„Lass den mir, Alter!”, raunte Garstmuth in verschwörerischem Tonfall. Frasther wollte im Moment eh nur in Ruhe seine Wurst und seine Fritten verdrücken, daher nickte er nur stumm mit dem Kopf und grinste in diebischer Vorfreude zu dem Vieh von einem grantigen Proleten in der Tür hinüber. Garstmuth hatte einen formidablem Stil bei solchen Auftritten, also lehnte Frasther sich entspannt zurück und genoss das Schauspiel.
„Der gehört mir!”, sagte der Mutl forsch und trat dem Schurl mit übertrieben lässigem Schritt entgegen, genüsslich Fritten in sich hineinstopfend. „Was dagegen?”
„Fahr den weg, aber sofort!!!”, herrschte der Kerl ihn mit hochrotem Kopf an. Er schien wirklich in äußerster Rage zu sein, sämtliche Adern an seinem Hals und auch die auf seiner Stirn traten hervor; man konnte richtig sehen, wie der Typ kochte. Er mochte etwa Frasthers Größe haben und wirkte ganz ordentlich durchtrainiert, wie sich das für einen Motocrosser gehörte. Eine interessante Konstellation, dachte sich Frasther, ein Gegner, kein Opfer.
„Wegfahren? Ich bin am Essen!”, sagte Garstmuth und ein spöttisches Lächeln zog sich über seine Lippen. Demonstrativ schob er sich eine weiteres Stück Wurst zwischen die Zähne. Da stürmte der Schurl auch schon auf ihn zu, den Motocrosshelm zum Schlag erhoben.
Schwerer Fehler, dachte Frasther sich noch. Garstmuth machte einen schnellen Schritt auf den Kerl zu und ließ seine Endfaust, ansatzlos aus der Schulter heraus geschlagen, mitten in der blöden Visage des Kerls ihr Ziel finden. Dieser Trottel hatte nicht mal auf seine Deckung geachtet. Mit lautem Plastik-Geschepper landete der Helm, der Schurls nunmehr kraftlosen Händen entglitten war, auf dem Boden. Sein Besitzer wurde richtiggehend aus seinen Hölzlern gehoben, dermaßen heftig war die Energie des Schlages gewesen, der soeben in seiner Fresse explodiert war. Das Klatschen und Knirschen beim Einschlag machte auch einem Schwerhörigen klar, dass da wohl einige Behandlungen beim Kieferchirurgen anstanden. Zu seinem Glück bekam der Schurl das nicht mehr mit – er war bereits weg vom Fenster, lange bevor er auf dem Boden aufschlug.
Niemals im Sturmangriff auf einen Mann mit überlegener Reichweite zurennen, dachte sich Frasther enttäuscht und schüttelte den Kopf. Hätte ein guter Kampf werden können, aber der Motocrosser verfügte über miserable Ringintelligenz.
„Höhö-höö!”, freute sich Garstmuth und rieb sich die Knöchel. „Ob der den Abdruck der heiligen Schrift in der Fresse hat, wenn er aufwacht?” Er präsentierte seine Schlagfaust mit dem KRPR drauf.
„Ich hätte die Buchstaben damals spiegelverkehrt machen sollen, damit man’s dann besser lesen kann”, philosophierte Frasther, der sich bereits über Garstmuths Fritten hergemacht hatte. Sie überließen es der Verkäuferin und einem eiligst herbeigeeilten, nicht besonders helle wirkenden Hilfs-Tankwart, sich um den reglos daliegenden Schurl zu kümmern und vertilgten genüsslich den Rest ihres Essens.
„Siehst du, war doch gar nicht so schlimm, der Schurl!”, merkte Frasther mit Seitenblick auf die Verkäuferin noch fröhlich an, als sie die Tankstelle verließen. Danach fuhren sie, jeder eine Dose Bier in der Hand und einen Tschick in der Pappn, gemütlich die restliche Kontrolltour ab. So hatten sie es zumindest geplant, doch schon beim übernächsten Huhn, das sie abkassieren wollten, mussten sie unnatürlich lange drauf warten, bis die Schnepfe wieder an ihrem Standplatz auftauchte. Sie überbrückten die Zeit mit einigen niveaulosen Scherzen, bis endlich eine mittelprächtige Fernost-Limo hielt. Es stieg eine Tussi aus, an deren Gesicht sich Frasther auch noch dunkel erinnern konnte. Nur, sie wirkte ziemlich aufgeregt – als sie Frasther in seinem Jeep entdeckte, schleuderte sie ihm in hohem Bogen ihre Handtasche entgegen.
„Nanu, was ist denn mit der los?”, staunte Garstmuth nicht schlecht.
Frasther fuhr mit Standgas langsam auf sie zu und ließ die Scheibe herunter.
