Als ich den Pick-up neben den frisch gewaschenen Stolz der argentinischen Autoindustrie, genannt Peugeot 504, in die Garage stelle, höre ich eben noch das Telefon zweimal klingeln. Zu spät. Kaum bin ich im Bad, um mir die Hände zu waschen, klingelt es erneut. Da hat es jemand eilig. Ich hebe ab und höre Trixi erleichtert aufatmen. Gott sei Dank, sagt sie, Marcos, du musst sofort kommen, bitte, bitte! Was ist denn los, will ich wissen, ich bin doch erst heute Morgen von Euch weggefahren. Es stellt sich heraus, dass Vicky heute Morgen nicht auf der Estancia erschienen ist. Trixi hat etwas herumtelefoniert und erfahren, das Vicky in der Nacht von der Polizei festgenommen wurde und sich immer noch auf dem Kommissariat in Belgrano befindet. Du musst etwas unternehmen, Marcos, fleht sie mich an, Rafa ist unterwegs bei Kunden, ich kann ihn nicht erreichen. Ihr Schluchzen trifft mich mitten ins Herz. Vicky in der Gewalt dieser zwei uniformierten Räuber und Trixi mit vor Aufregung feuchtem Höschen allein auf der Estancia - man muss nicht auf einen baltischen Adeligen der alten Art als Erzeuger zurückblicken können, um in der Brust plötzlich das Herz eines Ritters von König Arthus´ Tafelrunde schlagen zu fühlen. Beruhige dich bitte, sage ich durchs Telefon, ich nehme noch eine Dusche und bin praktisch schon auf dem Weg.
Diesmal nehme ich den 504 und packe Zitzewitz auf den Rücksitz. Eigentlich ist der Wagen für die Straßen nach Belgrano zu schade. Aber wir haben es eilig, die Jungfrau aus den Fängen des Drachen zu befreien, und der Pick-up ist eine lahme Schüssel, da müssen die Stoßdämpfer von Argentiniens Stolz schon Verständnis aufbringen.
Vor der Polizeiwache sitzt Marinelli, die Uniformmütze in den Nacken geschoben. Der Wanst in dem verwaschenen dunkelblauen Hemd quillt über den Gürtel. Er denkt, er wäre John Wayne, der mit seinem Colt ganz El Dorado unter Kontrolle hat, unverkennbar. Wie geht´s, Herr Hauptmann? sage ich. Er besitzt doch tatsächlich die Unverschämtheit zu antworten, er habe schon schlechtere Nächte erlebt und zeigt ein ganz billiges, primitives Machogrinsen, das Schwein. Ich bedaure zutiefst, dass ich nicht in der Situation bin, ihm ein paar deutliche Worte zu stecken. Stattdessen sage ich, betont formell, dann könne er mir doch sicher Auskunft über Señorita Victoria Carvallo geben. Ob ich denn ein Verwandter sei, fragt er provozierend, andernfalls sei er zur Verschwiegenheit verpflichtet. Schon das Wort Verschwiegenheit aus diesem fettlippigen Froschmaul ist blanker Hohn. Ich schiebe mit der rechten Hand etwas Sand zusammen, nehme ihn mit drei Fingern hoch und lasse ihn möglichst langsam wieder zu Boden rieseln. Dabei schaue ich Marinelli vielsagend an. Er ist ein Dummkopf, aber dass er sich jetzt für die Gratisladung Bausand erkenntlich zu zeigen hat, ist ja nicht schwer zu kapieren. Außerdem hat er Übung mit solchen Spielchen, der korrupte Sack. Immer noch grinsend antwortet er: Aber sicher, die ist hier, die Señorita, und was ich sonst noch über sie erzählen kann, ist sehr positiv, aber damit würde ich Ihnen ja nichts Neues sagen, das wissen Sie doch schon selber, oder? Er nützt seine Situation bis zum Letzten aus, der Drecksack, aber er vergisst in seiner Blödheit, dass ich ihm das heimzahlen werde, und zwar prompter als er mir den Bausand, darauf kannst du dich verlassen, du Arsch Marinelli. Aber ehrlich, das ist mir jetzt langsam zu dumm, mich mit dieser subalternen Null herumzuärgern, und ich erkläre ihm, dass ich eben mal durchgehe, um Acevedo Guten Tag zu sagen. Der Herr Leutnant ist unterwegs, Verbrecher jagen, sagt Marinelli, und macht eine ironisch respektvolle Miene, der falsche Hund. In dem Augenblick kommt der Landrover um die Ecke, und Acevedo steigt aus. Er nimmt zum Gruß die Hand an die Uniformmütze, schaut zu mir, dann zu Marinelli und wieder zu mir. Gehen wir hinein! sagt er und stiefelt voraus. Sein Kollege bleibt draußen sitzen und betrachtet seinen Wanst. Die Polizeiwache ist nicht viel mehr als eine billige Baracke, und einen Moment lang empfinde ich so etwas wie Mitleid für die Männer, die ihr Leben in solchen halbverfallenen, verschmutzten Räumen verbringen müssen. An dem schiefen Kleiderhaken im Flur hängt friedlich eine Maschinenpistole, ich könnte mich ohne weiteres bedienen. Offensichtlich hat man hier volles Vertrauen, dass die Montoneros sich darauf beschränken, den Norden des Landes unsicher zu machen und dass die Stadtguerilla eben nur in der Stadt schießt und bombt, und nicht hier auf dem Land am Rande der friedlichen Sierra. Ich biete ihm eine Zigarette an und sage, dass ich gerne Señorita Vicky mitnehmen und nachhause bringen würde.
