Als sie zur Straße zurückgingen, brach endgültig die Nacht herein. Diaz aktivierte die Taschenlampe seines Smartphones und leuchtete den schmalen Weg vor ihnen aus. Während er zügig vorausging, meinte er zu Alvarez: »Weißt du, was mir bereits auf dem Hinweg aufgefallen ist und jetzt schon wieder?«
»Ich kann deine Gedanken leider nicht lesen«, konterte dieser lachend.
»Stimmt. Ich sehe hier keinerlei Schleifspuren.«
»Hm, außerdem gibt es keine Blutspuren, obwohl sein T-Shirt ziemlich blutgetränkt war.«
»Vielleicht wurde irgendein Hilfsmittel zum Transport der Leiche eingesetzt oder das war vorhin auch der Tatort und nicht nur der Ablageort.«
»Das herauszufinden, überlassen wir mal lieber der Polizei, denn die werden dafür bezahlt.« Diaz hatte überhaupt keine Lust, sich an irgendwelchen Spekulationen zu beteiligen.
Wenig später erreichten sie die Straße und beschleunigten ihre Schritte, während gleichzeitig der Lichtkegel der Taschenlampe ihnen vorauseilte.
Unvermittelt war ein lautes Knacken zu vernehmen, dass von einem dumpfen Grollen, das aus dem Erdinnern zu kommen schien, abgelöst wurde. Sofort blieben die erfahrenen Geologen stehen und hocken sich hin. Geradeso rechtzeitig, denn in diesem Moment trafen die tektonischen Urgewalten aus der Tiefe kommend auf der Erdoberfläche ein und breiteten sich rasend schnell, beginnend vom Epizentrum, in sämtliche Himmelsrichtungen aus. Die Erschütterungen nahmen sukzessive zu und erreichten nach 30 Sekunden ihren Höhepunkt, ehe sie rasch abflachten. In einiger Entfernung war ein lautes Gepolter zu hören, dass schließlich ohrenbetäubend wurde, so als ob Geröllmassen zu Tal rutschten. Plötzlich kehrte wieder Ruhe ein und außer dem Wind, war kein weiteres Geräusch mehr zu vernehmen. Die beiden Geologen erhoben sich und wurden in diesem Moment von einer Staubwolke erfasst, die von der herabstürzenden Steinlawine erzeugt wurde. Leise fluchend setzten sie ihren Weg in Richtung Hotel fort, das sie schließlich 10 Minuten später erreichten. Vor dem Haupteingang klopften sie sich den Staub aus der Kleidung und den Haaren, ehe sie die winzige Halle betraten, in der sich auch die kleine Rezeption befand.
»Ich werde jetzt mal die Polizei anrufen. Hoffentlich hat die Gerölllawine nicht die Straße verschüttet«, erklärte Pedro Diaz und verschwand hinter dem Tresen der Anmeldung. Er hob den Telefonhörer ab, ehe er lächelnd zu seinem Kollegen und Freund sagte: »Die Festnetzverbindung funktioniert.« Dann wählte er schnell die 092 und wartete geduldig, bis endlich nach dem dritten Läuten am anderen Ende abgenommen wurde. Eine dunkle Stimme stellte sich vor: »Policía Canaria. Was kann ich für Sie tun?«
»Oh, eine ganze Menge, Señor.« Der Geologe holte tief Luft und begann zu erzählen.
3 Stunden später, Zapatilla de la Reina
Eine Vielzahl unterschiedlicher Mittelklassewagen, SUV und Transporter parkten wild durcheinander auf beiden Seiten der ziemlich schmalen Straße. Einige Polizeiwagen hatten ihre Rundumleuchten angelassen, sodass ihre Lichtkegel die nähere Umgebung immer wieder aus der Dunkelheit rissen.
Die gesamte Strecke vom kleinen Parkplatz bis zur Formation, die einem Schuh ähnelte, wurde durch zahlreiche Halogenstrahler taghell ausgeleuchtet. Mehrere Mitarbeiter der Spurensicherung, gut erkennbar an ihren weißen Overalls, waren gerade dabei signifikante Spuren zu sichern. Dafür hatten sie Dutzende Plastikkärtchen, die jeweils eine andere Nummer trugen, auf dem gesamten Weg zum und rund um den Fundort der Leiche verteilt, die deutlich sichtbar diese wichtigen Standorte kennzeichneten.
Vor der Absperrung standen die beiden Geologen, die vor über drei Stunden den Toten gefunden hatten und wurden gerade von Luis Alonso befragt. Während die Männer ausführlich seine Fragen beantworteten, machte sich der erfahrene Kriminalist einige Notizen. 10 Minuten später beendete er die Befragung und die Wissenschaftler konnten wieder in ihre Unterkunft zurückkehren.
