Ich habe dann auch mit Wagners Sohn Jürgen gesprochen, der offensichtlich im Unternehmen seines Vaters so etwas wie der stellvertretende Geschäftsführer ist. Er bestätigte mir, dass der Umsatz der Firma seit Jahren rückläufig ist. Vor fünf Jahren habe man noch 140 Arbeiter und Angestellte beschäftigt, momentan sind es noch gerade über 30. Er wusste auch, dass sein Vater seit etwa einem Jahr daran werkelt, etwas in Luxemburg auf die Beine zu stellen, aber beteuerte, inhaltlich so gut wie gar nichts darüber zu wissen.“
„Machten Jürgen Wagner und Frau Schneider einen niedergeschlagenen Eindruck auf die Nachricht vom tragischen Versterben des Herrn Alfons Wagner?“ fragte die Mink.
Gute Frage, dachte Harald widerwillig.
„Jürgen Wagner auf jeden Fall. Seine Position zu dem Vornehmen seines Vaters hier im Lande war aber deutlich ablehnend. Bei der Frau Schneider war ich mir da nicht ganz so sicher. Sie machte eher einen sachlichen Eindruck auf mich und redete nicht mehr, als nötig war.“
Steiner begann zu philosophieren. „Da haben wir also eine höchst interessante Konstellation. Wagners Betrieb in Augsburg geht allmählich den Bach runter, und er will sich ein neues Standbein hier in Luxemburg aufbauen, das mit dem Bau von Eigentumswohnungen starten soll. Dieses Projekt will oder kann er nicht allein finanzieren, weshalb er Investoren mit ins Boot nehmen will oder muss. Da fragt man sich doch, was er mit Leuten wie Jasper und den Kartellburschen am Hut hatte. Wollte er die erpressen, oder wollte er sie unbeleckt als Investoren gewinnen? Und dann scheint ja sein Sohn wenig davon zu halten, was sein Vater hier trieb.“
„Ich glaube nicht, dass Leute, die selber Bauprojekte umsetzen, schwer daran interessiert sind, sich als Juniorpartner an einem Bauprojekt eines Newcomers zu beteiligen“, meinte der Commissaire. „Herr Weißler sagte mir, die Firma, die Wagner ins Leben rufen wollte, sei ein Projektmotor. Das entspricht in etwa dem, was man bei Ihnen in Deutschland einen Bauträger nennt.“
„Verstehe“, äußerte sich Harald. „Die Kisten, die er bauen wollte, sollten schlüsselfertig an ihre späteren Eigentümer übergeben werden. Er sollte für Konzept und Ausführung sorgen, und die Interessenten zahlen scheibchenweise nach Baufortgang. Im Prinzip braucht man für eine solche Idee nicht so enorm viel Grundkapital.“
„Vorausgesetzt, man hat bereits genug Interessenten“, äußerte sich Monika.
Hierzu wusste Rollinger noch etwas beizutragen. „Jos Weißler hat eine Ahnung, welche Art von Bauvorhaben Wagner in Angriff nehmen wollte. Er meinte, es ginge um zirka 90 Wohneinheiten auf zwei Gebäudekomplexe verteilt. Und tatsächlich liegen die Grundstücke der Frau Schiffer und des Herrn Klein nebeneinander. Wie ich schon sagte, solche Wohnflächen sind begehrt, teuer und rar, was aber nicht heißen soll, dass ein Promotor schon gleich bei der Vorlage eines Bauplans auf Anhieb alle Einheiten verkauft.“
„Zwei Blöcke mit 90 Wohneinheiten“, grübelte der KHK. „Das kann nicht ganz billig sein. Außerdem besagt der Umstand, dass er sein Vorkaufsrecht auf die Grundstücke nicht in einen fixen Kaufvertrag umgesetzt hat, dass er sich seiner Sache von der finanziellen Seite doch noch nicht so sicher war.“
„Anscheinend wohl“, widersprach der Commissaire. „Laut Frau Schiffer und Herrn Klein wären diese Optionen im September ausgelaufen und ab dann auch nicht mehr gültig. Wie ich schon erwähnte, bei seinem Besuch voriger Woche bei beiden hat Herr Wagner ihnen aber zugesichert, die Chose noch im Laufe der nächsten vier Wochen unter Dach und Fach zu bringen. Es seien lediglich noch einige Formalitäten zu regeln.“
„Was nichts heißen muss“, stellte Harald dieses in Frage. „Erfinder und Planer spinnen sich manchmal ihre eigenen Welten zusammen. Wie viel sollte er denn für die Grundstücke hinblättern?“
„Bei Frau Schiffer 240.000 Euro und bei Herrn Klein 310.000 Euro. Im wahrsten Sinne des Wortes das reinste Schnäppchen, wenn man die Lage und die Größe der Areale berücksichtigt.“
„Und was könnte die Errichtung der beiden Gebäude kosten?“ hakte Steiner nach.
