„Nein, das ist kein ‚Tiemwörk’, weil wir keine chaotische 68er-Kommune sind, sondern ich Ihr Chef bin und Sie meine Untergebene sind.“
„Sie sind echt in manchen Dingen äußerst altmodisch, Chef“, murmelte sie. „Ich geh jedenfalls jetzt zu Bett, wenn Sie gestatten.“
„Und ob ich Ihnen das gestatte“, brummte Steiner, ging hinter die Küchentheke, förderte eine Flasche Napoléon und ein Cognacglas zu Tage und begab sich damit auf die Terrasse.
Im Liegestuhl sitzend und immer wieder am Cognacschwenker nippend, ließ er sich noch einmal alles, was an diesem Abend besprochen worden war, und alles, was seit Freitagabend geschehen war, durch den Kopf gehen.
Irgendwie hatte er den Eindruck, Wagner könnte sich mit seinem Residenzenprojekt gewaltig übernommen haben. Rollinger hatte zwar die beiden Geschäftsleute aus Lüttich und Antwerpen „Investoren“ genannt, aber war es denn auch sicher, dass diese Herren schon Geld investiert hatten? Warum hatte Wagner seine Optionen immer noch nicht in fertige Kaufverträge umgesetzt? Was waren das nur für seltsame Spielchen mit den Kartellheinis und mit Jasper? Warum war Jürgen Wagner nicht von Papas Vorhaben begeistert? Welches Interesse konnte Wagners Mörder an seinen Akten haben, sie verschwinden zu lassen? Es waren doch gewiss überwiegend Akten, die mit seinen hiesigen Planungen zu tun hatten.
Nach anderthalb Stunden beschloss er, sich ebenfalls zur Ruhe zu begeben. Als er das Chalet betrat, stellte er fest, dass das Licht auf ein Minimum gedimmt war, Monika bereits auf der äußersten hinteren rechten Doppelbetthälfte im tiefsten Schlummer lag und sie vor dem Zubettgehen die Matratze und die Bettwäsche von der hinteren Veranda hereingetragen und auf dem Boden links vom Bett für ihn präpariert hatte, was ihn ein wenig beschämte. Sie war doch eigentlich recht fürsorglich ihm gegenüber, wenn man bedachte, wie schäbig er sie manchmal behandelt hatte.
Er schlich vorsichtig am Bett vorbei zum Kleiderschrank, angelte sich einen frischen Pyjama daraus und begab sich ins Badezimmer. Nach einer raschen Körperpflege und dem Umziehen machte er das Licht aus und tastete sich zu seiner Schlafgelegenheit vor.
Auf der Matratze, unter Decken und Laken liegend, konnte er zunächst nicht einschlafen. Die Matratze war nicht so dick, die Härte des Bodens gänzlich zu dämpfen. Aber irgendwann gelang es ihm dann doch einzunicken.
3. Erste Zeugenvernehmungen
Harald meinte, alle seine Knochen spüren zu können, als er aufwachte. Draußen war es schon hell. Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm die Zeit; 6.24 Uhr. Er wollte so schnell wie möglich von diesem Lager aufstehen. Während er sich aufrappelte, sah er Monika immer noch so im Bett liegen, wie er sie am Abend zuvor dort liegen gesehen hatte. Er staunte ein wenig über ihre freien Schultern, die er nun besonders gut ausmachen konnte, nahm aber an, sie trage einen BH ohne Schulterbändchen.
Er begab sich zum Kleiderschrank. Heute konnte er sich nachträglich beglückwünschen, doch in seiner Zerstreutheit komplette Anzugsgarnituren eingepackt zu haben, denn heute würde er mal wieder amtlich unterwegs sein. Dann ging er ins Badezimmer, ließ sich ein warmes Bad ein und unterzog sich einer gründlichen Körperpflege. Anschließend putzte er seine Zähne, rasierte sich und warf sich in Schale.
Kaum war er aus dem Badezimmer getreten, traf ihn fast der Schlag. Die Mink stand, ihm mit dem Rücken zugewandt, vor einem geöffneten Kleiderschrankabteil und hantierte mit irgendwelchen Textilien. Das, was ihn derart aus der Fassung brachte, war der Umstand ihres Outfits. Sie war komplett nackt. Er wusste nicht, was er hiervon zu halten hatte. Wollte sie ihn anmachen? Wenn ja, dann war sie bei ihm aber an der falschen Adresse. Obwohl, hübsch anzusehen war sie ja schon so von hinten.
Er räusperte sich. Sie drehte sich um und hielt einige Kleidungsstücke in ihren Händen, die Harald nicht wesentlich größer als Herrentaschentücher vorkamen. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, diese irgendwie zu nutzen, sie vor ihrem Schambereich zu halten.