In diesem Moment fuhr ein einzelnes Fahrzeug aus südlicher Richtung kommend die Straße entlang und näherte sich mit hoher Geschwindigkeit dem hell erleuchteten Fundort. Beim Näherkommen entpuppe sich der Wagen als Polizeifahrzeug der ›Policía Canaria‹. Schließlich stoppte er direkt vor dem kleinen Parkplatz und Carlos Sanchez Garcia stieg auf der Beifahrerseite aus und ging gemächlichen Schrittes zu seinem Stellvertreter hinüber, der ihn vor dem Absperrband erwartete.
»Oh, heute mal mit Fahrer«, begrüßte er den Freund lächelnd.
»Ja, ich war mit meiner Frau zur Geburtstagsfeier eines guten Kumpels eingeladen und hatte bereits einige Gläser Wein getrunken, als dein netter Anruf kam.« Er wechselte seufzend das Thema. »Was liegt diesmal an?«
»Ein Toter, männlich, weiß, circa 60 bis 70 Jahre alt. Er wurde von zwei Geologen, die im Hotel Quartier bezogen haben, bei einem Spaziergang entdeckt.«
»Todesursache?«
»Vermutlich Messerstich. Näheres kann dir bestimmt Marta sagen.«
»Ist sie schon vor Ort?«
»Ja, seit knapp einer Stunde?«
»Gibt es sonst Auffälligkeiten?«
Luis nickte. »Ja, leider. Auf der Stirn der Leiche befindet sich wieder ein schwarzer Daumenabdruck.«
»Verdammt«, stöhnte Carlos auf und schoss einen kleinen Kiesel über die Straße, bis er am Reifen eines geparkten Polizeiwagens abprallte und mitten auf dem Asphalt liegen blieb. »Der Täter erhöht seine Schlagzahl. Aber warum? Hast du eine Idee?« Er blickte den Kollegen nachdenklich an.
Der zuckte bedauernd mit den Schultern und meinte: »Vielleicht liegt es ja an den Erdbeben.«
»Ist der Fundort auch der Tatort?«
»Vermutlich nicht, die Kleidung ist zwar rund um die Einstichstelle blutgetränkt, aber in der Umgebung der Leiche konnten bisher keinerlei Blutspuren sichergestellt werden.«
»Das heißt, im Umkehrschluss, das Opfer wurde hierher transportiert und abgelegt. Die Sache wird immer verworrener. Was machen unsere Kollegen gerade?«
»Sie befragen derzeit die Ranger des Nationalparks. Danach kommen sie zur Berichterstattung zurück. Es gibt hier nämlich kein Funknetz.«
»Auch das noch«, murmelte Carlos frustriert, »uns bleibt heute nichts erspart. Dabei ging der Abend für mich so wunderbar los.«
»Tja und nun endet er wieder einmal in einer menschlichen Tragödie.«
»Du sagst es. Hast du die Deutschen ebenfalls informiert?«
»Nein, ich wollte sie nicht aus dem Feierabend holen. Außerdem können sie uns hier draußen sowieso nicht helfen. Ich werde sie gleich morgen früh Briefen.«
»Okay, ich möchte mir mal den Fundort anschauen!«
»Ich frage die Jungs mal, ob das möglich ist.« Luis schlüpfte unter dem Absperrband durch und winkte einen Techniker der Spurensicherung zu sich heran. Die Männer wechselten kurz einige Worte miteinander. Dann nickte Alonso und rief seinem Freund zu: »Alles in Ordnung, du kannst kommen.«
Wenig später erreichte er die beiden Kollegen und fragte neugierig: »Und habt ihr bereits etwas Relevantes gefunden?«
Der Techniker nickte. »Wir haben einige Profilabdrücke von schmalen Rädern sowie Schleifspuren sichergestellt.« Er zeigte auf die nummerierten Plastikkärtchen, die wie auf einer Perlenkette aufgereiht dem Weg folgten, der zur geologischen Formation führte.
»Das heißt was?«
»Vermutlich wurde auf diese Weise die Leiche zum Fundort transportiert. Ich zeige dir mal die Spur.«
Die drei Männer hockten sich direkt an eine Stelle hin, wo zwei Radspuren deutlich zu erkennen waren.
»Die Profilbreite der beiden Reifen beträgt jeweils 4 cm und der Abstand 48,5 cm.«
Garcia deutete auf den erkennbaren Abdruck. »Ein Profil ist aber nicht zu sehen.«
»Es ist auch keines vorhanden«, erwiderte sein Kollege und erhob sich langsam. »Ich persönlich vermute, hier wurde eine Sackkarre zum Transport der Leiche eingesetzt.«
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