Aber jetzt wieder zur Sache, wir haben es hier nicht mit Verschönerungsarbeiten zu tun, sondern mit einem Verbrechen direkt vor der Haustür.
Was denn Vicky sonst treibt, wenn sie nicht auf der Estancia ist, frage ich. Ich meine, von zwei Tagen Wochenenddienst kann sie ja auch nicht leben. Trixi antwortet, dass sie bei zwei oder drei Familien in Belgrano Hausarbeit macht, und an diesen Tagen schläft sie auch dort. Hier oben, fügt sie an und nimmt meine Frage vorweg, schläft sie bei Martita.
Ich kenne sie, die Martita. Sie wohnt mit ihren zwei kleinen Nervensägen unten am Bach. Ihr derzeitiger Mann ist ständig unterwegs. Er schlägt sich als Maurer schlecht und recht durch.
Was sie denn sonst noch von ihrem Verwalter erzählen können, frage ich die beiden. Was er für einen Umgang hatte, welche Leute er kannte, ob er jemals Besuch erhalten hat? Aber da kommt nicht viel zum Vorschein. Dass er total anspruchslos war, erfahre ich. Er gab kaum Geld aus, legte alles auf die hohe Kante, trug jeden Peso auf die Sparkasse in Belgrano.
- Wofür denn? will ich wissen.
- Frag mich was Leichteres, antwortet Rafa und wird ungehalten, als ich sage, dass er sich in Gottes Namen etwas anstrengen soll.
- Schließlich hab ich den Mann nicht zur Konversation eingestellt, entgegnet er unwirsch. Was wird er mit seinen Ersparnissen schon vorhaben? Gehabt haben! Sich irgendwo eine Kneipe kaufen wahrscheinlich. Wer nichts wird, wird Wirt. Vielleicht hat er aber auch auf ein Taxi in Córdoba gespart, ich weiß es nicht. Mit wem er unten in Belgrano zusammengehockt ist? Keine Ahnung, Marcos. Ich kann es Dir wirklich nicht sagen. Unsere Unterhaltung hat sich auf Rinder, Kälber und Pinien beschränkt. Allenfalls noch Hunde und Jagd. Manchmal wird er auch eingeladen und man trifft sich in der Nachbarschaft, dann spricht man eben über dieses und jenes. Vorletzten Sonntag war ich bei Petersen, du weißt, von der „Finca Hermosa“. Zu meiner Überraschung war Koch auch dort. Er ist sichtlich aufgelebt, so kannte ich ihn gar nicht. Mit Petersen hat er sich über Spanien unterhalten. Offensichtlich war Koch einige Zeit in Barcelona, bevor er nach Südamerika gezogen ist. Und Petersen war bei der Legion Condor. Ich wusste das nicht, es war eine echte Überraschung für mich. Kannst du dir den dicken Petersen in Fliegermontur vorstellen, wie er als junger schlanker Mann in einer Me 109 Guernica anfliegt? Wirklich Marcos, er war dabei. Es war nicht auszuhalten wie die beiden schwadroniert haben, von den alten Zeiten, als sie den Bolschewisten gezeigt haben, wo´s langgeht, dass Franco in Spanien für Ordnung gesorgt hat, mit eiserner Faust, dass man nur hoffen kann, dass auch dieses herrliche Land Argentinien mit den Kommunisten kurzen Prozess macht. Ich hab mich dann weggesetzt, es war einfach zu viel.
Ausgesprochen redselig ist er jetzt, der Rafa, für seine Verhältnisse jedenfalls. Ich lobe ihn und sage, das ist doch was. Jetzt wissen wir zwar noch nicht, wer der Mörder war, aber immerhin haben wir einiges über das Opfer erfahren. Dann weise ich ihn darauf hin, dass er jetzt langsam daran denken soll, die Polizei zu informieren. Aber während er den Hörer abhebt, schlagen draußen die Hunde an und wir hören Händeklatschen, und eine laute Männerstimme ruft „Señores!“. Verdammt, sagt Rafa, das ist die Polizei. Um Gottes willen, ruft Trixi aus, wieso sind die denn schon hier? Ich kann schnell noch sagen, dass wir den Bullen möglichst wenig oder gar nichts von Vicky erzählen, als wir hören, wie die schwere Eingangstür aufgeschoben wird.
Die beiden stehen in ihren dunkelblauen Uniformen in der Eingangshalle und schauen sich ungeniert um. Den größeren kenne ich, Marinelli heißt er. Ich hatte zeitweise eine Lizenz, um Sand aus dem Río Tercero zu verkaufen. Die Flüsse bei uns haben ziemlich simple Namen. Der Río Primero ist der nördlichste in der Provinz, der nächste ist der Río Segundo und dann kommt? Jawohl, genau, der dritte Fluss, Río Tercero, und ganz im Süden, Sie werden es kaum glauben, der Río Cuarto und der Río Quinto. Die alten Flussnamen der Indianer sind deutlich einfallsreicher: Suquía, Xanaes, Calamuchita, Chocancharava, Popopis. Da hört man doch klares Wasser munter über runde Kiesel hüpfen, finden Sie nicht? Aber durchgesetzt haben sich die langweiligen Bezeichnungen der spanischen Eroberer. Die waren eben nicht hierher gekommen, um den Poesiepreis der Königlichen Akademie in Madrid zu gewinnen, wie allgemein bekannt sein dürfte, sondern um das Land möglichst schnell zu erobern.