„Ah, guten Morgen, Chef.“ Das kam so unschuldig und zwanglos über ihre Lippen, als wäre sie gerade zünftig angezogen in sein Büro hereinspaziert.
„Morgen“, murmelte er und versuchte seinen Blick demonstrativ von ihr abzuwenden, was ihm nicht ganz gelingen wollte, genau wie es ihm noch nicht eingefallen war, sich von der Türöffnung des Badezimmers wegzubewegen.
Sie kam mit ihren dürftigen Textilien über dem Unterarm gehangen lächelnd auf ihn zu, und er befürchtete schon, sie wolle ihn nun wirklich anmachen. Für einen Augenblick sah er in ihr die Tigerin, die ihn zerfleischen wollte.
Als sie vor ihm stand, fragte sie, weitaus weniger angriffslustig als eine hungrige Raubkatze: „Darf ich das Badezimmer benutzen, oder soll ich noch warten?“
Er kam wieder etwas von seiner Irritation herunter. „Äh ... äh, ja, selbstverständlich.“ Er trat zwei Schritte zur Seite, und sie ging an ihm vorbei.
Während sie im Begriff war, die Tür zu schließen, rief sie noch: „Kaffee und Frühstück stehen schon draußen auf dem Tisch.“
Er ging nach draußen und ließ sich immer noch unter dem Eindruck des gerade Erlebten auf seinen Stuhl nieder. Dabei kam ihm ein beängstigender Verdacht. Hatte sie etwa die ganze Nacht unbekleidet im Bett, in seinem Bett gelegen? Hatte sie unbekleidet das Frühstück zubereitet und es dann ebenso nackig auf die Veranda hinausgetragen? Was sollte die Show? Aber immerhin, das Frühstück war erstklassig zubereitet.
Was ihn dann noch mehr wunderte, war ihr rasches Erscheinen nach ihrem Gang ins Badezimmer. Was ihn erneut schockierte, war das, was sie anhatte: Einen weißen Stringbody. Und jetzt setzte sie sich auch noch ungeniert ihm gegenüber, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und begann eine Scheibe getoastetes Brot mit Butter zu schmieren und Käse zu belegen, als sei es die normalste Sache der Welt, so etwas quasi nackt im Freien zu tun. Dabei schaute sie ihn immer wieder mal lächelnd an. Es verschlug ihm einfach die Sprache, mit welcher Selbstverständlichkeit sie das alles tat.
Irgendwann meinte Monika, ein Gespräch anleiern zu müssen. „Wie sehen unsere Planungen heute konkret aus?“
Endlich fand er doch zu Worten. „Während Sie sich gleich nach dem Frühstück anziehen, werde ich mit Frisch in Köln telefonieren und ihn auf die Leute ansetzen, deren Namen auf Wagners Liste stehen. Ist das erledigt, fahren wir zuerst nach Eupen zu der Architektin. Auf der Hinfahrt müssen wir noch in Weiswampach eine Befragung an einer Tankstelle durchführen. Auf der Rückfahrt hören wir uns im Hotel Schiltz in St. Vith um, ob uns dort jemand etwas zu Wagner sagen kann. Alles andere wird sich daraus ergeben.“
„Fahren wir etwa schon sofort los? Ich meine, weil Sie sagten, ich soll mich anziehen.“
Jetzt war Harald wieder total verblüfft. „Haben Sie etwa vor, in diesem Aufzug hier herumzuhüpfen bis wir losfahren?“
„Warum nicht? Ich bin ja schnell fertig. Ein Slip, ein Rock, ein Top, dafür brauche ich vielleicht nur zwei Minuten.“
„Ich will ja nicht behaupten, Frau Mink, dass mir ihr Body nicht gefällt, aber ich finde ihn doch recht freizügig“, versuchte er ihr seine Sichtweise nahezubringen.
„Oh, so laufe ich aber bei warmem Wetter immer zuhause herum. Da ist doch nichts dabei.“
„Finden Sie? Und wenn mal jemand an die Tür kommt? Der Briefträger oder so.“
Sie lachte. „Der wäre gewiss weniger überrascht als Sie. Man könnte meinen, Sie haben noch nie eine Frau in Natura gesehen.“
„Doch, das habe ich garantiert. Ich war schließlich auch mal verheiratet. Allerdings kann ich mich nicht entsinnen, jemals eine Frau gesehen zu haben, die mir im Stringbody oder gar ganz nackt die Haustür geöffnet hätte. Das geziemt sich doch nicht.“
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