Frau Doktor Lea Isemuth, Germanistin, verkündete der Generalkonsul stolz, der als erster von der Stellenbesetzung erfuhr. Er freut sich natürlich einerseits darüber, denn mit Isemuths Vorgänger konnte er es nicht so recht. Das kann nur besser werden. Andrerseits bleibt die Konstellation dieselbe, nach wie vor. Irgendwie ist sie, Frau hin, Frau her, als Leiterin des deutschen Kulturinstituts eine Konkurrenz für ihn. Kulturbotschafterin, sozusagen. Also er Generalkonsul, sie Botschafterin. Schwierig, schwierig. Außerdem hört man, dass er gerne Ehrendoktor der „Cato“ würde, der Katholischen Universität. Und jetzt kommt da eine echte deutsche Doctora. Auch schwierig. Ohnehin ist Horst J. Anschütz, also der Generalkonsul, schwierig. Der Name nämlich. Wieso? Also passen Sie auf: das „h“ wird im Spanischen nicht ausgesprochen. Ein „rst“, also das können Sie ganz einfach vergessen, das kriegt kein Hiesiger hin. Das „j“ klingt im spanischen Alphabet wie „chota“. Ein „ü“ existiert nicht, und was aus dem „tz“ wird, das können Sie sich ausrechnen, wenn sie an das „rst“ denken. Zusammengefasst: der Name wird von den Einheimischen arglos ungefähr so ausgesprochen: Orchota-anschiss. Manchmal auch Orchota-anschuss. Allenfalls Orchota-anschi. Es wird Sie nicht wundern, wenn ich Ihnen verrate, dass die Unterhaltung im Deutschen Klub nach Ankunft des Herrn Amtsleiters vor zwei Jahren zu einem wesentlichen Teil mit diesem Namen bestritten wurde. Harmlos fröhliche Abende, in absentia, versteht sich.
Gut, mein Problem ist das nicht, wie er mit der Doctora zurecht kommen wird. Weshalb ich sie schnell kennen lernen möchte, dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens: Ohnehin - ich lerne gern Menschen kennen. Zweitens: Sie ist derzeit Hauptthema in der deutschen Kolonie. Immer wenn jemand von drüben kommt. Drittens: Eine junge, unbemannte, von Berufs wegen nachtaktive Kulturmaus könnte eventuell möglicherweise rechercherelevant werden, eines Tages, weiß man nie. Verstehen Sie nicht? Also, ich glaube ich sollte Ihnen langsam durchgeben, dass ich so eine Art Hobby-Detektiv bin, nebenberuflich eigentlich. Abgesehen von solchen Gefälligkeiten wie bei Rafa habe ich mir gewissermaßen ein Spezialgebiet aufgebaut: die diskrete Observation. Richtig - wo, wann, mit wem und nach Möglichkeit wie lange. Viele Frauen finden sich damit ab, hierzulande, wenn der Herr Gemahl fremdgeht. Ist der Mann jung, erfordert es ohnehin die Natur. Ist er alt, dann heißt es „Alter Esel - zartes Gras“. Im spanischen Original finden Sie das hinten im Anhang, Sie wissen schon. Aber die Zeiten ändern sich, jawohl, und die jungen Frauen sind nicht mehr gewillt, die Seitensprünge ohne weiteres hinzunehmen. Wissen ist Macht, auch im süßen Heim. Zumindest für den Klamotten-Etat ist dann was drin, wenn der überführte Gatte tätige Reue zeigt. Für mich ein leichtes Spiel, denn die Señores stellen sich meistens noch dümmer an als Rafas Reifendieb. Die Señoras wiederum sind unheimlich stark im Aufpassen und geben einem meist ganz gute Hinweise, da bist du schnell auf der heißen Spur. Geringe Mühe, guter Lohn, Marcos bürgt für Diskretion, wenn Ihnen mit einem Reim gedient ist. Und wenn gelegentlich eine Señora ihr Glück etwas abseits sucht? Gut, das mach ich dann eigentlich weniger gern. Ist nicht so nett, finde ich, die aufzubringen. Eher freudlos. Manchmal melde ich dann dem Auftraggeber: Observationsergebnis negativ. Und hoffe auf eine Erkenntlichkeit seitens der Dame, wenn sie appetitlich ist. Unbar natürlich, Sie verstehen? Ich meine, wenn sie ihrem Alten Hörner aufsetzt, dann ist doch klar, dass sie keine fanatische Verfechterin des sechsten Gebots ist. Klappt nicht immer, ist aber den Versuch wert, oder? Also, ob die Isemuth eventuell das Gefühlsleben in der Kolonie aufmischen könnte, das interessiert mich, wie gesagt, auch von Berufs wegen. Vielleicht ist sie aber auch einfach ein blasser Blaustrumpf und will nur, dass man sie in ihrer Bibliothek in Ruhe lässt Das werden wir ja gleich sehen.
