„Lord Marzo von Finsterforst ... Sie werden ja immer so schnell erwachsen.“, leicht flackerten ihre Umrisse und von einer Sekunde auf die nächste war die Frau verschwunden.
„Wo hast du dich bloß die ganze Zeit wieder rumgetrieben?“, rief sein Vater und blickte Marzo fassungslos an. „Und das Holz? Ist das da etwa alles?“
Der junge Mann senkte wortlos den Kopf. Er hatte sich beeilt um noch vor Einbruch der Dämmerung in Finsterforst zu sein. Marzo hatte sich auf dem Weg zurück einige Male im Gewirr der Waldwege für die falsche Abzweigung entschieden und letztendlich war gerade einmal genug Zeit gewesen um noch ein Bündel Reisig und ein paar herabgefallene Äste mit nach Hause zu bringen. Sein Vater und Askan standen in ihrem kleinen Kampfring und hatten wohl bis vor kurzem wieder ihre Fechtübungen abgehalten. Sein Vater machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung.
„Zehn Stunden und alles was du bringst ist das da?!“
Er ließ die zum Schlag erhobene Hand sinken und schüttelte nur den Kopf.
„Ich verlange nun wirklich nicht viel von dir. Gar nicht viel, ich will nicht einmal das du... ein Krieger wirst Marzo. Du bist erwachsen- ein Nachkomme unseres Adelsgeschlechts, also verhalte dich dementsprechend mein Sohn.“, sein Vater sah um Jahre älter aus wenn er sich sorgenvoll die Schläfe massierte.
„Und jetzt lausche meinen Worten Sohn. Ich werde die nächste Zeit unterwegs sein und dieses Mal deinen Bruder mitnehmen. Du bist also allein hier. Die Vorräte hab ich aufgestockt, du hältst derweil das Anwesen sauber und kümmerst dich um den Holzvorrat. Richtiges Holz, nicht nur ein paar Zweige. Lege den Wintervorrat an. Hast du das verstanden Marzo?“, seine Stimme duldete keine Widerrede.
„Ja Vater.“, Marzo versuchte seine Freude über diese Umstände zu unterdrücken. Er musste nun nicht einmal mehr die lückenhafte Lügengeschichte vortragen um sich morgen aus Finsterforst zu stehlen. Sein alter Herr und sein Bruder würden für mindestens einen Monat außer Haus sein. Das war zumindest die übliche Zeit, die sein Vater geschäftlich unterwegs war.
Endlich allein. Endlich hatte er genug Zeit für sich. Und das aufregendste daran war natürlich, dass es wochenlang niemandem auffiel wenn er die Kriegerin im Wald besuchte. Schnell dankte er seinem Schicksal, welches ihm nun nach gut siebzehn Jahren endlich einmal etwas Gutes tat.
„Sorg dafür, dass auch immer genug Wasser ...“, der junge Adelige hörte gar nicht mehr hin. Ganze vier Wochen hatte er für sich allein, das war beflügelnd. Vielleicht sogar fünf oder sechs. Er würde sich ausbilden lassen. Jawohl - und wenn die beiden zurückkamen, dann würden sie staunen was alles in ihm steckte, ihm- Lord Marzo aus Finsterforst.
„Du sollst mir zuhören Marzo, verdammt noch mal! Ich rede hier nicht mit den Geistern der Ahnen falls du das glaubst! Denke daran, die Garudas zu füttern.“
„Garudas füttern. Verstanden. Ach weißt du Vater, du hast Recht ich glaube ich sollte gleich mal wieder zurück in den Wald um noch ein paar Bäume zu fällen. Ich mach mich sogleich auf den Weg“, Marzo griff nach dem Beil und stolzierte wieder Richtung Wald. Nein diesmal rannte er nicht aus dem Herrenhaus der Lordschaft um einfach einem Streit zu entgehen oder allein zu sein, dieses Mal war er voller Elan und Tatendrang.
„Jetzt ist der Kleine völlig verrückt geworden“, seufzte Askan.
„Lass ihn… Er hat es nicht leicht… Marzo hat eine gänzlich andere Bestimmung, er ist nicht wie du oder ich…“, nachdenklich schüttelte er den Gedanken ab, „Wenn du eines von deinem Bruder lernen kannst, dann dass bloße Muskelkraft gar nichts bedeutet. Technik ist entscheidend, also übe weiter. Deine Schwertführung ist noch immer miserabel. Noch einmal Parade, dann einen Schritt zurück und Stoß. Das muss sitzen Askan, sonst kann ich dich nicht auf die Reise zum Wolfswall mitnehmen.“
Aus der Ferne konnte Marzo noch das Klirren ihrer Waffen hören, aber diesmal erfüllte ihn das Geräusch nicht mehr mit Traurigkeit wie üblich. Wenn erst einmal ein richtiger Krieger aus ihm geworden wäre, dann, ja dann würde auch seine Familie endlich verstehen!