Also, wie bereits angedeutet, ich hatte einen alten Armeelastwagen günstig erworben und durfte für ein paar Pesos im Jahr so viel Sand und Kies aus dem Flussbett des Río Tercero herausschaufeln wie ich konnte. Das heißt, wie der Peón konnte, den ich dafür bezahlte. Und der große ungeschlachte Typ mit dem breiten Nacken, der sich nun provokativ vor den Pferdebildern aufbaut, als verstünde er etwas von Kunst, der hat eine Fuhre von dem Sand bekommen, geschenkt natürlich. Bausand, Sie verstehen schon, für den Bungalow, den er sich damals in Belgrano hingestellt hat, der Marinelli. Als er mich hinter Rafa und Trixi stehen sieht, kratzt er sich mit derselben Hand, mit der er seine Mütze hält, an seinem kahlen Schädel. Er weiß, dass er mir noch was schuldet und fragt sich, ob das jetzt fällig sein kann und in welcher Form, ich seh´s ihm an. Der andere ist ein drahtiger Typ, eher klein, hält sich sehr gerade, mit einem exakt geschnittenen Bärtchen unter der schmalen Nase. Offensichtlich ist er der Ranghöhere, obwohl er ziemlich jung ist, jünger als ich jedenfalls, und er sieht ganz so aus, als wollte er noch mehr werden als nur Polizist in der Sierra. Er stellt sich mit Acevedo vor und lispelt dabei ein wenig. Man soll wohl merken, dass er von echten Spaniern abstammt.
Ich will´s kurz machen, die beiden erfahren von uns ungefähr das, was wir eben wissen. Nur Vicky lassen wir unerwähnt. Sie trinken im Stehen den Cafecito, den Trixi ihnen zubereitet. Das Schnäpschen dazu wird von Marinelli genießerisch geschlürft, während Acevedo es unkommentiert stehen lässt. Habe ich mir schon so vorgestellt. Dann fahren wir zusammen zu der Hütte von Koch. Sie nehmen dem Toten das Tuch vom Kopf, das irgendjemand darüber gelegt hat, vermutlich Pedro, und sehen sich das Szenario mit ungefähr derselben Miene an wie vorher die Bilder im Haupthaus. Dabei sagen sie keinen Ton. Marinelli schaukelt die Hängematte mit dem toten Koch versonnen ein bisschen hin und her. Beim Nachdenken hilft ihm das bestimmt nicht weiter, in dem Punkt ist er ohnehin ein hoffnungsloser Fall. Nach einer Weile fragt Acevedo, ob Koch kein Bett hatte. Wie Sie sehen nein, antwortet Rafa. Keine Frau? fragt der Polizist und Rafa schüttelt den Kopf. Acevedo deutet auf das Regalbrett über dem einzigen Fenster, auf dem genau drei Bücher stehen und sagt mit gekonnt überheblicher Ironie, ohne eine Miene zu verziehen: Keine Frau und kein Bett, aber eine gigantische Bibliothek. Er stellt sich auf die Zehen, holt die unscheinbaren Bände von dem schlampig gehobelten Brett und schaut kurz auf den Umschlag. Kein einziges auf Spanisch, konstatiert er mit einem Ton gezielter Verachtung und stellt sie zurück. Dann zieht er einen Fotoapparat aus der Dokumentenmappe, die er umgehängt trägt und schießt ein paar Aufnahmen. Rafa macht die erstaunte Feststellung, dass man den Fortschritt nicht aufhalten kann und dass er trotzdem überrascht ist, die Polizei nun mit Fotoapparaten zu erleben. Acevedo erwidert von oben herab, dass es sein eigener Apparat ist und dass morgen der Gerichtsmediziner aus Córdoba vorbei kommen wird. Danach könne man den Toten unter die Erde bringen. So ist das normalerweise auch vorgesehen, denn in der Hitze, die bei uns im Sommer herrscht, sollte man zumindest ab November mit dem Begraben tunlichst nicht länger als 24 Stunden warten. Rafa fragt, ob er die Angestellten sprechen will und ob er sie zusammenrufen lassen soll, aber Acevedo erwidert steif, dass er es vorzieht, die Leute einzeln zu befragen und dass er sich schon zurecht finden wird. Rafa gibt ihm noch die Telefonnummer vom Büro und bittet kühl, dass man ihn auf dem Laufenden hält. Bravo Rafa, bei einem Polizisten muss man stets das letzte Wort behalten, das ist wichtig für das Selbstbewusstsein. Dann stiefeln die beiden Uniformierten los, den Hang hoch, wo die Hütte von Pedro steht.
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