»So kann man das natürlich auch nennen, Pedro«, erwiderte sie kühl.
Der Katalane sah mit seinem hochroten Kopf so aus, als würde er gleich explodieren. Doch er riss sich zusammen und erklärte mit leiser Stimme: »Darf ich Sie freundlichst daran erinnern, dass die Kollegen 1980 beim Ausbruch des Mount St. Helens eine Flankeneruption völlig ausgeschlossen hatten.«
»Zeitweilig«, schränkte Amanda lächelnd ein, »denn die Umgebung rund um den Vulkan wurde vorausschauend weiträumig gesperrt.«
Er nickte. »Das stimmt zwar, trotzdem kamen 57 Menschen beim Ausbruch ums Leben, darunter unser hochverehrter Kollege David A. Johnston. Der hatte nämlich diese Gefahr völlig unterschätzt und hielt sich zum Zeitpunkt der Eruption auf einem Beobachtungsposten auf, der nur 10 km entfernt vom Vulkan lag, um die Gase einer Fumarole zu messen. Er saß also zumindest in der 1. Reihe, aber verlor wegen einer Fehleinschätzung sein Leben. Genau das will ich auf Teneriffa auf jeden Fall vermeiden.«
Seine Chefin nickte. »Ich kann Sie gut verstehen. Trotzdem ist es zu früh, den Teufel an die Wand zu malen.«
Hugo Alvarez erkannte, dass es derzeit zwecklos war, die Professorin vom Gegenteil zu überzeugen. Deshalb meinte er zu ihr: »Sie sollten auf jeden Fall die Inselverwaltung vor einem möglichen Ausbruch warnen.«
Sie nickte. »Das veranlasse ich nachher sofort. Außerdem muss die gesamte Las Canadas inklusive des Teide aus Sicherheitsgründen für den Publikumsverkehr gesperrt werden. Wie sieht es zurzeit bei den Gasemissionen im Gipfelbereich aus?« Amanda Nunez sah mit ernster Miene ihre Kollegen nacheinander an.
»Die habe ich vorhin überprüft.« Alvarez überreichte ihr eine grafische Darstellung, die er einem Ordner entnommen hatte, der direkt vor ihm lag.
Die Wissenschaftlerin sah sich die Vergleichsdaten und die zugrunde gelegten Diagramme eine Weile an, ehe sie das Blatt Papier zurückgab. »Die Temperatur hat sich um weitere 6,8 °C auf 283,1°C erhöht.«
Ihr Kollege nickte. »Die Zunahme von Schwefeldioxid macht uns echt Sorgen!«
»Sehe ich genauso. Der Ausstoß von 440 kg SO2 ist schon außergewöhnlich.«
»Das sind 80 kg mehr, als noch vor 24 Stunden.«
»Deshalb beabsichtigen wir, persönlich nach Teneriffa zu fliegen, um weitere Messinstrumente direkt im Gipfelbereich aufzustellen, sowie einige Seismometer, Überwachungskameras und GPS-Empfänger an den Flanken des Teide zu installieren. Was meinen Sie dazu, Chefin?«
Während er sprach, nickte die Professorin bereits. »Ja, das ist eine ausgezeichnete Idee und Sie bleiben anschließend, bis auf Widerruf, auf der Insel.«
»Von Vorteil wäre, wenn uns dann ein Hubschrauber ständig zur Verfügung steht.«
»Das lässt sich arrangieren.«
Da sie nicht nachfragte, warum dieser überhaupt benötigt wird, setzte er zu einer Erklärung an: »Der kann uns nämlich mit den zusätzlichen Messinstrumenten immer an den betreffenden Standorten absetzen und wir ersparen uns die mühselige Herumkraxelei mit schweren Rucksäcken.«
Die Professorin lächelte. »Mehr als verständlich. Bis wann haben Sie ihre Sachen gepackt?«
Die Geologen sahen sich kurz an, bis der Katalane schließlich meinte: »Morgen früh sind wir abmarschbereit.«
»Okay, ich werde den Transport zum Flughafen durch mein Sekretariat organisieren lassen und das ein Flugzeug extra für Sie bereitsteht.«
»Ausgezeichnet, Amanda«, lobte Alvarez.
