Er bemerkte nicht, wie jemand an die Tür klopfte.
„Nick, bist Du da?“ Seine Mutter steckte den Kopf zur Tür herein.
Sie war eine große, etwas dralle, gut aussehende Frau. Ihre üppigen glatten braunen Haare hatte sie lässig hochgesteckt, so dass ihr ein paar Strähnen ins Gesicht und auf die Schultern fielen. Sie trug ein langes, mit bunten Blumen bedrucktes Kleid, denn sie liebte Blumen über alles.
Sie ging zur Badezimmertür und klopfte. Sie hörte Wasser rauschen und nickte mit dem Kopf.
„Er ist da.“ sagte sie zu sich und sah die verstreuten Kleider im Zimmer liegen. Sie schüttelte seufzend den Kopf und setzte sich auf das Bett.
„Da hatte es wohl jemand eilig.“
Auf der Kommode neben der Badezimmertür lag sein Handy, das jetzt ein leises Vibrieren von sich gab. Kirstie stand auf und warf einen Blick auf das Handy. Es zeigte eine Nachricht von Agatha an. Sie wunderte sich, dass die Assistentin ihres Sohnes am Samstag so früh morgens eine Nachricht schickte.
Sie hob das Hemd vom Boden auf, stellte die Schuhe zusammen unter die Kommode und hängte Hemd und Hosen über einen Stuhl.
In diesem Augenblick ging die Badezimmertür auf. Nick kam heraus, nur mit einem Handtuch um die Hüften bekleidet. Mit einem anderen Handtuch rubbelte er sich die Haare trocken.
„Hallo, Mom.“
„Hallo, mein Schatz. Ich habe geklopft, aber Du hast mich nicht gehört.“
„Wie Du siehst, ich war unter der Dusche.“
Sie lächelte verschwörerisch: „Oh ja, das sehe ich und wie ich noch weiter sehe, warst Du heute Nacht nicht zuhause. Wie war dein Date mit dieser Engländerin?“
Nick hatte weder Zeit noch Nerven, seiner Mutter jetzt alles zu erzählen. Da im Hause Page aber Ehrlichkeit über alles ging, entschied er sich für eine Kurzfassung.
„Mom, hör zu, diese Engländerin, wie Du sie nennst, ist die wundervollste Frau, die ich je getroffen habe. Es war der schönste Abend, den ich bisher mit einer Frau verbracht habe und, wenn ich es recht überlege, auch der interessanteste.“
„Aber Nick, das ist ja wundervoll.“ Kirstie freute sich herzlich für ihren Sohn. „Und weiter?“
„Nichts weiter. Das ist es ja. So wie es aussieht, muss sie heute nach London zurück fliegen.“
„Was? Wieso denn das?“ fragte sie verdutzt.
„Komplizierte Geschichte. Ich mach es kurz: Sie hat ein Leben dort und ich will, dass sie das aufgibt.“
Kirsties Gesicht verlor das Lachen. „Nick, das tust Du nicht. Du kannst sie nicht zwingen, ihr Leben aufzugeben.“
„Nur wenn, sie das auch will. Und ich glaube, das tut sie bereits.“
Kirstie schaute ihren Sohn besorgt an: „Junge, ich hoffe, Du weißt, was du tust.“
Nick hatte sich während des Gesprächs angezogen, eine blaue Jeans, ein weißes Hemd, und einen dazu passenden schwarzen Blazer.
Er streifte sich gerade den Gürtel in die Jeans, als er zu seiner Mutter sagte: „Ja, das hoffe ich auch. Vertrau mir Mom. Ich kann Dir jetzt nicht alles erzählen. Nur so viel: ich fliege heute ebenfalls nach London. Ich gebe sie nicht kampflos auf.“
Kirstie war insgeheim stolz auf ihren Sohn. Er war ein Mann der Tat. Wie sein Vater. Er wollte etwas, ging drauf los und holte es sich. Dafür liebte sie ihn nach über 35 Jahren Ehe unter anderem immer noch.
„Ist Dad da?“ fragte Nick aus dem Badezimmer.
Kirstie überlegte kurz und sagte dann: „Ja, er war vorhin noch in seinem Arbeitszimmer.“
In diesem Moment klopfte es an der Tür. Kirstie sagte: „Herein“ und schon streckte Nicks Vater Tom den Kopf zur Tür herein: „Hey, was machst Du denn hier? Ist Nick da?“
Der kam gerade aus dem Badezimmer, nahm sein Handy von der Kommode und sagte: „Hey Dad, ich muss mit Dir reden.“
Sein Vater betrat das Zimmer und sagte in ernstem Ton: „Hey Sohn, trifft sich gut. Ich mit Dir auch. Ich erwarte Dich in meinem Büro.“ Tom drehte sich um und ging aus dem Zimmer.