Rollinger zuckte mit den Achseln. „Da bin ich überfragt.“
„Nun gut, was werden Sie und was werden wir in dieser Angelegenheit als Nächstes unternehmen?“
„Besonders viel kann ich im Augenblick nicht unternehmen. Ich habe auch noch den Fall der unbekannten Toten. Die Brandleiche, von der ich gestern sprach“, antwortete der Commissaire.
Wieder einmal mischte sich Monika ein. „Was für eine Brandleiche?“
Harald sah sie verärgert von der Seite an. Wäre Rollinger nicht anwesend, hätte sie jetzt einen saftigen Rüffel von ihm kassiert. Diese Brandleiche ging die deutschen Beamten nichts an. Trotzdem ließ sich Rollinger über diesen Fall aus.
„Am Sonntagmorgen fanden Spaziergänger auf dem Gelände eines Steinbruchs bei Echternach eine verbrannte Frauenleiche. Wie sich herausstellte, hatte man sie mit zwei Schüssen niedergestreckt, allerdings nicht in diesem Steinbruch. Man hatte sie also dorthin transportiert, mit Benzin übergossen und angezündet. Die Identität des Opfers ist uns gänzlich unbekannt, weil auch nichts gefunden wurde, was sie ausweisen könnte. Was wir wohl inzwischen wissen, ist, dass am Samstagabend gegen 20 Uhr an der Stelle noch keine Leiche gelegen hatte. Jetzt sind wir natürlich auf der Suche nach vermissten Frauen in Luxemburg und in den Nachbarstaaten.
Ich persönlich glaube aber nicht, dass wir im Ausland suchen müssen, denn in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag hatten an allen Grenzen umfangreiche Verkehrskontrollen stattgefunden. Zwar lag dabei das Hauptaugenmerk auf Drogen, Alkoholmissbrauch und Autodiebstahl, aber die Kofferräume sind in jedem Fall bei allen Kontrollierten in Augenschein genommen worden.“
„Und es sind sicher auch alle Autos angehalten worden, und auf jedem kleinen Feldweg stand eine Kontrolle“, sagte Harald spöttisch, wohl wissend, dass das bestimmt nicht der Fall gewesen sein konnte.
Rollinger sah ihn leicht erbost an. „Natürlich nicht. Aber wer rechnet denn schon mit solchen unangekündigten Unternehmungen der Polizei?“
„Lassen wir das“, winkte Steiner beschwichtigend ab. „Die Sache geht uns nichts an. Also, was schlagen Sie als nächste Schritte vor?“
„Ich denke, Sie haben da bereits etwas sehr Wichtiges ins Auge gefasst, als Sie sagten, Sie wollen sich mal mit der Frau Altiari näher unterhalten. Da Sie auf der Fahrt nach Eupen sehr wahrscheinlich auch durch St. Vith kommen werden, können Sie ja auch noch so nebenbei im Hotel Schiltz einkehren und sich dort über Herrn Wagners Diner vom vergangen Donnerstag erkundigen. Und, wie gesagt, können Sie vielleicht in Sachen der Deutschen auf Wagners Liste intervenieren.“
„Ja, so sehe ich das auch“, schloss sich Harald diesem Vorschlag an.
Man vereinbarte, sich am nächsten Abend wieder hier zu treffen und sich gegebenenfalls telefonisch über neue Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten. Rollinger ließ Kopien der Belege aus Wagners Brieftasche da und verabschiedete sich.
Als der Luxemburger weggefahren war, sagte Harald zu Monika: „Manchmal hätte ich echt Lust, Ihnen eine Ohrfeige zu verpassen.“
Sie grinste ihn mit ihrem umwerfenden Von-Ohr-zu-Ohr-Lächeln an und entgegnete: „Darf ich das dann auch in meinem Bericht für Herrn Strasser vermerken?“
Er schüttelte verständnislos seinen Kopf. „Tun Sie nicht so, als hätten Sie nicht kapiert, was ich gemeint habe. Über Fälle zu reden, die uns nichts angehen, ist nicht unsere Sache. Wichtige Fragen stelle nur ich. Wenn Sie sich einbringen wollen, müssen Sie mir das erst zur Kenntnis bringen.“
„Das ist aber kein Teamwork“, protestierte die Mink.
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