Frida Kopp - Ein Fall von Borderline

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Die Künstlerin Stella hat bereits mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich, die zu unterschiedlichen Diagnosen führe, wobei sie sich mit der letzten, Borderline-Syndrom, völlig identifizieren kann, wegen ihrer Assoziation mit Grenzüberschreitungen und dem Ausbrechen aus engen Grenzen. Ihr Bericht von psychiatrischen und therapeutischen Erfahrungen ist manchmal lapidar, manchmal rebellisch, dann wieder grüblerisch und gelegentlich sogar weise.
Aufgrund ihrer Lebensgeschichte und als noch nicht sehr erfolgreiche Malerin sieht sich Stella als gesellschaftliche Außenseiterin, kann dieser prekären Situation aber durchaus Positives abgewinnen, frei nach dem Motto: Nur, wer aus sämtlichen Rahmen gefallen ist, kann das ganze Bild sehen, anders als diejenigen, die im Bild gefangen sind.
Allmählich verlagert sich Stellas Aufmerksamkeit auf die Beziehung zu Aliena, ihrer unsichtbare Spielgefährtin aus Kindertagen. Inzwischen hat die Malerin zu dieser Freundin eine zwiespältige Einstellung. Einerseits verdankt sie ihr kreative Inspirationen, andererseits macht es sie neidisch, wenn ihre Komplementärfrau in Träumen ihre mühelose Kreativität vorführt, während Stella sich mit den Problemen der materiellen Welt herumschlägt, ob es dabei nun um ihre finanzielle Situation geht oder um künstlerische Techniken.
Angesichts dieses scheinbaren Wetteiferns schlägt Stellas Neid schließlich um in heftigen Zorn, der in den Plan mündet, die einstige Spielgefährtin in ein Bild zu ver-bannen. Doch als dieses Bann-Bild fertig ist, fordert sie, verärgert über einen Patzer beim Malen, ihr Alter ego auf: «Komm doch und tausch mit mir!»
Im Epilog wird von den Folgen dieses vermeintlichen Tausches erzählt, der für eine Verschmelzung steht mit dem, was in spiritueller Literatur oft als Höheres selbst bezeichnet wird. (Allerdings geht Stella in einer esoterischen Episode nicht besonders schmeichelhaft mit diesem Thema um.

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Ein Fall von Borderline

Roman

Frida Kopp

Verlag Epubli

Imprint:

Ein Fall von Borderline

Frida Kopp

Copyright: © 2012 Frida Kopp

publishes by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Cover: Frida Kopp

ISBN 978-3-8442-2649-2

Außerdem von der Autorin bei Epubli erschienen:

Entweder Zeit oder Geld — wie es niemandem gefällt

komödiantischer Roman

Mein Krähennest

Lyrik

Inhalt

Jonglieren am Abgrund

Gut, seine Teufel zu kennen

Traumbilder

Grenzüberschreitungen

Besuch mit Knochen

Alte Knochen

Ver-Kleidung

Konturen verwischen

Gestaltwandel

Spielgefährtin

Lyrisches Zwischenspiel

Markttreiben

Karma-Perspektive

Immer wieder aufgewärmt

Den Anker kappen und lossegeln

Mal-Tour mit Eisvogel

Balance-Akt

Abdriften in tiefe Wasser

Schritt ins Ungewisse

Farbspielereien

Alternativen

Auf in den blauen Dunst

Wasserfall und Spiegel

Ultimative Kunst

In Bild und Bann

Freundschaft, aufgefrischt

Ernstes Spiel mit Möglichkeiten

Ausweichmanöver

Frei schwebende Annäherung

Es wird ernst

Über die Kante springen

Epilog

Aus dem Kokon schlüpfen und beide Flügel entfalten

Jonglieren am Abgrund

Das Bild ist überwiegend in Grautönen gehalten, in Nebelfarben: Eine Frau in einer zerklüfteten Felsenlandschaft, auf einem Fuß an einem Abgrund balancierend — den anderen hat sie nach vorn gestreckt, über die Leere, durch die neblige Schwaden wabern. Ebenso grau wabert darüber der Himmel, abgesehen von einem Lichtstreif im Westen. Doch im Osten hat sich die Andeutung einer gelbgrünen Gewittertönung ins Grau geschoben. Was dem Bild dennoch Farbenfreude verleiht, sind die bunten Bälle, mit denen die Frau jongliert. ist

„Ganz schön mutig.“

„Das auch, ja.“

„Du hast dabei wohl an den Mut der Verzweiflung gedacht?“

„Nein, das nicht.“

„Also, irgendwie passt es ganz gut auf die prekäre Lage, in der sich die Finanzwelt zur Zeit befindet.“

Bei meinen Finanzen ist das eher der Normalzustand. Dass ich seine Deutung trotzdem nicht im Sinn hatte, entgeht ihm, weil er wie hypnotisiert auf das Bild starrt. Doch gleich darauf sieht er mich durchdringend an: „Und woran hast du dabei gedacht?“

„An das, was Künstler eben tun: Sie sind immer unterwegs ins Ungewisse, betreten mit jedem Schritt Neuland.“

