Der Hauptkommissar zeigte auf eine Videokamera im Raum und erkundigte sich, ob es sich dabei um eine Attrappe handele.
Nein, die sei schon echt. Die Aufnahmen würden jeden Abend von einem Angestellten des Tankstellenbetreibers zusammen mit den Tageseinnahmen abgeholt. Sie wusste aber nicht, was die in der Zentrale mit den Bändern anstellten.
Schließlich interessierte es Harald, ob der nette Kunde mit dem Jaguar noch jemanden dabei gehabt hatte. Das wusste die Frau aber nicht mehr, oder genauer gesagt, sie hatte gar nicht darauf geachtet, ob noch jemand im Wagen gesessen hatte.
Um halb elf erreichten Steiner und Mink Eupen und fanden auch umgehend die Adresse des Architekturbüros der Sandra Altiari, das in einem altehrwürdigen Herrenhaus aus der sogenannten Gründerzeit residierte. Steiner drückte den Klingelknopf. Nur wenige Sekunden später wurde die Haustür von einem jungen Mann geöffnet, dem er sich und Monika vorstellte und sein Begehr kundtat, Frau Altiari sprechen zu wollen. Der Mann bat Monika und Harald, einzutreten und einen Augenblick im Flur zu warten, während er in ein Zimmer ging, dessen Tür angelweit offenstand.
Monika und Harald konnten vom Korridor aus sehen, dass in dem recht großen Raum mindestens vier Personen an Zeichentischen und an Computern arbeiteten. Der Mann, der ihnen aufgemacht hatte, telefonierte indessen offenbar mit seiner Chefin.
Dann kam er wieder zu den Besuchern in den Flur und bat sie, ihm zu folgen. Steiner ließ seiner Assistentin den Vortritt, als der Angestellte die Treppe zu den Obergeschossen anvisierte, und blieb dicht hinter ihr. Er konnte sich ausmalen, welch interessantes Bild sich einer zufällig unten auf den Flur tretenden Person angesichts Minks Miniröckchen und einem Slip, der nicht einmal ihre Pobacken zu verhüllen vermochte, bieten würde. Daher war es besser, er verdeckte selber diese freie Sicht.
Der Angestellte geleitete die beiden auf dem ersten Stock in ein geräumiges Arbeitszimmer und verschwand sogleich wieder. Hinter einem massiven, modernen Schreibtisch saß eine junge Frau von Schätzungsweise Mitte zwanzig. Nach Haralds Geschmack viel zu jung, ein solch großes Planungsbüro leiten zu können oder gar zu dürfen. So jung, Frau und Chefin von mehreren, zudem offenbar überwiegend männlichen Angestellten zu sein, das passte nicht in sein verkrustetes Weltbild.
Lächelnd erhob sich Sandra Altiari aus ihrem ledernen Drehsessel, umrundete ihren wuchtigen Schreibtisch und reichte zunächst Steiner, dann der Mink die Hand und stellte sich nun namentlich vor. Steiner seinerseits stellte sich und Monika ebenfalls vor und zeigte ihr seinen Dienstausweis.
Monika taxierte die junge Architektin. Gute Figur, geschäftsmäßig in einem grauen Midirock, einer weißen Bluse mit grauer Halsschleife gekleidet. Ihre langen blonden Haare waren nach oben aufgesteckt, ihr Make-up und ihre Ohrringe waren dezent, ihre langen, gelackten Fingernägel perfekt manikürt.
Steiner indes ließ eher die Räumlichkeit auf sich einwirken. Geschmackvoll und teuer eingerichtet, aber viel zu steril, um als Arbeitsplatz durchzugehen.
Die Altiari bot den beiden Besuchern Platz in den Sesseln vor ihrem Schreibtisch an und setzte sich selber wieder in ihren Drehsessel.
„Sie sind also von der deutschen Polizei“, stellte sie überflüssigerweise fest. „Ich darf annehmen, dass es um den bedauernswerten Herrn Alfons Wagner geht. Die hiesige Gerichtspolizei hat mich bereits gestern aufgesucht und mich zu Herrn Wagner befragt. Was kann ich also noch zusätzlich für Sie tun?“
Steiner schlug seine Beine übereinander und lehnte sich gewichtig in dem bequemen Sessel zurück. „Wenn ich mich nicht irre, haben unsere hiesigen Kollegen Ihnen nur ganz wenige Fragen gestellt. Haben sie Sie denn wenigstens über die Todesursache aufgeklärt?“
Wie auf Befehl verschwand das Lächeln aus Sandras Gesicht und machte einer betrübt wirkenden Miene platz.
