Felix Böttger
Lücken im Lebenslauf
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Inhaltsverzeichnis
Titel Felix Böttger Lücken im Lebenslauf Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhalt Inhalt Lücken im Lebenslauf von Felix Böttger
Prolog Prolog Menschliche Leben sind wie Perlen auf einer Kette, die sich um den Hals Gottes schlingt und diesem allmählich die Luft abschnürt, je mehr die Kette im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende anwächst. Jede Perle fügt dieser Kette ein neues Glied hinzu, und jedes neue Glied bohrt sich in das weiche Fleisch der Göttlichkeit, das immer schwächer, immer kraftloser wird, bis es irgendwann überflüssig geworden ist, ein nutzloses Relikt aus der Frühgeschichte der Menschheit, totes Fleisch, das dazu verurteilt ist, grau und stinkend vor sich hinzufaulen. Ein Zombie, der von alten, frigiden Männern mit kuriosen Kopfbedeckungen im Wandschrank verstaut wird und zu besonderen Anlässen hervorgeholt werden kann, um kleine Kinder zu erschrecken. Doch was wäre, wenn sich herausstellte, dass es gar keine Kette mehr gibt, auf die sich die Perlen neuen menschlichen Lebens aufspannen lassen? Was würde passieren, wenn die faltige Haut Gottes so zerschrumpelt, von der Fäulnis so zersetzt wäre, dass die Kette keinen Halt mehr findet, um sich in das ehemals feste, rosaweiche Fleisch hineinzugraben? Wie lässt sich eine Perle auf eine schlaff herunterhängende Kette auffädeln und zu einem neuen Glied dieser Kette machen? Kann es dann überhaupt noch eine Kette geben? Das Folgende richtet sich nicht an eine Leserschaft. Es will nicht gelesen, sondern archiviert werden, vorzugsweise zwischen zwei klassischen Buchdeckeln. Damit die Chance auf Archivierung steigt, muss es zur Kenntnis genommen, also gelesen werden. Das ist jedoch nicht der Zweck folgender Ausführungen. Zweck ist die Archivierung, nicht die Kommunizierung. Es will kein Bestandteil des ewigen Geschwätzes werden, das die Datensphäre unseres Planeten erfüllt, sondern zum Fossil einer fressenden, fickenden, schlafenden, arbeitenden, schreibenden Menschheit werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wird im Folgenden eine Geschichte erzählt. Es ist eine Geschichte darüber, was passieren wird
CV
Wachstum
Telefonprotokoll ReConAcT Personalservices 12/456
Ziele
Interviewprotokoll Gero Koch / MfW 06457/547
Bildung
Engagement
Liebe das Leben
Pädagogische Sitzung 12.233
Entspannung
Achtsamkeit
Social Skills
Herausforderung
Pädagogische Sitzung 23.344
Chatprotokoll SBM
Eigenverantwortung
Pädagogische Sitzung 154.2666
Praxis
Networking
Pädagogische Sitzung 12.654
Research
Selbstbestimmung
Risikomanagement
Überzeugung
Chatprotokoll MfW 1686/719
AR-Protokoll A/4567
Weiterentwicklung
AR-Protokoll A/8657
Emanzipation
Flexibilität
Evaluation
Epilog
Impressum neobooks
Lücken im Lebenslauf
von Felix Böttger
Menschliche Leben sind wie Perlen auf einer Kette, die sich um den Hals Gottes schlingt und diesem allmählich die Luft abschnürt, je mehr die Kette im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende anwächst. Jede Perle fügt dieser Kette ein neues Glied hinzu, und jedes neue Glied bohrt sich in das weiche Fleisch der Göttlichkeit, das immer schwächer, immer kraftloser wird, bis es irgendwann überflüssig geworden ist, ein nutzloses Relikt aus der Frühgeschichte der Menschheit, totes Fleisch, das dazu verurteilt ist, grau und stinkend vor sich hinzufaulen. Ein Zombie, der von alten, frigiden Männern mit kuriosen Kopfbedeckungen im Wandschrank verstaut wird und zu besonderen Anlässen hervorgeholt werden kann, um kleine Kinder zu erschrecken.