Nick und Kirstie waren beide über den kühlen Ton von Tom überrascht. Sie sahen sich an. Nick zuckte mit den Schultern und fing an, einige Sachen aus den Kommoden und Schränken zu holen und legte sie aufs Bett.
„Bitte sag Rosa, sie soll mir einen Rucksack mit diesen Sachen und sonst allem Notwendigen packen. Ich gehe zu Dad.“
Er nahm sein Handy und las Agathas Nachricht, der Flug ging um zwei Uhr am Nachmittag, jetzt war es 9.30 Uhr, es war also noch etwas Zeit. Er machte hinter einem Bild einen Tresor auf, holte seinen Reisepass und etwas Bargeld heraus und steckte es in eine Innentasche seines Blazers. Nick hielt seiner Mutter die Tür auf und sie verließen beide das Zimmer.
Kirstie ging schnell dem Zimmermädchen Bescheid sagen, Nick ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu holen. Sie trafen beide gleichzeitig im Büro von Vater Page ein. Die Tür war offen.
Tom saß auf der ledernen Couch und stand auf, als Nick und Kirstie hereinkamen. „So, Sohn, ich muss Dir leider etwas sagen, das mir nicht gefällt.“
Kirstie setzte sich auf die Couch, Nick nahm in einem Sessel Platz. Er nippte an seinem Kaffee und stellte die Tasse dann auf den davor stehenden Couchtisch.
Nick schwante nichts Gutes. Diese Anrede hatte sein Vater immer benutzt, wenn er als Kind etwas angestellt hatte. Nick bekam damals, wie auch heute noch, heiße Ohren, wenn er sie hörte. Es bedeutete selten etwas Gute. Tom stand vor der Couch, holte tief Luft und fing an: „Ich habe Deine englische Kunsthistorikerin überprüfen lassen.“
Nicks Miene verdüsterte sich: „Warum?“ „
„Sie kam mir von Anfang an merkwürdig vor.“
„Dad, sie ist Engländerin.“ warf Nick ein.
„Das entschuldigt nicht alles.“ brummte Tom. Er holte hörbar Luft: „Außerdem, kam es Dir nicht auch komisch vor, dass sie von Sicherheitsleuten zur Firma gefahren und abgeholt wurde?“
Tom ging zum Schreibtisch, nahm eine Mappe, die dort lag und brachte sie zu Nick. Er hielt sie ihm hin.
„Was ist das?“ fragte Nick. Er nahm sie nicht.
„Das ist das Ergebnis einer Recherche, die ich bei einem europäischen Privatdetektiv in Auftrag gegeben habe.“
Nick wurde ärgerlich und stand auf: „Du hast was?“
Tom fuhr fort: „Wie gesagt, sie kam mir von Anfang an merkwürdig vor. Und wie sich gezeigt hat, hatte ich Recht damit. Es gibt keine Bridget Malloy, die in Rom, Paris oder London Kunstgeschichte studiert hat.“
Nick hatte das Gefühl, man zog ihm den Boden unter den Füßen weg.
Er wurde aschfahl und schaute von seinem Vater zu seiner Mutter und wieder zurück. Das durfte doch nicht wahr sein. Was stimmte jetzt wieder nicht? Er nahm die Mappe, die ihm sein Vater immer noch hinhielt, öffnete sie und sah hinein. In der Mappe lag das Schreiben einer Privatdetektei. Nick überflog es nur kurz. Dort stand es tatsächlich. Schwarz auf weiß. Er setzte sich wieder, schloss die Mappe und warf sie mit Schwung auf den Tisch.
Kirstie sah, wie sehr ihn diese Mitteilung mitnahm. Es hatte ihn anscheinend ziemlich schwer erwischt. Sie fragte: „Und wer ist diese Frau dann?“
Tom sah sie an. „Das weiß ich nicht. Ich habe den Detektiv nur beauftragt, die Vita, die uns von dieser Frau vorgelegt wurde zu überprüfen. Er hat keine einzige Übereinstimmung gefunden. Es ist alles erfunden. Bridget Malloy gibt es nicht.“
Nick erhob sich, steckte die Hände in die Hosentaschen, ging zum Fenster und schaute hinaus. Der Blick in den Park, der das Haus umgab, hatte ihn bisher immer beruhigt. Diesmal sah er ihn gar nicht. Er murmelte: „Bridget, Bridget, was stimmt eigentlich bei dir?“
Tom wandte sich ihm zu. „Was tun wir jetzt? Ich meine im Hinblick auf den Film. Wie sind wir eigentlich zu ihr gekommen?“
Daran hatte Nick ja noch gar nicht gedacht. Sie hatten sie engagiert, damit sie die geschichtliche Genauigkeit bei der Produktion des Filmes, wie bei der Ausstattung im Auge behielt. Was, wenn sie gar keine Expertin war? Wenn sie einer Betrügerin aufgesessen waren?
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