken stolperte er zurück. Was war nur geschehen? Es mussten wirklich viele Jahre vergangen sein, wie war das nur möglich?
Marzo vergrub sein Gesicht in den Händen.
Als Lord Marzo am nächsten Morgen den Platz vor der Hütte betrat, war alles anders. Vielleicht lag es nur an ihm und seinen verwirrenden Gedanken über die verflogenen Jahre die ihm wie wenige Tage vorkamen, aber es wirkte alles viel stiller als sonst. Es war, als hätte jegliches Leben diesen Ort verlassen. Keine Rauchschwaden, kein Geplätscher von Wasser - nichts. Nicht einmal die Stimme eines Vogels oder das Zirpen eines Insektes belebte die Umgebung - alles war wie ausgestorben.
„Meine Dame ? Ich bin es Lord Marzo!“
Vorsichtig betrat der Adelige die Hütte.
„Seid Ihr hier drin?“, die Wände waren wie leergefegt, alle Waffen und Rüstungen verschwunden. Die Strohmatte und auch sonstiges Mobiliar war nicht mehr da. Einzig und allein der Tisch stand noch inmitten des Raumes. Vorsichtig blickte er sich draußen um, ob die Kriegerin nicht wieder auf ihn lauerte wie an seinem ersten Tag. Nein, da war niemand.
Marzo betrat das Haus und näherte sich dem Tisch. Auf diesem lagen ein gebundenes Paket und ein langes Schwert - es war seine Übungswaffe. Oben auf der Klinge heftete ein alt anmutendes Schriftstück. Vielleicht ein Hinweis auf seinen neuen Trainingsplatz? Hastig riss der Lord das Schreiben an sich und begann stockend zu lesen.
Mein lieber Sohn Finsterforsts,
es ist schwer für mich die richtigen Worte zu finden. Wir hatten viel zu wenig Zeit, die Jahre vergingen so schnell aber heute ist der Tag, an dem du deinen eigenen Weg beschreitest und hinaus in die Welt ziehst. Sie wird dich einiges lehren wozu ich hier nie im Stande wäre. Zwar hab ich dir nur die grundlegenden Kenntnisse des Kriegerhandwerks vermitteln können, aber vergiss nie was ich dich lehrte und sei stets bemüht dich zu verbessern.
Du hast viel und schnell gelernt, die Götter der Kriegskunst sind sehr stolz auf dich. Verzeih das ich dich nicht persönlich verabschiede Marzo, aber auch ich habe Verpflichtungen die es zu erfüllen gilt.
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