„Ach so. Aber dann lässt es sich ja doch auf die gegenwärtige Krise beziehen.“

„Klar. Wenn du es so sehen möchtest...“

„Dann sind wir uns ja einig. Ich nehme jedenfalls das andere. Wie abgesprochen.“

Das Bild seiner Wahl gehört zu meiner Phantastik-Serie: Mit der zusammengerollten Zeitung in der Hand und der tiefroten Rosenblüte am Revers seiner Jacke wirkt der Mann ganz so, als hätte er eine Verabredung mit einer unbekannten Frau. Sollte er auf diejenige warten, die im Hintergrund zu sehen ist? An den Stamm einer Eiche geschmiegt, verschwindet sie fast im Schatten der mächtigen Krone. Nicht einmal die Farbe ihres Umhangs lässt sich genau ausmachen: Ist er schwarz? Dunkelblau? Oder dunkelgrau? An dem Riegel, der ihn zusammenhält, steckt ebenfalls eine Rose, blutig rot. Achtet man auf die Details, stellt sich die Frage: Ist das überhaupt eine Frau? Eine Menschenfrau? Denn die Hand, die unter dem Umhang hervorlugt, scheint in einem Prozess der Verwandlung begriffen: Die langen Fingernägel wirken eher wie Krallen, und bis über die Knöchel hat sich Pelz ausgebreitet, schwarz, getupft mit grauen Schatten. Die Kapuze, unter der dunkle Locken hervorringeln, ist ein wenig verrutscht und gibt den Blick frei auf ein hoch angesetztes rundliches Ohr, das den gleichen Bewuchs aufweist wie die Hand. Das Auffälligste sind ihre Augen, die grün wie Smaragde aus dem blassen Gesicht leuchten.

Als ich mich in Bewegung setze, macht der Käufer eine abwehrende Handbewegung und stellt sich vor das Bild. Seine Mundwinkel deuten ein verhaltenes Lächeln an, während er den Blick zwischen mir und meinem Machwerk hin und her wandern lässt. „Da verbirgt sich bei dir offenbar eine ziemlich wilde Seite.“

„Bei mir?“

„Ja. Ich finde, die Dame hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dir. Also, ich würde diese Seite von dir gern mal kennenlernen.“

„Erstens bin ich keine Dame, und zweitens verberge ich meine wilde Seite nicht. Ganz im Gegenteil: Beim Malen kann ich die so richtig austoben.“

Seine eindringliche Musterung führt wahrscheinlich zu dem Resultat, dass die andere Frau, die auf dem Bild, die attraktivere ist, denn mein Haar, dessen mahagonidunkle Tönung längst wieder eine Auffrischung vertragen könnte, ist zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. Weil's praktischer ist. Na ja... nicht nur deshalb. Und so ganz daneben liegt er auch nicht mit seinem Hinweis auf die Ähnlichkeit. Jemand hat mir mal gesagt, die nach hinten gebundenen Haare würden meine Androgynität betonen. Dieser Jemand war Janna, die Frau, mit der ich meine kurze lesbische Episode ausgelebt habe. Ich habe schon ernst-haft in Erwägung gezogen, Mister Banker davon zu erzählen, zur Abschreckung. Aber das lasse ich lieber, weil er diese Info womöglich als Herausforderung sehen würde, mich wieder umzukrempeln. Hoffnungslos, und nicht etwa, weil ich überzeugte Lesbe bin. Tatsächlich pflege ich gegenwärtig das, was die meisten wohl als Askese bezeichnen würden. Ich selbst nenne mich lieber Solitärfrau. Wie ich Mister Banker wiederholt gesagt habe, investiere ich meine Energie lieber anderswo. Wie zum Beispiel in diese Phantastik-Serie.

Tatsächlich weist die Panther-Frau ähnliche Züge auf wie ich, trotzdem ist sie weit entfernt davon, so was wie meine Doppelgängerin zu sein. Die oberflächliche Ähnlichkeit beschränkt sich auf die schlanke Gestalt, das schmale Gesicht und die langen Haare. Mein Körper ist jedoch ziemlich eckig und kantig, ihr Gesicht weicher und ihr Körper anmutig. Was mir an mir selbst am besten gefällt ist mein Mund: breit und sinnlich, als wäre mein Lebenshunger unersättlich. Die Pantherin wirkt nicht sehr raubtierhaft, sondern eher verspielt wie ein Kätzchen.

„Also, von all deinen Bildern gefällt mir dies bisher am besten.“

„Tatsächlich?“

Vermutlich ist mir deutlich anzusehen, dass ich diese Einschätzung nicht teile, denn er fragt prompt: „Deins wohl nicht, wie's aussieht?“

„Nein, es sollte einem bestimmten Zweck dienen.“

Widerstrebend gebe ich seinem fragenden Blick nach: „Ich habe Kopien der ganzen Serie an entsprechende Verlage geschickt. Um mich als Illustratorin zu bewerben.“

„Wenn es dafür gedacht ist — warum verkaufst du es dann?“

„Die Verlage bekommen natürlich nur Kopien — und der Sammler das Bild. Ist ohnehin nichts draus geworden. Bei mir funktioniert das offenbar nicht — Geld als Antriebsmotor. “

„Na, ich drück' dir die Daumen, dass es noch klappt. Aber sag' mal: Warum gerade Phantastik?“

„Na, die Romane liefern so herrliche Motive.“

„Hexen, Werwölfe und dergleichen?“ fragt er in neckendem Ton.

„Ehrlich gesagt, steh ich gar nicht so auf diese Art von Lektüre. Worauf es mir ankommt, das ist die Überschreitung der allgemein akzeptierten Realität.“

„Und ich dachte, in diesen Büchern geht es vor allem um Sex. Nur so 'ne Vermutung. Ich hab' nicht viel Zeit zum Lesen.“

Gegen meine Absicht muss ich lächeln — und nicht etwa, weil er es wieder mal geschafft hat, das Gespräch auf Sex zu lenken. „Es muss wohl der Gestaltwandel sein,“ beeile ich mich zu erklären, „der mich fasziniert.“

„So, so. Vom Mensch zum Tier? Das bestätigt mir aber, dass du da was verdrängst.“

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