„Netter Schuppen”, merkte Garstmuth an, der bereits seinen gierigen Blick auf die anwesende Weiblichkeit gerichtet hatte und angestrengt die Ärsche musterte.
„Brauchst dich aber nicht lange mit Drinks zahlen und ewigem Gelaber aufzuhalten – wenn du bumsen willst, können wir dir eines von Prag-Luis' Hühnern organisieren. Profis machen das immer noch am besten”, sagte Frasther lapidar, als er den Blick seines Kumpels sah.
Doch Garstmuth hatte bereits einer zugezwinkert und mit einladender Geste auf den Barhocker neben sich gedeutet; langsamen, unsicheren Schrittes kam das Mädel angepirscht. Ein süßes, junges Ding in weißem Westernkleid, hellblauer Jeansjacke, einem schwarzen Stirnband in den langen, goldblonden Haaren und mit den obligatorischen Cowboystiefeln an den Hufen.
„Na, Blondie, magst du dich ein wenig zu mir setzen?”, brummte Garstmuth die Kleine mit seinem einlullendsten Bass an.
Das Mädchen blickte auf die Tätowierungen an Garstmuths gewaltigen Unterarmen: „Oh wow, du hast aber viele Tätowierungen. Sind die ausm Knast?”
„Nein, die sind nicht aus dem Knast, sondern von einem richtig guten Tätowierer in Amsterdam”, erklärte Garstmuth sülzend. „Hab' ich mir über die Knast-Tattoos drübermachen lassen”, fügte er dann etwas geheimnisvoll hinzu. Die Kleine kicherte schüchtern.
„Und was bedeutet: KRPR?”, fragte sie weiter, diesmal mit einem unschuldig-fragenden Augenaufschlag.
Garstmuth räusperte sich.
„Ist die Abkürzung für 'Krepier!' Ist das einzige Tattoo an dem Knaben, das KEIN Profi gestochen hat – das hab' nämlich ich gestochen”, schaltete Frasther sich in das Gespräch ein, nicht ohne einen dezent stolzen Unterton.
„Krepier?”, fragte sie ungläubig.
„Ja, weißt', Mädel, das ist meine Schlagfaust, und als der Frasther hier und ich”, Garstmuth deutete mit präsentierender Geste erst auf Frasther neben ihm und dann auf sich selbst, „früher noch junge Spunde waren, ham' wir das immer gebrüllt, wenn wir einen ausgeknockt ham'. Ist aber schon lange her…”
„Und weswegen warst du im Knast, wenn ich fragen darf?”, hakte sie nach.
„Na, eh nix besonderes, nur ein paar Kleinigkeiten wie Körperverletzung, gefährliche Drohung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Fahren in alkoholisiertem Zustand, Fahren ohne Führerschein, Fahren trotz gerichtlich angeordneter Fahrzeug-Betriebssperre…”, zählte Garstmuth die ganze Litanei auf.
Die Augen der Kleinen wurden immer größer. „Und jetzt im Moment – darfst du fahren oder nicht?”
„Natürlich nicht, aber wenn ich fahren muss, dann fahre ich, basta. Doch jetzt setz dich endlich her, Kleine, und trink was mit mir. Was magst 'n haben?”
Das Blondchen setzte sich zögerlich und mit scheuem Blick: „Eine Cola, aber die möchte ich gern selber zahlen.”
„Cola?”, fragte Garstmuth ungläubig.
„Eine Cola!”, schüttelte Frasther ungläubig den Kopf. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er diese grässlich süße, nach Dünnschiss aussehende Pampe zum letzten Mal getrunken hatte. Während die beiden ob dieser Bestellung in eine Art Schockstarre verfallen waren, ergriff das Mädel selber die Initiative und orderte sich ihr Getränk.
„Und ich heiße übrigens Donna und studiere Sozialarbeit. Nebenher tanze ich aber auch noch in einer Square-Dance-Gruppe, und die meisten Leute von der Gruppe treffen sich immer hier…”
„Square Dance?”, erkundigte sich Garstmuth. Vor seinem geistigen Auge erschien Donna, nur in einer Leder-Korsage, wie sie sich um eine Stange räkelte.
„Kennst du nicht? Das ist ein Westerntanz, ein Gruppentanz – und das hier…”, sie deutete auf ihr Kleid, „ist das traditionelle Kleid, das die Ladies dazu tragen. Ich finde das Kleid aber so angenehm, dass ich es eigentlich sowieso fast immer trage, wenn ich ausgehe…”, salbaderte Donna weiter, während das tolle Bild vor Garstmuths innerem Auge wie eine Seifenblase zerplazte.