Ein weiterer Grund für meinen Besuch: sie ist meine Chefin, wenn auch nur ein bisschen, nämlich für die vier Stunden Unterricht, die ich jede Woche erteile, dienstags und donnerstags, um 21 Uhr. Ich gebe den Kurs zu meinem Vergnügen, und es ist mir egal, ob Sie das glauben oder nicht. Moderne deutsche Literatur, Sprachdiplom - höhere Weihen sozusagen. Elf Teilnehmer hatte ich im letzten Jahr. Sie blieben mir treu bis zum Schluss, vor ein paar Wochen haben wir bei mir zuhause den glorreichen Abschluss gefeiert. Jede hat ein kurzes selbst verfasstes Gedicht vorgetragen, gereimt oder nicht. „Jede“ stimmt schon, es handelt sich nur um Damen aller Altersgruppen. Die späten Kurse sind ja bei den Lehrern nicht sehr beliebt, wie Sie sich denken können. Bei den lernbegierigen jungen Leuten, die tagsüber malochen, aber sehr wohl. Deshalb sah Isemuths Vorgänger darüber hinweg, dass ich keinen Uni-Abschluss vorweisen kann. Schließlich bin ich Muttersprachler. Eigentlich mehr Vatersprachler, denn meine Mutter ist wenige Jahre nach unserer Ankunft in Argentinien gestorben. Den richtigen Schliff, den hat mir der alte Schill beigebracht. Er war darin konsequent bis zum geht nicht mehr. Harte Schule, ich sag´s Ihnen! Er ließ mir keinen Fehler durchgehen und schon gar kein „Belgrano-Deutsch“, wie wir die manchmal etwas unglückliche Mischung von Deutsch und Spanisch bezeichnen. Sachen wie „Der Zug hat mich gelassen“ statt „Ich habe den Zug verpasst“ fielen der Zensur zum Opfer, sosehr sie ihn auch amüsierten.
Mittlerweile sind wir im Vorstadtgürtel angelangt. Sieht aus wie in einem Film mit Django, finde ich. Darf man natürlich nicht laut sagen, man will ja niemand verletzen. Aber die winzigen Flachdachhäuser, links wie rechts, mit den schiefen Fernsehantennen und den kaputten Bürgersteigen, ab und zu eine Grillbude oder eine vergammelte Tankstelle, dazwischen verwilderte unbebaute Grundstücke, also, alles das können Sie getrost vergessen. Wenn es noch ein bisschen wärmer wird, dann stellen die Leute den Fernseher in die Türöffnung und schauen vom Garten aus in die Wohnung. Das könnte fast romantisch sein, ist es aber nicht. Zu viel Neon.
Augenmenschen kommen in der Innenstadt schon eher auf ihre Rechnung. Viele Häuser sind im Kolonialstil erbaut, nicht alles authentisch, macht aber nichts, schafft Identität. Die alte Universität, der die Stadt den Ehrennamen „la docta“ verdankt, kann sich wirklich sehen lassen, ebenso wie der Cabildo, das alte Rathaus. In letzter Zeit lümmelt hier allerdings mehr Militär herum als der Optik gut tut. Gleich daneben erhebt sich die ehrwürdige Kathedrale, und da stören Uniformen, finden Sie nicht auch? Nachts werden die Soldaten auf Jagd geschickt, hört man. Häuser würden sie durchsuchen, heißt es. Hörensagen, klar, in der Zeitung suchen Sie danach vergebens. Es herrscht nämlich Ausnahmezustand. Keine schöne Situation, wirklich nicht. Immerhin, endlich haben sie mal was zu tun, die Milicos. Wie sagt mein Schulkamerad Alfredo Vasquez, jetzt Oberleutnant: Beim Militär tun wir rein gar nichts, aber das machen wir alles sehr früh.- War schon auf der Penne immer drollig, der Vasquez. Unüberwindlich im Sport, sonst eher schwach, Fremdsprachen Zero. Was sie jetzt so treiben, hier mitten in der Stadt oder nachts in den Häusern? Linke Terroristen bekämpfen, die sich bei uns Montoneros nennen? Es wäre gut, etwas genauer Bescheid zu wissen. Ich muss mal den Vasquez fragen, bei Gelegenheit.
Jetzt den Boulevard Junin hoch, dann den Boulevard Chacabuco rein. Die Flaschenbäume in seiner Mitte sind nun nach dem trockenen Winter etwas dünn. In den regenreichen Sommermonaten werden sie sich vollsaufen und dann schön mollig aussehen. Parken kann ich in der Einfahrt des Instituts, wenn jemand raus will, soll er sich bei der Doctora beklagen. Im Institutshof ist Quevé damit beschäftigt, mit zwei Schauspielern in einem Riesenkarton zu wühlen. Quevé ist ihr Künstlername, sie leitet eine Theatergruppe, die in den Räumen des Kulturinstituts probt und ihre Stücke dort auch aufführt. Wir rufen einander „Hola, wie geht´s?“ zu, dann stecken die drei wieder die Köpfe in die Schachtel, und ich stiefle weiter zum Sekretariat.
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