„Nö“, sagte Regan. „Ist mir zu langweilig. „Warum können wir nicht nach Hause? Es ist kalt.“
Charlotte warf einen Blick in den Himmel, an dem sich dicke Wolkenmassen vor die Sonne geschoben hatten. Sie zog ihre Jacke enger um sich. „Wenn du dich bewegst, ist es nicht mehr so kalt. Komm, wir machen ein Wettrennen. Wer als Erste da hinten bei dem Kletterschiff ist!“ Charlotte stieß sich von der Mauer ab, auf der sie saß und begann zu rennen. Als sie den halben Weg zum Schiff geschafft hatte, drehte sie sich um. „Du kommst gar nicht!“, rief sie Regan zu, die immer noch mit miesepetrigem Gesicht an der Mauer lehnte. „Los! So macht das keinen Spaß zu gewinnen!“
„Ich will nach Hause!“
Charlotte verlangsamte ihr Tempo, schlug halbherzig am Schiff an und machte sich auf den Rückweg. „Regan“, sagte sie und nahm sie in den Arm. „Komm schon, sei nicht so miesepetrig. Ist doch toll hier. Hast du schon so ein Klettergerüst gesehen?“
Regan schenkte dem Schiff einen müden Blick und zuckte die Schulter.
„Das ist besser als immer nur Fernsehen. Du siehst sowieso zu viel Fernsehen in letzter Zeit“, sagte Charlotte und tänzelte mit Regan im Arm von einem Bein auf das andere.
„Kein Wunder, ist auch immer langweilig. Nie darf ich was machen“, kam es dumpf von Regan. „Immer nur still sein, immer allein.“
„Aber hier bist du nicht mehr allein und du darfst rumrennen und so viel Krach machen, wie du willst.“
„Jetzt will ich aber nicht.“
„Euch kann man es aber auch nie recht machen, was?“, stöhnte Charlotte. „Immer müsst ihr was zu meckern haben!“
„Ich meckere gar nicht. Ich will nur nach Hause.“
„Da können wir aber gerade nicht hin!“
„Weil?“
„Weil Tom da mit ein paar Kollegen arbeit ... Was zum Geier?“ Charlotte blickte in Richtung Himmel, als es plötzlich krachte.
„So ein Mist!“ Charlotte hob einen Arm, als mit einem Mal ein rauschender Regenschauer niederging.
„Jetzt müssen wir nach Hause!“, lachte Regan. „Da kann Tom nichts sagen.“
Charlotte verzog den Mund. Sie war sicher, dass Tom noch immer schimpfen würde, wenn sie jetzt heimkämen, weil sie seine kostbare Arbeitszeit störten. Andererseits konnten sie schlecht hierbleiben, es sei denn sie wollte riskieren bis auf die Knochen nass zu werden. Außerdem, bei aller Liebe und allem Verständnis, aber sie war es leid sich ständig Rücksicht nehmen zu müssen und sich zu überlegen, wie Regan und sie die Zeit vertrödeln konnten, nur weil Tom derart karrierebesessen und pingelig war.
„Ja, im Prinzip schon“, gab sie Regan recht und lief auf die Limousine zu, aus der eben Miller mit einem Regenschirm im Arm stieg.
„Danke, nicht mehr nötig“, Charlotte schlüpfte in den Wagenund zog Regan mit sich.
„Wo soll es diesmal hingehen?“
Charlotte wischte Regan ein paar nasse Locken aus dem Gesicht, die ihr an der Stirn klebten. Sie hatten nur ein paar Sekunden im Guss gestanden, aber die kurze Zeit hatte ausgereicht, um sie fast komplett zu durchweichen. Egal, wie schnell sie jetzt wieder daheim wären, Tom würde dagegen nichts sagen können, wenn er sie so sähe.
„Nach Hause. Es hat ja alles keinen Sinn mehr.“
„Wie Sie wünschen. Soll ich Mr. Donoghue Bescheid sage, dass Sie kommen?“
Charlotte überlegte kurz, ob eine Vorwarnung ihn milder stimmen könnte. „Nein“, entschied sie. „Ich denke, das wird nicht nötig sein. Er merkt auch so, dass wir wieder da sind.“
„Rein in die gute Stube“, sagte Charlotte, doch da hatte Regan sich schon an ihr vorbei ins Haus gedrängt. Es knallte, als sie ihre Schuhe in die Flurecke schmiss.
„Darf ich Fernsehen?“, brüllte sie auf dem Weg ins Wohnzimmer.