„Was ist denn in dich gefahren?”, fragte er schroff.
„Ach, der Luis ist ja gar nicht bei dir – wo steckt denn dieses Arschloch, verdammt?”, fauchte sie ihn an.
„Der hat geschäftlich zu tun und deshalb übernehme ich das hier für ihn und ich will jetzt wissen was diese Spinnerei soll!”, schnauzte Frasther zurück.
„Sag der fetten Sau, wenn er schon groß abkassieren will, dann soll er gefälligst auch was dafür tun. Ich lass' mich weder bedrohen, noch abwerben und schon gar nicht lass’ ich mich im Preis drücken, nur weil dieser Idiot seine Konkurrenz nicht im Griff hat!”
Frasther und Garstmuth blickten sich kurz an.
„Heißt im Klartext?”, fragte Frasther weiter.
„Heißt im Klartext, dass dieses Arschloch da vorhin beinahe nur ein Drittel des vereinbarten Preises bezahlt hätte! Wenn ich diesem Wichser nicht deinen Jeep gezeigt und ihm mit Schwierigkeiten gedroht hätte, dann hätte der nur dreißig gezahlt! Und das ist noch lange nicht alles: Der vorletzte Typ der hier war, hat mich vollgeschwafelt von wegen Arbeitgeberwechsel, der Luis würde sich eh nicht mehr um das Geschäft kümmern, weil jetzt neue Leute die Straße übernommen hätten und der Dicke sich aus Angst vor denen in die Hosen scheiße…”
„Was war das für einer? Hast du seine Autonummer?”
„Der kam in einem Taxi…”
„Wohin seid ihr?”
„Ach ja, der wohnte im 'Goldenen Bären', zweiter Stock Zimmer vierzehn…”
„Wie sah er aus? Hatte er einen russischen Akzent?”
„Nee, nix russisch, auch kein Akzent oder so. Aber auch nicht von hier, Mann. Ausgesehen hat er ganz normal, ‘n paar Jahre älter als du, stinknormaler dunkelblauer Anzug, Durchschnittsgröße, nix Besonderes… ach ja, er stinkt sehr intensiv nach einem seltsamen Parfüm, hat mich irgendwie an Verwesungsgeruch erinnert.”
Frasther verzog angewidert das Gesicht: „Verwesung, soso. Der soll mal lieber aufpassen, dass er nicht selber bald verwest.“ Dann kurbelte er das Fenster rauf und ließ die Reifen quietschen.
„Und die Kohle von der Schnepfe?”, fragte Garstmuth.
„Egal – zuerst knöpfen wir uns den Knaben vor. Ich hab' so ein bestimmtes Gefühl, dass das unser Mann sein könnte; hast du gehört, was die gesagt hat? Der Luis würde sich in die Hosen scheißen – na Mahlzeit, das lass’ ich nicht auf mir sitzen! Wir werden schon sehen, wer sich da in die Hosen scheißt!”
„Im 'Goldenen Bären' – nobel, nobel! Die lassen sich aber nicht lumpen, diese Knaben!”, merkte Garstmuth an und köpfte ein neues Bier. Frasther trieb den Jeep wie ein Irrer über die Straßen, kümmerte sich noch weniger als sonst um Geschwindigkeitsbegrenzungen, Fußgängerwege und sonstige Einschränkungen, wie langsamere Autos und ähnliches.
„Sieh dir diese Idioten an!”, brüllte Frasther, als ein Lkw, der einen Omnibus überholte, ihn zu einer harten Bremsung nötigte. „Was hat ein Scheißbus hier mitten in der Nacht zu suchen, verdammt?”, brüllte er. Als die Überholspur endlich wieder frei war, schaltete er zurück, ließ den Motor aufwimmern, überholte und schnitt nur Zentimeter vor dem LKW wieder ein. Irgendwie musste er dem Fahrer schließlich zeigen, dass er ihn für ein Arschloch hielt. Bald bogen sie auf dem Besucherparkplatz des 'Goldenen Bären' ein; Frasther verzichtete zugunsten der Unauffälligkeit auf das übliche Handbremse-Manöver beim Einparken und fuhr stattdessen, langsam und gesittet, in eine Parklücke.
Die Lobby des Hotels war recht luxuriös ausgestattet, schwere, üppig verzierte Möbel und marmorne Tresen verbreiteten eine dunkle, kühle, schwere und nach Geld riechende Atmosphäre. Die in lächerliche Dienstbotenuniformen gekleideten Rezeptionisten sahen die beiden vom Erscheinungsbild her so gar nicht zum Rest der Gästeschar passenden Männer verwundert an, doch die kümmerten sich gar nicht um das Personal, sondern nahmen sogleich die Treppe und gingen hinauf in den zweiten Stock.
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