Als Marzo am nächsten Morgen erwachte, hatten sein Bruder und sein Vater das Anwesen schon verlassen.
Ein Stück Brot und eine Schale voll Milch standen auf dem Tisch in der Küche und ein Pergament lag direkt daneben. Sicherlich wieder ein paar Anweisungen seines Vaters, dachte er sich, fegte den Wisch ungelesen zu Boden und ergriff den Kanten Brot. Nachdenklich knabberte er an der Kruste und starrte ungeduldig gen Himmel. Bis Mittag waren es bestimmt noch gute vier Stunden.
In der linken Hand das Brot und in der Rechten die Schale mit der Milch verließ der junge Mann das Herrenhaus der Dynastie und lehnte sich an die Hauswand. Langsam wanderten die ersten Sonnenstrahlen über die bewaldeten Hügel von Stahlbruch im Norden und tauchten die Umgebung in ein funkelndes Gold. Irgendwo dort, nur einige Tagesreisen entfernt, lag verträumt an den Ufern zum großen Meer die Stadt Donnerhall.
„Die Stadt der Legenden“, wie sie auch genannt wurde, war eine der bedeutendsten, wenn nicht die wichtigste aller Städte der vereinigten Reiche. Dort sollte es weitläufige Viertel, eine Basilika und den großen Königspalast der Familie Donnerhall geben. Ein Reisender hatte ihm mal gesagt, dass man sein ganzes Leben in Donnerhall verbringen konnte und trotzdem nicht jeden Mann in der Stadt treffen würde, so viele Einwohner hätte sie. Marzo hatte sich oft vorgestellt wie es dort aussehen müsste. Sinnierend nahm er einen Schluck Milch zu sich. Haus an Haus, Feld an Feld, Weide an Weide und überall Menschen, Elfen und Zwerge. Große Helden und ihre Geschichten ! Er ließ sich rückwärts ins Gras fallen und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
Ach ja die große Stadt… Donnerhall…
Ein Schmetterling flatterte lautlos herbei und setzte sich arglos auf seine fleckige Hose. Marzo grinste.
"Na kleiner Flattermann. Du freust dich wohl auch, dass meine Familie weg ist, was?"
Das Leder um sein Knie herum, welches sich der Schmetterling als Landeplatz ausgesucht hatte, war durch die viele Arbeit schon sichtbar in Mitleidenschaft gezogen worden und das einst makellose Braun war jetzt eine Liaison verschiedenster Farbtöne. Aber der Lord fand sie trotzdem recht kleidsam und die blau-rot-grünen Flügel des Falters passten richtig gut dazu entschied er.
Die Sonne war zwar schon ein ganz schönes Stück nach oben geklettert, dennoch war es noch immer eine kleine Ewigkeit bis zum Mittag. Der junge Adelige schaute in Richtung des Dunkelwaldes.
Die mysteriöse Kriegerin würde wohl nichts dagegen haben, wenn er ein paar Minuten vorher da wäre, letztendlich war es ja auch eine ganz schöne Entfernung bis zu der kleinen Waldhütte, also war es nur gut rechtzeitig aufzubrechen. Leicht schnippte er den Falter vom Knie und erhob sich.
Immer größer und länger wurden seine Schritte. Von Übermut beflügelt lief es sich fast wie von selbst. Vorbei an einigen erstaunten Händlern, die mit ihren voll beladenen Wagen auf dem Weg nach Agramon waren, über die beiden Bäche, durchs Unterholz zur Hütte am Bergpass. Der mit heruntergefallenen Ästen besäte Waldboden knackte bei jedem seiner Schritte. Es waren kaum zwei Stunden vergangen als sich die kleine Hütte zwischen den Bäumen abzeichnete. Wunderbar! Er hatte schon leicht befürchtet den Weg vielleicht nicht auf Anhieb wieder zu finden.
Sichtlich außer Atem erreichte Lord Marzo die winzige Lichtung. Alles war ruhig und friedlich hier. Der junge Adelige lehnte sich keuchend an die moosbewachsene Wand des Hauses, die Kleidung klebte nass an seinem Körper. Marzo hielt sich mit der Hand die rechte Seite, diese fiesen Seitenstiche machten ihn echt fertig. Trotzdem lächelte er unabänderlich, als sei es ihm ins Gesicht gemeißelt worden. Nach einigen Minuten des Verschnaufens vermochte er sich endlich wieder aufzurichten, vielleicht hätte er doch nicht den ganzen Weg laufen sollen.
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