Tag der Nacht
Copyright: © 2014 Marcel Fenske-Pogrzeba
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-8091-3
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Marcel Fenske-Pogrzeba
Für Anne,
danke für deine Geduld und Liebe
Prolog
Lichtlosigkeit hatte sich über das Waldstück nahe des Parks gelegt, doch das hielt den Brunnen auf der künstlichen Lichtung nicht davon ab sein einsames Lied zu plätschern. Auf dem Rand des Brunnens saß ein Schatten und wartete. Nicht lange blieb er allein. Zwei weitere gesellten sich in einem fahlen blauen Schein dazu. Der erste Schatten fasste sich kurz und übergab ihnen etwas im Schutz der Dunkelheit. Dann trennten sich ihre Wege und der erste Schatten war wieder allein. Zufrieden ließ er ein finsteres Kichern erklingen.
Schatten im Nebel
Es war ein brütend heißer Tag im späten Sommer. Die Sonne brachte den Asphalt zum Glühen und die Luft zum Wabern. Auf der Autobahn A24 Richtung Hamburg schienen sich die Wagen regelrecht aufeinander zu stapeln. Immer wieder Drang das entnervte Hupen eines ungeduldigen Fahrers durch das stetige Dröhnen der Motoren, während sich die Karosserien Millimeter für Millimeter nach vorne schoben. Die Landschaft wurde von hohen, hölzernen Schallschutzwänden verdeckt, sodass der Blick aus dem Fenster nicht allzu viel Abwechslung bot.
Aus den Lautsprechern des Kleinwagens drangen die beruhigenden Klänge von Beethovens 9er Sinfonie. Die Mutter summte leise mit und warf immer wieder Blicke in den Rückspiegel auf ihre Tochter, welche wiederum entnervt aus dem Fenster starrte und die klassische Musik mit Käptn Peng aus ihren Kopfhörern zu vertreiben suchte. Am Morgen dieses Tages hatten sie all ihr Hab und Gut zusammengepackt und sich auf die lange Fahrt von Berlin nach Orust in Westschweden gemacht.
Die Begeisterung der jungen Dreizehnjährigen über die Verlagerung ihres Wohnortes hielt sich offensichtlich in Grenzen. Maras abfällige Äußerungen in den letzten Tagen hatten ihren Standpunkt mehr als klar gemacht. Viola wusste, dass ihre Tochter sie für die Scheidung verantwortlich machte und viel lieber bei ihrem Vater geblieben wäre. Doch sein stressiger Job, welcher ihn oft tagelang durch Deutschland schickte hatte ihm das alleinige Sorgerecht verwehrt. Es hatte schon eine ganze Weile zwischen ihnen nichts außer Streitigkeiten gegeben und der letzte Funke der Liebe war längst verflogen. Einige Zeit hatte das Ehepaar versucht, es vor ihrer Tochter geheim zu halten, doch irgendwann war die Wahrheit nicht mehr zu vertuschen gewesen. Ab diesem Moment hatte sich etwas unwiderruflich in dem kleinen Mädchen verändert.
Mara war ein aufgewecktes, neugieriges Kind gewesen, welches schnell neue Freunde fand und von allen als freundlich und großherzig wahrgenommen wurde. Seit dem Tag im Herbst letzten Jahres, an dem sie sich endgültig getrennt hatten, hatte sich das Mädchen vollkommen zurückgezogen und in ihre eigene Welt geflüchtet. Statt mit Offenheit begegnete sie ihren Mitmenschen nun mit Sarkasmus und Abneigung. Auch ihr Kleidungsstil hatte sich drastisch geändert. Statt Sommerkleidchen und Sandalen trug sie nun abgetragene Jeans, viel zu weite Pullover und alte Sportschuhe. Erst vor kurzem hatte Viola auf dem Laptop ihrer Tochter die Seite eines Tattoo- und Piercingstudios entdeckt.
»Wie weit ist es denn noch?«, fragte Mara mürrisch, nachdem sie eine weitere halbe Stunde aus dem Fenster gestarrt hatte.
»Nicht mehr weit, wir sind bald an der Fähre.«
»Also schon fast die Hälfte… ist ja großartig.«
Damit versank das junge Mädchen wieder in Schweigen.