Nunez sah die beiden Männer mit ernster Miene an. »Da wäre nur noch eines, liebe Kollegen.«
»Okay.«
»Das, was wir eben besprochen haben, bleibt bis auf Weiteres in diesem Raum. Also bitte keinerlei Kommentare, Bilder oder Videos in den sozialen Medien hochladen und natürlich kein Sterbenswörtchen an die Presse. Die überschlägt sich derzeit sowieso mit wilden Vermutungen wegen der Erdbebenserie auf Teneriffa. Da brauchen wir nicht zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen. Haben wir uns verstanden, meine Herren?«
Alvarez nickte sofort und Diaz murmelte: »Klar und deutlich, Chefin.«
Sie lächelte. »Dann haben wir ja jetzt alle zu tun!«
Während sich ihre Gäste langsam von ihren Stühlen erhoben, griff Amanda Nunez bereits nach einem Telefon. Sie wollte umgehend die Inselregierung (Cabildo Insular) über die neueste geologische Entwicklung informieren und gleichzeitig die Sperrung des Teide und der gesamten Las Canadas für den Publikumsverkehr empfehlen. Ob sich die Verwaltung letztlich daranhielt, lag dann nicht mehr in ihrem Verantwortungsbereich.
10.00 Uhr, Santa Cruz
Viele Gebäude der Stadt wurden beim letzten Erdbeben stark beschädigt. Der Putz ganzer Häuserfassaden war herabgefallen und hatte sich auf den Gehwegen zentimeterhoch verteilt. An mehreren Stellen war die Hauptwasserleitung geborsten und erzeugte dort meterhohe Wasserkaskaden, die als breite Bäche am Rinnstein entlangliefen, ehe sie in der Kanalisation verschwanden, die diese Wassermassen glücklicherweise aufnehmen konnte. Einige Straßenzüge im Zentrum der Inselhauptstadt waren kaum passierbar, da zahlreiche Risse und metertiefe Spalten die Fahrbahn durchzogen. Trotz der großen Schäden, gab es erfreulicherweise keine Opfer zu beklagen und das war letztlich auch das Wichtigste, denn Gebäudeschäden ließen sich beseitigen, der Tod aber nicht.
In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Konferenzraum und Carlos Sanchez Garcia kam herein. Nachdem er seine Kollegen und die beiden Deutschen vom BKA per Handschlag begrüßt hatte, setzte er sich an die Stirnseite des U-förmigen Konferenztisches. Er schlug einen mitgebrachten Ordner auf und meinte dann freundlich: »Schön, dass ihr alle da seid. Das ist ja nicht selbstverständlich nach diesem schweren Erdbeben. Ganz besonders begrüße ich unsere deutschen Kollegen, die ich euch bereits vorhin persönlich vorgestellt habe.« Er nickte den BKA-Beamten lächelnd zu, ehe er mit ernster Miene fortfuhr: »Kommen wir jetzt zum eigentlichen Thema, das sich für uns allmählich zum Albtraum entwickelt. Die Obduktion der Leiche, hat heute Morgen eindeutig ergeben, dass wir es mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem gleichen Täter zu tun haben. Neben dem Daumenabdruck auf der Stirn, der vermutlich das Erkennungszeichen des Mörders ist, konnte die Rechtsmedizin dieselbe DNA, wie beim ersten Opfer, sichern. Die einzelne Stichverletzung, die in diesem Fall letztlich zum Tod führte, weist ähnliche Merkmale auf, die bereits bei der vorangegangenen Obduktion festgestellt wurden. Ob es weitere Auffälligkeiten gibt, werden die mikrobiologischen und toxikologischen Untersuchungen zeigen, deren Ergebnisse allerdings erst in einigen Wochen vorliegen. Aber das ist euch ja alles bekannt. Ich persönlich erwarte da sowieso keine großen Überraschungen. Noch Fragen?« Er schob den Ordner zur Seite und lehnte sich zurück.
Hauptkommissar Jürgen Schulte vom BKA meldete sich und meinte im akzentfreien spanisch: »Ich möchte etwas zur Tatwaffe anmerken.«
»Gerne.« Carlos nickte ihm lächelnd zu.
»Wir haben uns in Deutschland intensiv mit der Stichwaffe beschäftigt und sind mittlerweile zur Auffassung gelangt, dass der Täter immer das gleiche Tatwerkzeug eingesetzt hat.«
Luis Alonso unterbrach ihn sofort. »Sie gehen also davon aus, dass der Straftäter die Waffe nicht irgendwo entsorgt, sondern mitgenommen hat.«
»Ja, das vermuten wir.«
»Das ist aber mit einem gewissen Risiko verbunden.«
Der Deutsche schmunzelte. »Inwiefern? Der Täter ist nach meiner Meinung so von sich überzeugt, dass er davon ausgeht, uns stets mehrere Schritte voraus zu sein. Wenn man sich die Liste seiner Opfer ansieht, die kontinuierlich immer länger wird, hat er leider nicht einmal unrecht.«
»Sie haben recht. Aber Sie wollten uns noch etwas zur Tatwaffe sagen.«
»Ich lasse als erstes ein Bild sprechen.« Er entnahm einem Schnellhefter einige Kopien einer Aufnahme und verteilte sie rasch unter den Anwesenden. Dann fragte er die anderen: »Kommt Ihnen das Messer vielleicht bekannt vor?«
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