Frasther drückte seinen Tschick aus und blendete das Geseiere der Kleinen, die jetzt munter weiter Garstmuth zutextete, einfach aus. Er ergriff sein Bier, nahm einen köstlichen, großen Schluck und ließ dann seinen Blick ein wenig durch das Lokal schweifen.
Der Billardtisch zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Eine Partie Billard wäre jetzt nicht schlecht, überlegte er sich. Doch dann erspähte er in einem Winkel einen Tischfußballkasten, an dem ein paar jugendliche Burschen rumlümmelten; vier, die spielten und einer der zusah. Er erhob sich von seinem Barhocker und steuerte breitspurig auf den Kasten zu. Wie eine antike Statue stellte er sich daneben und sah den vier Kerlchen beim Kicken zu. Könner, das sah man auf den ersten Blick. Er beobachtete noch zwei Bälle lang genau die einzelnen Aktionen – Könner, aber keine Profis, grinste er hämisch in sich hinein.
„He, du!”, blaffte er den einen Kerl an, der ihm gegenüber am Tisch stand und ebenfalls beim kickern zusah.
Das Bürschchen, ein dünner, blasser Knabe in viel zu weitem Peruanerpulli und mit einer dieser doofen Rasta-Wollmützen über dem halblangen, unfrisierten Wuschelhaar, blickte mit großen fragenden Augen zu ihm auf.
„Kannst du des da?”, Frasther deutete auf den Tisch. Das Bürsch' nickte stumm, keine Regung im Milchgesichtchen.
Mit dramatischer Geste knallte Frasther eine Münze auf die Tischplatte. „Wir fordern!”
Vier Augenpaare richteten sich unisono auf ihn, um dann sogleich wieder zum Spiel zurückzukehren. Es stand fünf zu vier für den kleinen fetten Skater und seinen ziemlich bekifft wirkenden Hungerturm von Kumpel; die beiden spielten gegen einen ebenfalls äußerst eingerauchten Rothaarigen und dessen Kumpel, der als einziger der fünf wie jeder normale Mensch Jeans und ein Hemd trug. Vor allem gefiel Frasther seine Kappe mit dem Abzeichen eines englischen Fußballvereins, der für seine prügelnden Hooliganhorden berühmt war.
Er steckte sich eine Kippe an und wartete gespannt auf den Ausgang des Spieles; der Rothaarige knallte aus der Verteidigung heraus den Ausgleich rein, doch dann, nach ewigem Geplänkel im Mittelfeld, bekam der kleine fette Skater den Ball ruhig in Abdrückposition und nutzte seine Chance.
Frasther machte sich sofort an den beiden Hebeln für Mittelfeld und Angriff zu schaffen.
„Äh, soll ich nicht lieber vorn spielen? Ich bin hinten nicht so gut…”, meldete sich sein junger Mitspieler nun erstmals zu Wort.
„Du bringst mir nur die Bälle nach vorn, den Rest mach’ ich dann schon”, beruhigte Frasther ihn.
Das Bürsch' blickte ihn zweifelnd an und nahm zögerlich die Hebel für Torwart und Abwehr in die Griffel.
„Ohne Mitte, eh klar”, sagte der kleine fette Skater und blickte zu Frasther hoch, während er den ersten Ball hochbugsierte.
„Was, ohne Mitte?”, fragte Frasther verblüfft. Er kannte natürlich diese bescheuerte neumodische Regel, wonach man mit dem Mittefeld nicht direkt aufs Tor abziehen durfte, doch er hätte sich nie gedacht, dass diese hoffnungsvollen Jungspieler hier nach dieser spielverderberischen Regel spielen würden.
„Das ist ja langweilig dann…”, wandte der kleine fette Skater ein.
„Was glaubst du, wozu diese fünf in der Mitte da sind, Kerl?” Frasther gestikulierte wild in Richtung Mittelfeld. „Na, sicher zum Abziehen, wie alle anderen auch! Man schießt ja auch mit dem Goalie und der Abwehr seine Tore, oder etwa nicht? Wie’s halt im richtigen Fußball auch so ist”, erklärte er laut genug, dass das auch ja alle mitkriegten.
„Aber dann kann einer, wenn’s blöd läuft, mal ein paar Tore hintereinander mit einem einzigen Schuss machen…”, ließ der kleine fette Skater nicht locker.
„Hör mal, wir spielen hier MIT MITTE, ist das klar? Wenn’s dir nicht passt, kannst du ja deinen Platz für einen der anderen hier freimachen, der damit nicht so’n Problem hat, hast' mich*?!”, wurde Frasther noch um eine Spur lauter. Seine Halsadern schwollen ganz leicht an.
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