„Na hören Sie mal, Chef, wir werden nackt geboren, und es ist nicht verboten, in seinen eigenen vier Wänden ohne Klamotten umherzulaufen. Außerdem verhüllt so ein Body doch alles, was verhüllt werden soll“, erwiderte sie grinsend. „Aber wenn es Sie stört ...“
„Frau Mink, würde ich Ihre Ansichten mit Ihnen teilen, müsste ich es schlichtweg zulassen, dass Sie morgens im Flittchenkostüm im Präsidium erscheinen. Sie wissen, dass ich das nicht zulasse, und ich frage Sie, wieso ich es hier zulassen sollte.“ Seine Stimme blieb bei diesen Sätzen auffallend ruhig.
„Wir sind hier aber nicht im Präsidium, sondern bis wir uns auf den Weg machen oder jemand uns hier besuchen kommt, sind wir ganz privat. Aber wenn Sie einen solchen Wert darauf legen, kann ich mich ja jetzt gleich nach dem Frühstück schon fertigmachen.“
Er überlegte einige Minuten, während er seinen Kaffee trank. Im Grunde machte sie nicht den Anschein, als wollte sie ihm mit dieser Aufführung den Kopf verdrehen, und optisch war sie ja wirklich ganz reizvoll. Es klang auch durchaus glaubwürdig, dass sie bei sich zuhause unbekleidet oder sehr knapp bekleidet umherlief. Das Problem lag wohl eher bei ihm selber. Sie löste gewisse Gefühle bei ihm aus, die er schon lange zu verdrängen verstanden und inzwischen für abgestorben geglaubt hatte. Er rang sich zu einer Stellungnahme durch.
„Meinetwegen laufen Sie hier im Haus so herum, wie Sie es für richtig halten. Nur wünsche ich, dass Sie das für sich behalten. Ich will nicht später von anderen hören, ich sei Ihnen an die Wäsche gegangen, die Sie sowieso nicht anhaben.“
Sie belohnte ihn für dieses Zugeständnis mit ihrem schönsten Lächeln. Natürlich hatte sie gewusst, wie sehr sie ihn mit ihrer körperlichen Blöße herausgefordert hatte. Es ging ihr keineswegs darum, ihn zu verführen. Sie wollte ihn lediglich entkrampfter, entspannter erleben, als sie ihn bislang mitgemacht hatte. Vielleicht wollte sie - aber das war ihr doch nicht so bewusst - ihre Grenzen bei ihm abtasten und neu definieren.
„Das will ich Ihnen gerne versprechen, Chef. Es ist aber so, wie ich gerade sagte. Bei mir zuhause ziehe ich wirklich selten mehr an. Und übrigens gehe ich immer ohne Nachthemd oder sonst was ins Bett. Ich ertrage es einfach nicht, wenn es überall zwickt und zwackt.“
Dazu fiel Harald etwas ein. „Sie haben doch ein kleines Kind, nicht wahr?“
Sie nickte. „Ja, Benni ist jetzt 3 Jahre alt.“
„Meinen Sie nicht, dass es eine ziemlich schlechte Sache für den Jungen ist, wenn er sie so sieht?“
„Wieso das denn? Ich trage immer Stringtangas, auch wenn wir an den Strand fahren. Da ist doch nun wirklich nichts dabei“, sagte sie. „Und wie eine Frau aussieht, das weiß doch heutzutage jedes Kind.“
„Mag sein, aber Kinder sind Plappermäuler. Irgendwann kommt Ihr Sohn in die Kita, später auf die Schule, und spätestens dann wissen viel mehr Leute über Ihre Hausmode Bescheid. Da gibt es bei uns ja immer noch gewisse Sittengesetze. Und ...“
„Darüber mache ich mir nun wirklich keine Sorgen. Ich vergewaltige ja nicht mein eigenes Kind. Andere Eltern nehmen ihre Kinder sogar mit an den FKK-Strand.“
Wie entwaffnend, musste sich Harald eingestehen, und entschied, das Thema für abgehakt zu betrachten.
Gegen 8 Uhr rief Steiner im K zwo an und hatte sofort Ralf Frisch an der Strippe, dem er während einer halben Stunde erklärte, wie der Stand im Mordfall Wagner war und was er nun von ihm verlangte.
Beim Erwähnen des Namen Jasper merkte Frisch an: „Ich glaube nicht, dass ich den ohne Hinzuziehung des Drogendezernats befragen darf.“
„Ist okay. Wenn die mitnudeln wollen, sollen sie eben mitnudeln“, entschied Steiner.
Kaum war das Gespräch beendet, surrte Haralds Handy. André Rollinger war am Apparat.