Er hebt eine Augenbraue an, die linke, lehnt die Zigarette mit einer knappen Handbewegung ab und antwortet ganz ruhig.
- Wir haben Victoria Carvallo heute Nacht festgenommen, weil wir nicht ausschließen können, dass sie mit dem Mord auf der Estancia zu tun hat.
Langsam verliere ich die Geduld.
- Sie glauben doch selbst nicht, dass ein 20jähriges Indianermädchen zu einem solchen Mord fähig wäre? Einen Mann in der Hängematte zu verbrühen? frage ich und nehme einen tiefen Lungenzug.
- Im Gegenteil! Das ist doch Indianerart, sagt er kühl, öffnet das Fenster und schiebt mir den Aschenbecher hin.
Jetzt platzt mir der Kragen. Was denkt er sich, dieser Sohn spanischer Einwanderer? Ich gebe meiner Stimme eine gewisse Schärfe.
- Wir wollen nicht vergessen, dass die Spanier in solchen Dingen auch nicht unerfahren sind. Man kann sich ja einmal bei den Indianern danach erkundigen.
- Das ist lange her. Sollte man nicht besser bei den Deutschen nachfragen? Da könnten möglicherweise Spanier und Indianer noch dazulernen, soviel ich gehört habe.
Ich denke angestrengt nach, um mir eine Parade einfallen zu lassen, als mir klar wird, dass das nicht höhnisch oder aggressiv klang. Eher betrübt. Ich mache langsam und gründlich die Zigarette aus, um mich unter Kontrolle zu kriegen und sage:
- Ich bin Argentinier, Leutnant.
- Ich auch, Señor Schill, antwortet er ruhig und mustert mich mit seinen braunen Augen.
Ich fürchte, ich habe ihn unterschätzt. Das ist ein anderes Kaliber als der dicke Marinelli, zweifellos. Ich habe den Eindruck, er weiß was er will und was er kann. Na, dann wollen wir´s mal versuchen und ein bisschen einlenken.
- Nun sagen Sie doch schon, was liegt denn eigentlich gegen das Mädchen vor?
- Ich will es Ihnen sagen. Erstens: Sie haben bei unserem ersten Gespräch die Existenz von Victoria Carvallo mit keinem Wort erwähnt, obwohl sie bei dem Ermordeten geputzt hat. Was Ihnen natürlich bekannt war. Zweitens: eine Freundin der Festgenommenen, Clara Gomez, erzählte uns, Koch habe die Carvallo mehrfach belästigt, während sie selbst behauptete, er habe sich ihr gegenüber stets korrekt verhalten. Drittens: sie ist Bolivianerin und hat keine gültige Aufenthaltsgenehmigung. Viertens: es besteht also Fluchtgefahr. Das reicht doch wohl, Señor Schill, oder sehen Sie das anders?
Da kann man nicht viel einwenden, wie er das so sachlich und kühl darlegt, und ich fange an, mir ernstlich Sorgen um Vicky zu machen, obwohl dieser Acevedo nicht so wirkt, als würde er auf Teufel komm raus einen Sündenbock suchen, nur um eine Erfolgsmeldung absetzen zu können. Um Zeit zu gewinnen, frage ich ihn, woher er eigentlich von dem Verbrechen wusste. Die Frage drückt mich schon seit gestern. Er und diese Null von Marinelli sind schließlich nicht zufällig hoch gekommen nach „El Porvenir“.
- Gegenfrage, erwidert er und lächelt überlegen aber keineswegs hämisch, wieso hat mich Herr Bertram nicht verständigt.
- Ganz einfach, wir bekamen keine Verbindung.
- Señor Schill, sagt er mit einem Ton als spräche er zu einem Kind, das noch nicht gelernt hat zu lügen, das glaube ich Ihnen nicht, und Sie wissen, dass ich das nicht glaube. Warum lassen Sie sich nichts anderes einfallen? Oder noch besser, spielen Sie doch mit offenen Karten!
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