Doch was wäre, wenn sich herausstellte, dass es gar keine Kette mehr gibt, auf die sich die Perlen neuen menschlichen Lebens aufspannen lassen? Was würde passieren, wenn die faltige Haut Gottes so zerschrumpelt, von der Fäulnis so zersetzt wäre, dass die Kette keinen Halt mehr findet, um sich in das ehemals feste, rosaweiche Fleisch hineinzugraben? Wie lässt sich eine Perle auf eine schlaff herunterhängende Kette auffädeln und zu einem neuen Glied dieser Kette machen? Kann es dann überhaupt noch eine Kette geben?
Das Folgende richtet sich nicht an eine Leserschaft. Es will nicht gelesen, sondern archiviert werden, vorzugsweise zwischen zwei klassischen Buchdeckeln. Damit die Chance auf Archivierung steigt, muss es zur Kenntnis genommen, also gelesen werden. Das ist jedoch nicht der Zweck folgender Ausführungen. Zweck ist die Archivierung, nicht die Kommunizierung. Es will kein Bestandteil des ewigen Geschwätzes werden, das die Datensphäre unseres Planeten erfüllt, sondern zum Fossil einer fressenden, fickenden, schlafenden, arbeitenden, schreibenden Menschheit werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wird im Folgenden eine Geschichte erzählt. Es ist eine Geschichte darüber, was passieren wird
Eine charakteristische graue Signatur, die um die Welt gefunkt wird. Ein Schemen, der im globalen Äther zuckt und hundertfach widergespiegelt und geteilt und gelikt wird. Ein Code, der ins Netz eingespeist wird und Menschen auf Verzückung programmiert. Ein süßer Virus, der wöchentlich ein Update erhält, nach neun Monaten farbig mutiert, an Konturen gewinnt, lacht, weint, auf Spielplätzen umhertollt, mit blauen Flecken und neuen Freunden nach Hause kommt, mit großen grünen Augen die Welt erobert, ein kleines, expandierendes Universum, mit dem irgendetwas nicht stimmt.
Maxim war kein außergewöhnliches Kind. Ein Schicksal teilte er mit Millionen anderer Kinder des 21. Jahrhunderts: Die zahlreichen ersten Male seines Lebens wurden für die Augen einer interessierten Öffentlichkeit dokumentiert und kommentiert. Damit erwies sich das Soziale Netzwerk als Nachfolger des klassischen Romans, der mit der Beschreibung handverlesener Szenen aus der Kindheit seiner Protagonisten bei der Geburt des modernen Individuums tatkräftig mitgeholfen hatte. Zu Maxims Zeit wurden die Methoden, durchschnittliche Individualität, durchschnittliche Einzigartigkeit zu produzieren, perfektioniert. Das Leben selber wurde damals zum gesprochenen Wort, das jeder einzelnen Handlung Bedeutung zuwies und sie symbolisch überhöhte. Alles, was man im Leben tat, wofür man sich entschied, wurde mit dem Gewicht des Lebens in seiner Gesamtheit beschwert. Es galt damals der kategorische Imperativ: Handele jederzeit so, dass alles, was du tust, von dir öffentlich geteilt wird und für Hunderte, Tausende oder sogar Millionen von Beobachtern zur Richtschnur ihres Urteils über dein gesamtes Leben werden kann. Maxims Eltern gehörten zur ersten Generation, die mit diesem kategorischen Imperativ aufwuchs. Diese Generation wurde zu Probanden in einem millionenfachen Experiment, in dem zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte im heißen Feuer der Selbstoptimierung das geschmiedet wurde, an dem unzählige missverstandene Diktatoren vergeblich geforscht hatten: reine, einzigartige und doch kollektive Individualität. Kristalle glitzernden Lebens, auf ihre Essenz zusammenschrumpft im Schmelzofen des Neoliberalismus, ausgestellt in den digitalen Schaufenstern der neuen Welt, gejagt von den Trüffelschweinen der Personalagenturen; zwei eingravierte Buchstaben, die zum lebenslangen Begleiter wurden: CV.
Curriculum Vitae
Emil Kronenberg
Persönliche Angaben:
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