- Wie das? stammle ich leicht hilflos und ärgere mich zugleich über meine verlegene Reaktion.
- Na gut, lassen Sie mich den Anfang machen. Ich will Ihnen sagen, woher ich Bescheid wusste, obwohl ich Ihnen das nicht sagen müsste. Wir haben einen telefonischen Hinweis erhalten.
- Das kann nicht sein, auf „El Porvenir“ gibt es nur einen einzigen Telefonapparat.
- Das ist richtig, davon habe ich mich überzeugt.
- Und das heißt?
- Der Anruf erreichte uns sehr früh, etwa zwei Stunden bevor wir bei Ihnen oben waren. Was schließen Sie daraus?
- Dass es jemand gibt, der vor uns Bescheid wusste. Jemand der nicht auf „El Porvenir“ wohnt. Was genau sagte der Anrufer?
- Er sagte nur einen Satz: Fahren Sie schnell nach „El Porvenir“, dort ist heute Nacht der Verwalter ermordet worden.
- Sonst nichts?
- Das war alles. Aber eine Sache fiel mir auf. Der Anrufer konnte kein „r“ aussprechen.
Er sah mich bedeutungsvoll an.
- Sie meinen...? frage ich zögernd.
- Es wäre gut möglich, dass es sich um einen Deutschen handelt, der das spanische „r“ nicht beherrscht.
- Oder um einen Franzosen, wende ich ein.
- Es könnte ja auch ein Spanier mit einem Sprachfehler gewesen sein, sagt er mit einem kleinen Lächeln und zieht die Revers seiner Uniformjacke glatt.
- Ich werde heute nach Córdoba zurückfahren, fährt er fort. Wissen Sie, ich bin dort seit kurzem stationiert, ich war vorher in Buenos Aires. Hierher nach Belgrano bin ich nur gekommen, um die Comisaría kennen zu lernen. Eine Informationsfahrt, wenn Sie so wollen. Ich nehme an, Ihnen liegt daran, dass der Mörder rasch gefunden wird. Ihre Freunde Bertram dürften sich vermutlich seit gestern dort oben nicht mehr sehr wohl fühlen.
Er stellt sich neben mich und sieht durchs Fenster hinaus Richtung Marinelli, der im Halbschlaf vor sich hindämmert.
- Mein Kollege wird vermutlich bei der Aufklärung keine große Hilfe sein. Also, helfen Sie mit und lassen Sie es mich wissen, wenn Sie etwas herausfinden. Einverstanden?
Zu meiner Verwunderung streckt er mir seine Hand entgegen. Ich schlage ein und frage ihn, ob er Vicky nach Córdoba mitnehmen wird. Bei der Vorstellung, sie hier in Belgrano allein zu wissen mit diesem Scheißkerl von Marinelli, wird mir richtig schlecht.
- Sie kann nach Hause, oder was sie so nennt, sagt er zu meiner Überraschung.
- Heißt das, dass sie nicht mehr unter Verdacht steht?
- Ich habe ihr Alibi überprüft, sie ist frei. Bis auf weiteres.
- Wo war sie denn zur Tatzeit?
- Das muss sie Ihnen schon selber sagen. Warten Sie bitte draußen, es gibt noch ein paar Formalitäten zu erledigen.
Ich gehe hinaus und stelle mich weit genug von Marinelli entfernt auf, um von ihm nicht angesprochen zu werden. Aber er tut ohnehin so, als würde er meditieren. Es vergeht eine lange Viertelstunde, dann kommt Vicky heraus. Sie ist wirklich eine anmutige Erscheinung, wie sie die drei Stufen runtersteigt und das kurze hellblaue Jerseykleidchen sich an ihre braunen Schenkel schmiegt. Unbewegt, als wäre nichts gewesen, geht sie auf mich zu. Ich sage, dass ich sie nach „El Porvenir“ bringen werde. Acevedo schaut zu meinem Peugeot hinüber und fragt etwas amüsiert lächelnd, wer denn der Beifahrer ist. Beifahrer? frage ich, was denn für ein Beifahrer? Aber da sehe ich, dass mein Boxer nach vorne gesprungen ist und sein edles Profil zeigt. In der Tat, er sieht aus wie der alte Heyse, der manchmal mein Haus einhütet, nur die Zigarre unter der dicken Nase fehlt. Das ist Zitzewitz, antworte ich, aber Acevedo lässt sich gar nicht erst darauf ein, den Namen nachzusprechen - clever, clever! - sondern sagt, dass er Hunde gern hat und dass er ihn „Tio“ nennen wird, „Onkel“ also. Aha, man wird sich also wieder sehen, mit oder ohne Hund. Ist das eine Drohung, oder der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Wer weiß, wer weiß.
Vicky steigt ein, ohne an Marinelli, der sich in seinem Stuhl aufgerichtet hat und ihr mit einem schmierigen Ausdruck in seinem Tomatengesicht nachsieht, auch nur einen einzigen Blick zu verschwenden. Während der Fahrt frage ich sie, ob es schlimm war und sie antwortet, dass sie schon jemand finden wird, der diesem Schwein von Marinelli die Hoden abreißt.