»Sag mal«, setzte ihre Mutter an, in der Hoffnung aus den paar Textbrocken ein Gespräch zu beginnen.
»Willst du nicht den Pullover ausziehen? Es ist brütend warm.«
Das Thermometer zeigte knapp fünfundzwanzig Grad an und das Auto besaß keine Klimaanlage.
»Nein«, kommentierte Mara und begann in ihrem Rucksack nach etwas zu trinken zu kramen. Außer einer Flasche süßen, bereits angewärmten Sprudelzeugs mit Pfirsichgeschmack konnte sie nichts zutage fördern. Angewidert setzte sie die Flasche an die Lippen.
»Wirklich, Schatz. Du schwitzt dich noch zu Tode.«
»Dann wärst du ja schon mal ein Problem los.«
»Das war jetzt wirklich unangebracht.«
»Ich zeig dir gleich, was unangebracht ist«, motzte Mara und rülpste ihrer Mutter ins Ohr.
»Lass das. So etwas ist ekelhaft.«
Das junge Mädchen zuckte mit den Schultern und starrte wieder aus dem Fenster. Nicht, dass ihr nicht tatsächlich brütend heiß war, doch sie hatte beschlossen den Pullover solange nicht mehr auszuziehen, bis sie wieder zurück in Berlin bei ihrem Vater war. Bei der beruflichen Erfolgsrate ihrer Mutter konnte das auch hoffentlich nicht allzu lange dauern. Ihre letzten drei Jobs hatte sie in weniger als zwei Monaten wieder verloren. Es hieß also nur Augen zu und durch und in spätestens drei Monaten wäre sie wieder zuhause. Stell es dir einfach wie lange Sommerferien vor. Je mehr Mist du baust, desto schneller will Mutter wieder nach Hause.
Mara grinste über ihren teuflischen Plan in sich hinein. Nach einiger Zeit löste sich der Stau wieder auf, ohne einen erkennbaren Grund für seine Anwesenheit zu hinterlassen. Während die Felder und Solaranlagen der Mecklenburger Seenplatte an ihr vorbeizogen, schmiedete Mara Pläne, wie sie ihrer Mutter am effektivsten den Nerv rauben konnte. Ab und zu wechselten sich die Hügel mit Zeilen von Mischwäldern oder Windrädern ab, doch im Großen und Ganzen blieb die Landschaft dieselbe. Es dauerte tatsächlich nicht mehr allzu lang, bis sie die Fähre erreicht hatten und entgegen Maras Erwartungen mussten sie auch nur eine halbe Stunde warten, bis sie auf das riesige Transportschiff hinauffahren konnten. Im selben Moment, als ihre Mutter den Motor ausstellte, sprang sie bereits aus dem Wagen.
»Ich hab Hunger. Lass uns was essen.«
»Nicht so schnell, junge Dame. Zuerst schauen wir uns an, wie das Schiff den Hafen verlässt.«
»Wie öde«, murrte das Mädchen und folgte der erwachsenen Frau, als gäbe es keine größere Qual in ihrem Leben.
Die Fähre brauchte nur knapp zwei Stunden, um die Ostsee zu überqueren und Gedser in Dänemark zu erreichen. Nachdem Mara sich die Ausfahrt aus dem Hafen angesehen hatte, gab es ein kurzes Mittagessen mit Brot, Rührei, Speck, Wurst und Orangensaft. Nicht zu vergessen die Schüssel mit Schokoflakes. Darauf folgte ein kurzer Schlaf auf einer der zahlreichen Bänke. Immerhin hatte Viola ihre Tochter gezwungen bereits um fünf Uhr morgens aufzustehen, um pünktlich losfahren zu können. Eine unmenschliche Zeit, wie sich Mara mehrmals beklagt hatte. Als sie wieder ins Auto stiegen breitete sich Stille aus. Zum Glück hatte sich die Hitze bereits in angenehme zwanzig Grad verwandelt. Eine ganze Weile schlief Mara. Dann starrte sie aus dem Fenster, doch irgendwann kam sie nicht mehr an der Frage vorbei, die sich seit dem Aufstehen in ihren Hirnwindungen festgesetzt hatte.
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