„Nein, die Beamten beschränkten ihre Informationen darauf, mir mitzuteilen, dass Herr Wagner verstorben sei. Das hat mich schon sehr berührt, muss ich sagen. Schließlich war er einer meiner Kunden. Und Sie haben Recht, besonders viel wollten die Herren nicht von mir wissen. Ob und woher ich Herrn Wagner kenne. Das habe ich denen auch gesagt. Aber woran ist denn der Herr Wagner verstorben?“
„Er ist erschossen worden“, gab Harald kühl preis.
„Erschossen? Sie meinen, er ist ermordet worden?“ Der Ausdruck im Gesicht der Altiari wirkte aufrichtig entsetzt.
„Ja“, entgegnete Steiner knapp. „Und nun sind wir es, die gerne wissen wollen, was Sie mit Herrn Wagner zu tun hatten.“
„Nun ja, das habe ich ja auch schon den Leuten von der hiesigen Gerichtspolizei gesagt.“
„Das, was wir von denen hierzu vernommen haben, erscheint uns etwas zu lau“, sagte der Hauptkommissar mit strenger Betonung der Worte „etwas zu lau“.
„Also Herr Wagner ist im September vergangenen Jahres an mich herangetreten und bat mich, eine Vorstudie für ein Einfamilienhaus hier in der Eupener Gegend zu erstellen.“
Harald starrte sie einschüchternd an. „Das soll alles gewesen sein? War da nicht ein wenig mehr, Frau Altiari? Noch führen wir nur eine sondierende Befragung durch, aber wenn ich den Eindruck habe, dass Sie mir etwas sehr Wichtiges verschweigen, sehe ich mich genötigt, zur Staatsanwaltschaft zu stiefeln und einen Haussuchungsbeschluss zu erwirken.“
Monika staunte, wie rasch, wie direkt und wie schonungslos Steiner den Stier bei den Hörnen packte. Vor allem fand sie die Drohung mit der Haussuchung ziemlich dreist. Es war immerhin ziemlich unwahrscheinlich, dass er als deutscher Beamter hier in Belgien ohne einen bewilligten Antrag auf Amtshilfe überhaupt so etwas durchsetzen konnte. Sie konnte auch sehen, wie effektiv das auf die Altiari wirkte. Die wurde nämlich im Bruchteil einer Sekunde leichenblass. Sie schien nach Worten zu ringen, und Steiner gönnte ihr die nötige Frist dazu. Monika entnahm ihrer kleinen Handtasche einen Notizblock und einen Kugelschreiber.
„Also gut, Herr Kommissar“, sprach sie schließlich mit wenig fester Stimme, „ich habe den belgischen Polizisten und Ihnen nicht die volle Wahrheit gesagt. Es ist mir etwas peinlich, überhaupt darüber zu reden, was Sie vielleicht verstehen werden, wenn ich es Ihnen erkläre.“
„Es kommt auf einen Versuch an“, sprach Harald in nun weitaus freundlicherem Ton.
„Das, was ich gerade über das Vorprojekt für ein Wohnhaus sagte, entspricht der Wahrheit. Im September vorigen Jahres kamen Herr Wagner und eine Frau Kranz zu mir ...“
„Moment, Moment“, rief der KHK und griff in die Innentasche seines Jacketts, aus der er seine Brieftasche und einige zusammengefaltete DIN A4 Blätter zog. Letztere faltete er auf und sah sie durch, bis er das Blatt gefunden hatte, welches er suchte.
„Hieß die Frau Kranz zufällig Manuela Kranz?“
„Ja, genau“, antwortete die Architektin.
„Was können Sie uns über diese Frau sagen. In welcher Eigenschaft begleitete sie Herrn Wagner? Beschreiben Sie sie mir bitte.“
„Ich schätze Frau Kranz auf ungefähr Mitte vierzig. Sie ist eine sehr attraktive Erscheinung. Herr Wagner stellte sie mir zunächst als seine Anlageberaterin vor, was mir schon gleich etwas seltsam vorkam. Niemand braucht eine Anlageberaterin, um sich einen Bauplan für ein Einfamilienwohnhaus anfertigen zu lassen. Ich hatte eher den Eindruck, dass beide in einem anderen Verhältnis zueinander standen, was mir die Frau Kranz dann auch einige Monate später bestätigte. Allerdings war sie trotzdem seine Anlageberaterin.“
„Sehr interessant“, äußerte sich Steiner. „Kennen Sie denn auch die Wohn- oder Geschäftsadresse der Frau Kranz?“
„Tut mir leid. Die hat sie mir nie genannt. Ich habe nur ihre Handynummer. Sämtliche schriftlichen Kontakte liefen über Herrn Wagners Adresse in Augsburg.“
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