Oben in „El Porvenir“ wartet Trixi auf uns, sie hat ebenfalls so ein Minifähnchen an, ganz ungewöhnlich, macht sie sonst nie. Wenn sie auf der Estancia ist, trägt sie immer Jeans. Der Wind presst das bisschen Stoff, soweit es reicht, an die nette Stelle, wo die Beine enden. Natürlich sieht man nichts, aber was man sieht, ist ganz allerliebst. Sie fragt Vicky, was sie als erstes möchte, eine Tasse Kaffee, ein Glas Wasser oder was sonst. Eine Dusche, antwortet Vicky, und eine Zahnbürste. Trixi legt einen Arm um ihre Schulter und sagt, das könnte sie jetzt auch vertragen, gehen wir doch zusammen unter die Dusche.
Die beiden ziehen schnatternd ab, und ich verstehe mühelos, dass sie auf meine Anwesenheit in der Dusche keinen Wert legen.
Martita ist mit einer breiten Hacke in ihrem Gärtchen zugange. Der karge Untergrund eignet sich ja nicht gerade für den Gemüseanbau. Aber die Männer hier halten große Stücke auf sie und haben ihr immer wieder von überall her etwas gute Erde herangebracht, oft nur ein paar Krümel, manchmal mit dem Muli einen Sack voll. Ein Typ, mit dem sie einige Zeit zusammen lebte, hat ihr, bevor er auf Nimmerwiedersehen verschwand, einen Zaun gebaut, damit die Ziegen keinen Unfug anrichten können. Nun grünt und blüht es auf diesen paar Quadratmetern, dass man seine Freude daran haben kann. Als sie mich auf ihre Hütte zukommen sieht, richtet sie sich auf und bekreuzigt sich. Verständlich, sie weiß, dass jetzt harte Zeiten auf sie zukommen und dass sie mir einige Fragen beantworten muss. Na, was machen die Kartoffeln? frage ich und sehe gleich, dass sie sich überlegt, was sie von dieser Gesprächseröffnung halten soll. Natürlich muss sie mir nicht erst verraten, dass man im Frühjahr noch nichts darüber sagen kann, was die Kartoffeln machen, das ist ihr klar. Um Zeit zu gewinnen, drückt sie den Rücken durch, auf die Hacke gestützt, und stöhnt ein bisschen. Wenn eine Indianerin aus Bolivien sich mit Kartoffeln beschäftigt, antwortet sie dann, ohne eine Miene zu verziehen, kann der weiße Mann sicher sein, dass sie gedeihen, denn wir haben sie erfunden. Ich kann sie gut leiden, die Martita, sie hat Humor. Leicht ist es nicht für sie, mit ihren paar Stück Vieh, und dennoch ist sie fröhlich. Außerdem ist sie eine kluge Frau. Sie würde mich natürlich gerne nach Vicky fragen, ich seh´s ihr an. Aber sie weiß, dass ich genau deswegen hier bin und lässt mir den Vortritt. Einen Mate, Señor Schill? fragt sie und verschwindet durch die schiefe Tür, nachdem sie mich aufgefordert hat, es mir auf einem der herumliegenden Holzklötze bequem zu machen. Wind und Regen haben die Lehmziegel der Hütte angefressen, und nun ragen die Strohhalme aus der Wand. Als ich mich dagegen lehne, pieksen sie mich in den Rücken.
Nach einer Viertelstunde sitzen wir einander gegenüber und saugen beide schweigend an der Bombilla. Schließlich finde ich es an der Zeit, das Gespräch wieder aufzunehmen und frage sie, wie es ihr denn so geht im Leben, von den Kartoffeln einmal abgesehen. Ach wissen Sie, sagt sie, hier oben in der Einsamkeit sind wir genügsam. Wir freuen uns über jeden Menschen, der vorbeikommt und eine gute Nachricht bringt. Die Fragezeichen stehen buchstäblich in der Luft, können Sie sie sehen? Ich ziehe den restlichen Mate durch die Bombilla und reiche ihr die Kalebasse. Ich habe zwei Nachrichten, sage ich, eine gute und eine schlechte. Welche wollen Sie zuerst hören? Immer die gute, antwortet sie, während sie aus dem Kessel heißes Wasser nachgießt und mir die Kalebasse zurück reicht, danach ist die schlechte leichter zu ertragen. Ich lege die Hand auf ihren Arm und sage: Vicky ist wieder frei, sie ist im Augenblick unten in der Estancia bei den Bertrams. Sie springt auf, stößt einen schrillen Freudenschrei aus und kickt eine herumliegende Bierdose punktgenau in die Ecke mit den Tomaten. Goool! Wer sich die Mär ausgedacht hat, Indianer wären von Natur aus stoisch, war reichlich unbedarft, finden Sie nicht auch? Dann setzt sie sich wieder auf den Holzklotz und sieht mir in die Augen. Nicht um alles in der Welt würde sie nach der schlechten Nachricht fragen.
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