„Ja, aber leise und ...“ Charlotte verstummte, als Thomas in der Tür seines Arbeitszimmers erschien und mit verschränkten Armen im Türrahmen stehen blieb.
„Hey.“
Thomas sah Charlotte abwartend an. „Was ist das im Wohnzimmer?“
Charlotte atmete tief durch. „Regan?“
„Ah ja. Korrigiere mich, wenn ich falsch liege, aber wolltet ihr nicht einen Ausflug machen?“
„Wollten wir.“
Er nickte. „Das scheint ein ziemlich kurzer Ausflug gewesen zu sein. Immerhin seid ihr vor gerade mal“, er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, „drei Stunden hier weggefahren?“
„Tom, es tut mir leid und ich weiß, wir sind viel zu früh wieder hier, aber es ging nicht mehr.“
„Wolltet ihr nicht ins Museum?“
„Waren wir auch, aber zum einen wollte Regan irgendwann nicht mehr und dann war da noch ein Paparazzo, der uns gefolgt ist und ständig Bilder von uns gemacht hat.“
„Und?“
„Und?“ Charlotte blinzelte. „Meinst du ich finde das toll, dass ungefragt Bilder von mir gemacht werden? Außerdem, der Typ war so nah, der hätte nur die Hand ausstrecken müssen und er hätte Regan berühren können! Ohne, dass ich etwas dagegen hätte tun können!“
„Verstehe. Ihr wart im Museum, seid von einem Fotografen, einem einzelnen Fotografen, entdeckt worden und du hast dann fluchtartig das Museum verlassen?“
„Ja! Stell dir vor!“ Als sie sah, wie ein höhnisches Lächeln über sein Gesicht huschte, fügte sie hinzu: „Thomas, wir haben sogar einen Umweg über den Hyde Park gemacht und sind da geblieben, bis es angefangen hat zu schütten. Was sollte ich denn machen?“
„Keine Ahnung? Dir was anderes einfallen lassen? London ist groß. Ich bin sicher, da hätte es eine Möglichkeit gegeben.“
„Bitte?“ Charlotte brauchte eine Weile das zu verdauen. „Was soll das denn heißen? Bin ich jetzt etwa schuld an dem Ganzen? Was kann ich denn für die Presse und das Wetter?“
Thomas winkte ab. „Weißt du, ist mir doch egal. Ich weiß, was ich jetzt tun muss. Ich werde meinen Kollegen und mir was anderes suchen, wo wir garantiert ungestört sind!“
Er wandte sich dem Arbeitszimmer zu und sagte etwas zu jemanden im Raum. Kurz darauf traten fünf Leute aus dem Zimmer. Unter ihnen eine Frau, die Charlotte kannte. Es war Renia Nowack, eine unkomplizierte, fröhliche Kollegin von Thomas, die Charlotte vor gut einem Jahr am Set in Berlin, zu ihrer Zeit als Thomas Visagistin, kennengelernt hatte.
„Renia!“
„Charlie! Du hier? Ich dachte, du seist heute unterwegs?“ Renia strich eine kupferrote Haarsträhne hinter ihr Ohr und strahlte Charlotte an. „Wie lang ist das her? Es ist schön dich zu sehen! Komm, lass dich drücken!“ Sie zog Charlotte in eine Umarmung und lachte. „Was hast du seit Berlin gemacht? Also, ich meine außer Thomas von Norah zu befreien und dich mit der Presse anzulegen?“
„Ach, nicht viel. Also außer umziehen.“
„Was ist aus deinem Job geworden?“
„Meinem Job? Ach, als Visagistin? Nein,“, Charlotte schüttelte den Kopf, „das war nie mein Job. Ich habe das nicht gelernt. Das war nur eine Notlösung.“
„Nicht? Du warst aber gut.“
„Ich weiß nicht“, sagte Charlotte zögernd. „Ich war bisher nur damit beschäftigt, mich auf irgendwelchen Veranstaltungen zu zeigen oder der Presse zu entkommen.“ Charlotte fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
Renia lachte laut auf. „Das wird schon. Probier es!“
„Renia? Kommst du?“ Thomas berührte sie leicht an der Schulter.
„Wie bitte? Ach so ja. Ich komme gleich.“ Renia nahm den Mantel entgegen, den Thomas ihr hinhielt. „Danke.“ Sie schlüpfte in das Kleidungsstück. „Charlie“, seufzte sie dann und lächelte wieder. „War schön dich gesehen zu haben. Schade, dass ich jetzt weiter muss. Wenn ich gewusst hätte, dass du doch da bist, wäre ich schon früher gekommen, aber weißt du was, wir holen das nach. Wir treffen uns mal.“
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