„Meine Dame, seid Ihr hier...?“
Niemand antwortete. Vielleicht schlief sie ja noch? Der Lord ging hinüber zur Eingangstür und drückte leicht dagegen. Sie war nicht verschlossen und schwang lautlos einen Spalt breit nach innen auf.
„Ich bin es, Marzo!“
Doch es blieb weiterhin still. Als er die Tür gänzlich öffnete sah noch alles genau so aus wie er es am gestrigen Tage verlassen hatte. Aber die Kriegerin war nicht hier. Ein leicht mulmiges Gefühl beschlich den jungen Mann. Er war hier ganz allein im Haus einer fremden, waffenstarrenden Frau. Eigentlich sollte er lieber wieder gehen und draußen warten, doch das Innere der Hütte war einfach zu verlockend für Marzo.
Mit leuchtenden Augen strichen seine Finger über das Heft eines filigranen Schwertes, dann weiter bis hin zum Stichblatt und zur Klinge. Einige seltsame Kreaturen und Worte waren darauf geätzt. Er erkannte nicht ohne Stolz die fremdartigen Schriftzeichen der Elfen.
„Kannst du das etwa lesen?“, die Stimme riss ihn aus seinen Tagträumen. Die geheimnisvolle Frau stand in der Tür und stützte sich auf ihre gewaltige Streitaxt. Wie ein erwischter Dieb schreckte Marzo zurück: „Nein. Nein kann ich nicht. Entschuldigen Sie bitte, dass ich einfach so hier reingekommen bin. Ich wollte... ich dachte nur… dass...“
„Sohn Finsterforsts, Lord Marzo - hatte ich dir nicht gesagt, dass du erst in ein paar Stunden vorbeikommen sollst?“, ihre Stimme klang ungewohnt streng.
Der Adelige senkte entschuldigend aber ehrenvoll den Blick:
„Verzeiht mir.“
„Wie soll ich dich führen wenn du nicht auf meine Worte hörst, wenn ich dir nicht vertrauen kann?“, ihre tadelnde Stimme traf ihn wie ein Messerstich.
„Ich sehe Dir das nach werter Lord.“, sie blickte etwas milder auf ihn hinab. „Aber lebe die Tatsache dass ein wahrer Krieger sich niemals entschuldigt, er steht immer zu seinen Taten! Er trägt die Konsequenzen und versteckt sich nicht hinter fadenscheinigen Ausflüchten oder dem weichlichen Bitten um Verzeihung ... und nun komm mit nach draußen.“
Marzo wusste nicht genau was er jetzt davon halten sollte und folgte ihr etwas verwirrt vor die Tür. War sie nun wütend über sein Eindringen gewesen oder darüber, dass er sich entschuldigt hatte? Auf dem freien Platz vor dem Haus wartete die im Tageslicht noch imposanter wirkende Kriegerin schon auf ihn. Mit stechenden Augen musterte sie den Lord von Kopf bis Fuß: „Zieh dein Hemd aus! Das stört jetzt nur.“
Ein Blick in ihre Augen ließen Marzos Widerworte sofort im Keim ersticken. Derweil hatte die Frau zwei Breitschwerter vom Boden aufgehoben: „Und nun wirf es mir herüber.“
Sie riss vor den Augen des jungen Mannes den festen Leinenstoff des Hemdes in zwei Teile und begann die Klingen der Schwerter damit fest zu umwickeln.
„Ich weiß, es ist nicht perfekt - aber das sollte für den Anfang reichen. Hier fang auf.“ Ungeschickt fischte er das Schwert aus der Luft. „So, nun noch das hier.“, sie griff aus dem Gras einen kleinen hölzernen Schild. Er war völlig schmucklos und hatte wohl schon so einige kräftige Hiebe davongetragen.
„Hier.“, sie reichte ihm auch den Schild.
„Ja- da mit dem Arm in die Schlaufen rein, genau so.“
Marzo wackelte etwas mit dem Arm. Die Schlaufen saßen ganz schön eng.
„Versuch einfach alle Angriffe von mir abzuwehren. Los geht´s!“, mit den letzten beiden Worten startete sie auch gleich ihren Angriff. Viel zu langsam riss er den Schild hoch und das Schwert traf schmerzhaft seinen Oberarm. Marzo biss die Zähne zusammen um seiner Angreiferin keinen Schmerz zu zeigen.
„Komm schon großer Krieger. Das war noch gar nichts. Sei auf der Hut.“, und wiederum stieß sie vor. Diesmal gelang es dem Lord zwar rechtzeitig den Ausfall abzuwehren, doch der Aufprall des Schwertes jagte Wellen erneuten Schmerzes durch seinen ohnehin schon angeschlagenen Arm. Nach zwei weiteren Treffern, die ihn wild umher stießen, vermochte er kaum noch den Arm anzuheben und ein weiterer Hieb traf ihn quer über die schweißglänzende Brust.