„Jetzt habe ich einen echten Hammer für Sie, Kollege Steiner. Die Kugel aus Wagners Kopf und die beiden Kugeln aus dem Kopf der Brandleiche stammen aus ein und derselben Waffe, also der 9 mm, die wir bei Wagner fanden. Was sagen Sie dazu?“
„Dass wir nun zwei Morde mit einer Mordwaffe haben“, entgegnete Steiner trocken. „Wenn es allerdings die Absicht des Täters war, Wagners Tod als Selbstmord erscheinen zu lassen, dann sollte der Tod dieser Frau wohl implizieren, dass Wagner ihr Mörder war. Das können wir aber ausschließen, da Wagner seinen Jaguar im Zeitraum vom Freitagabend bis zu seiner eigenen Ermordung nicht von der Stelle bewegt hat.“
„Da gibt es aber noch etwas, was Sie wissen sollten“, sagte der Commissaire. „Die Tatwaffe ist 1977 in Augsburg an einen Mann namens Alfons Wagner verkauft worden, und sie ist auch ordnungsgemäß auf ihn registriert gewesen.“
„Na super“, rief Harald wenig begeistert aus. „Dann spielt die Musik vielleicht nicht hier, sondern in Augsburg. Ich habe trotzdem vor, mein Programm heute so abzuarbeiten, wie wir es gestern besprochen haben.“
Harald betrat den Bungalow, um Monika mitzuteilen, dass es Zeit sei, loszufahren. Monika hatte sich inzwischen umgezogen. Sie sah echt sexy aus, fand er. Ein pinkfarbener Minirock, der nicht wesentlich weiter als gerade bis unter ihr Gesäß reichte und das rote Top vom Vortag. Dazu hatte sie sich ziemlich lange und auffallende Ohrringe angelegt und sehr hochhackige rote Pumps im selben Rot ihres Tops angezogen. Im selben Rot waren auch ihre Lippen angemalt. Da das Top den gepiercten Nabel freigab, musste Harald wohl davon ausgehen, dass sie den Body gegen einen sehr kleinen Slip ausgetauscht hatte. Blieb nur noch die Frage, ob man ihm jetzt noch in ihrem Beisein abkaufen würde, ein Kriminalbeamter zu sein, selbst wenn er seinen Dienstausweis vorzeigte.
Die erste Anlaufstelle, die Steiner anging, war eine Total-Tankstelle in Weiswampach im Norden des Landes. Gemäß einer von drei Tankquittungen hatte Wagner hier am Mittwochmorgen für 68 Euro Benzin getankt und am Donnerstagnachmittag nochmals für 61,43 Euro.
Steiner nahm die Gelegenheit wahr, ebenfalls seinen Mercedes aufzutanken. Er ging zum Bezahlen in den Shop, wo eine ältere Dame an der Kasse saß, die ihm auf Französisch einen guten Tag wünschte, was Harald dazu veranlasste, auch auf Französisch zu antworten. Nach dem Bezahlen fragte Harald die Frau, ob sie am Mittwochmorgen der vorigen Woche ebenfalls Dienst gehabt hatte. Monika war über die flüssige Aussprache ihres Chefs in dieser Fremdsprache sehr überrascht, zumal sie einmal im Kommissariat erlebt hatte, wie er einen tunesischen Vernehmungskandidaten sprichwörtlich zusammengeschissen hatte, weil der eine seiner Fragen statt auf Deutsch auf Französisch beantwortet hatte und ihn deswegen dann einen halben Tag festgehalten hatte, bis ein vereidigter Dolmetscher erschienen war.
Die Frau verneinte, zur angegebenen Tageszeit, Dienst gehabt zu haben. An dem Morgen habe ihre Kollegin Melanie die Tankstelle beaufsichtigt.
Harald fragte, wann diese Melanie denn wieder anwesend sein würde.
Die Frau sagte, die Melanie sei heute für den Spätdienst von 14 bis 22 Uhr eingeteilt.
Steiner wollte nun wissen, ob sie denn letzte Woche am Donnerstagnachmittag hier gewesen sei.
Ja, antwortete die Frau, da habe sie Dienst gehabt.
Steiner zeigte ihr ein Bild von Alfons Wagner. Es war ein vergrößertes Passfoto Wagners, das ihm Rollinger am Vorabend dagelassen hatte. Er erklärte der Madame, dieser Mann müsste sowohl am Mittwochmorgen wie auch am Donnerstagnachmittag hier getankt haben. So ginge es jedenfalls aus zwei Quittungen hervor. Um ihr ein wenig auf die Sprünge zu helfen, fügte er noch hinzu, dass dieser Herr einen bordeauxroten Jaguar mit deutschem Kennzeichen gefahren haben müsste.
Das ohnehin vorhandene Dauerlächeln der Kassiererin wurde noch breiter. Aber sicher konnte sie sich noch an den netten Herrn erinnern. Er hatte für eine ziemlich krumme Zahl getankt, und sie hatte festgestellt, nicht mehr genug Kleingeld in der Kasse zu haben, ihm das Wechselgeld rauszugeben. Da habe der nette Mann ihr fünf Euro in Münzgeld gegeben, sodass er mehr als drei Euro zuviel bezahlt hatte. Dieses Mehr an Geld ließ er ihr als Trinkgeld.
Читать дальше