Die Wucht des Schlages ließ ihn gleich um einige Schritte nach hinten taumeln.
„Schwäche ist nichts für wahre Krieger Lord Marzo. Den eigenen Schmerz zu bezwingen ist ein größerer Sieg als über einhundert Feinde in der Schlacht zu triumphieren. Du musst den Schmerz fühlen, dich von ihm leiten und anstacheln lassen. Doch niemals darf er über dich die Oberhand gewinnen! Furor, Wut!!! “ Langsam ging die Kriegerin wieder auf ihn zu.
„Nun komm schon. Du bist dran. Greif an!“, rief sie ihm zu und der Adelige glaubte sogar ein Grinsen zu erkennen. Mit einem wilden: „Für Finsterforst!“, stürzte Marzo nach vorn und schlug in Richtung ihres Kopfes. Lässig ließ sie den Angriff an ihrer Waffe abgleiten und traf den jungen Mann schwungvoll mit einem Tritt in den Rücken.
„Werte Dame … Euch kriege ich noch zu fassen!“ Marzo schnellte herum und startete einen neuen Versuch.
Einige Stunden später vermochte Lord Marzo nicht einmal mehr einen Finger zu rühren um sich den Dreck aus dem Mund zu wischen, dafür konnte er mittlerweile jeden einzelnen Knochen in seinem Leib spüren, denn alle schmerzten in den verschiedensten Tonlagen. Selbst wenn sie ihm jetzt wieder eine ihrer Weisen an den Kopf warf, war er viel zu erschöpft um noch nach ihr zu schlagen.
„Eine... kleine... Pause...“, keuchte er unfähig sich noch einmal zu erheben. Seine Finger waren gerötet und die Stellen an denen die Kriegerin ihn getroffen hatte waren blutrot unterlaufen. Bei jedem Atemzug taten seine Rippen weh. Langsam wurde Marzo schwarz vor Augen und er fiel nach hinten hin. Einige unsanfte Ohrfeigen brachten ihn dann irgendwann wieder zurück ins Bewusstsein.
„Lord von Finsterforst, das war doch gar nicht mal so schlecht. Aber jetzt kommt erst mal. Wer richtig trainiert, der sollte auch richtig essen. Ich hab drinnen schon einmal etwas vorbereitet.“ Irgendwo zwischen den dröhnenden Glocken in seinem Schädel wunderte sich der Adelige. Wie lange war er wohl bewusstlos gewesen? Lange konnte das doch nicht gewesen sein, dem Sonnenstand nach zu urteilen... Seine Hände, Ellenbogen und Schultern steckten in feuchten Verbänden, die einen ekelhaften, beißenden Geruch verströmten.
„Das hilft gegen die Schwellungen.“, erklärte die Kriegerin in ihrer kurz angebundenen Art. Unter Schmerzen zog er sich an ihrem dargebotenem Arm nach oben.
Als er die Hütte betrat wehte ihm der köstliche, warme Dampf einer Mahlzeit entgegen. Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes standen zwei leere Teller und zwei Krüge gefüllt mit herrlich duftendem Wein, und dazwischen suhlte sich ein gebratener Eber umringt von den verschiedensten Gemüsesorten.
„Wie ... woher ...?“
„Weniger fragen - mehr essen werter Lord. Wir haben schließlich nicht ewig Zeit.“, kommandierte die Frau und band ihre langen schwarzen Haare zu einem Zopf während sie sich an den Tisch setzte um ihren eigenen Worten zu folgen. Das Grummeln hinter seinen geprellten Rippen überzeugte Marzo, dass die namenlose Kriegerin wenigstens dieses mal völlig Recht hatte und setzte sich vorsichtig auf den Stuhl - jederzeit bemüht nirgendwo anzuecken um seine geschundenen Gliedmaßen zu schonen. Der junge Mann nahm allen Mut zusammen und fragte:
„Werte Dame, würdet Ihr mir Euren Namen nennen? “ Die Kriegerin sah ihm für ein paar Augenblicke in die Augen und flüsterte dann kaum hörbar: „Alles zu seiner Zeit…“
Danach würdigte sie ihn keines Blickes mehr. Sie riss gleich eine ganze Keule des Ebers ab und tat sich daran gütlich, während Marzo versuchte mit seinem Dolch ein möglichst großes und trockenes Stück aus den Rippen des Schweins zu schneiden. Wenn schon ein ganzer Wildeber hier auf dem Teller lag, dann konnte man sich ja auch das Beste heraussuchen. Das Fleisch des Tieres war unglaublich zart und wohlschmeckend, die Beilagen zergingen Marzo auf der Zunge und der schwere, süße Wein wusch den Schmerz aus seinen Gliedern. Es blieb nicht bei dem ersten Stück Fleisch. Ein weiteres folgte, danach eine Keule und irgendwann war der ganze Eber zu einem kleinen Haufen Knochen zusammengeschrumpft.
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