„Wissen das die Patienten?“
„Hast du es gewusst, Jakob?“
„Nein, ich nicht. Als Patient muss man sich schon sehr dumm vorkommen, wenn man in einer Notsituation gefragt wird, was man hier will.“
„Du hast Recht“, antwortet José. „Stell dir vor, du hast Bauchschmerzen, gehst ins Krankenhaus und wirst gefragt, was du hier willst. Du bist falsch, wird dir gesagt. Du musst zuerst in die Notfallpraxis der KV gehen.“
„Also gehst du in die kassenärztliche Notfallpraxis und die Fragerei geht von neuem los. Am Ende musst du wieder ins Krankenhaus, weil nur dort zusätzliche Untersuchungen möglich sind.“
„Das ist doch absurd, oder nicht?“, sagt José.
„Völlig absurd.“
Um einige Erkenntnisse reicher fährt Jakob in seine Wohnung und schaltet erst einmal ab. Später sieht er sich einen Film an und telefoniert mit Isabell. Die schwärmt, wie jedes Mal, von ihrer Tour mit Lara. Sie hätten die gestellten Aufgaben fast in der vorgegebenen Zeit erfüllt. Zwar nur fast, aber eben doch. Isabells Begeisterung, für Touren mit dem Porsche, kennt offensichtlich keine Grenzen.
Die folgenden Tage im Ministerium sind hart für Jakob. Das Team bereitet die letzten Details der Chinareise des Ministers vor. Die Assistenten der begleitenden CEOs kommen ins Ministerium und sprechen Vertragswerke ab. Es geht auf den diplomatischen Kanälen hin und her. Videokonferenzen mit der Botschaft in Peking, mit chinesischen Firmenrepräsentanten und Regierungsmitgliedern. Der hauseigene, chinesische Dolmetscher ist omnipräsent und sichtbar angespannt. Er protokolliert jedes Gespräch zweisprachig und überschlägt sich förmlich mit seinen Bedenken und Ratschlägen. Offensichtlich müssen die Beamten noch Einiges dazulernen, im Umgang mit den Chinesen. Zumindest ihr Dolmetscher sieht das so. Sie hätten die asiatische Mentalität immer noch nicht verstanden. Die asiatische schon, entgegnet Jakob. Nicht aber die chinesische.
Die Zeit, die er mit Isabell verbringen kann, ist knapp. Wenigstens schaffen es beide mal wieder zu einem gemeinsamen Abendessen. Isabell hatte ein chinesisches Lokal vorgeschlagen, was Jakob als schlechten Scherz abtut. Das Chinesische habe er im Überfluss, Italien läge ihm jetzt viel näher. Kein Problem für Isabell, die umgehend versichert, sowieso einer Empfehlung Folge leisten zu wollen. Schon beim Betreten des Italieners schlägt ihnen Sympathie entgegen. Das Interieur ist erfreulich schlicht gehalten. Die Speisekarte enthält Gängiges und extra Tagesangebote. Isabell entscheidet sich für Wildfang Garnelen, Jakob für Saltimbocca alla Romana. Pasta hatte er zuletzt bei Tom gehabt.
„Bist du weiterhin auf dem Gesundheitstrip?“, will Isabell wissen. „Ist der Weg gangbar?“
„Während du mit Lara unterwegs warst, habe ich mit José über die Kassenärztlichen Vereinigungen gesprochen. Das weißt du ja bereits. Die Hilflosigkeit der KV, die Rund-um-die-Uhr Betreuung von Notfall Patienten zu managen, ist eine Bankrotterklärung der Selbstverwaltung.“
„Das Thema ist allgegenwärtig. Wir haben es in der Redaktion auch auf dem Schirm. Im Augenblick sind andere Themen bei uns vorrangig.“
„Das sehe ich nicht so. Auf deiner Plattform würde die Notfallbehandlung der Patienten einen breiten Zuspruch finden. Es kann jeden von uns treffen, vergiss das nicht.“
„Soll das eine Anspielung auf meine Fahrten mit Lara sein? Einen Autounfall kannst du auch haben.“
„Keine Anspielung, ganz pauschal, es ist eine Situation, die nach Lösungen ruft.“
„Die du bereits hast“, antwortet Isabell mit neckischem Blick.
„Mich reizt die Lösung. Es klingt vielleicht komisch, aber ich denke, dass ich angebissen habe.“
„Da werden sich deine Freunde aber freuen.“
Als Staatssekretär im Ministerium, egal welchem, erhält man stapelweise Akten. Für andere produziert man selbst welche. Es ist eine besondere Kunst, sich durch die Papierberge durchzuarbeiten. Jeder hat sei eigenes System. Vollumfänglich lesen geht nur ausnahmsweise. Die verfügbare Zeit, das Interesse, die Dringlichkeit und vor allem die Verantwortung bestimmen die Intensität des Aktenstudiums. Welches auch noch belegt werden muss. Signiert mit der eigenen Unterschrift. Nur lesen und weitergeben reicht nicht. Dokumentieren und mit Bemerkungen versehen, ist obligat. Aus mehrerlei Gründen. Und dann noch die Mails. Eine Voraussichtung erledigen zwar die engsten Mitarbeiter, die Brisanz der Inhalte schätzen sie aber nicht immer richtig ein. Zu behaupten, man hätte die Mail nicht erhalten, ist kein Argument. Schon eher eine Steilvorlage für den politischen Gegner.
Jakob sichtet wie jeden Tag die umfangreichen Mails. Spam haben seine Mitarbeiter bereits aussortiert. Bei einer sind sie sich nicht sicher und bitten ausdrücklich um seine eigene Bewertung. Es ist eine Mail von Tom, mit zwei Anhängen. Jakob liest.
„ Hi Jakob, dein Nachmittag mit José war wohl erkenntnisreich. Wie ich höre, hast du bereits jetzt eigene Ideen zur ambulanten Notfallbehandlung. Du hast dich also reingefunden. Sei mir bitte jetzt nicht böse. Wir haben vereinbart, keine weiteren Papiere von Bernd. Nur einmal noch. Der Ball muss rollen. Bernd hat mir zwei Kurzfassungen geschickt. Zugegeben auf meine Bitte hin. Schlucks runter und lies es. L.G. Tom.“
Jakob hätte Tom an die Wand genagelt. Wäre er genau jetzt vor ihm gestanden. Tom ist bei allen für sein dynamisches Handeln bekannt. Aufschieben, unerledigt lassen, das ist ihm höchst zuwider. Diese Eigenschaft hat ihm zu seiner jetzigen Position verholfen. Zum ersten Mal empfindet Jakob einen bis dahin nicht gekannten Zug an Tom: Aufdringlichkeit. Unter Freunden hält man an Vereinbarungen fest. Keine weiteren Papiere lautet die Abmachung. Gespräche, Treffen, Verabredungen, das ja. Aber jetzt die Aufforderung, wieder zwei Anhänge zu lesen. Und dann noch etwas. Woher weiß Tom von dem Treffen mit José? Wer hat wen angerufen? Was geht hinter seinem Rücken vor? Jakob sieht erst einmal die anderen Mails durch. Dann ist die Neugier doch zu groß. Er öffnet den ersten Anhang und liest.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (DKG)
„ Bei den aktuell 1. 956 Krankenhäusern wird unterschieden zwischen öffentlichen, freigemeinnützigen und privaten Trägern. Die Trägervielfalt genießt gesetzlich einen hohen Schutz.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) ist ein Verein, keine öffentlich-rechtliche Körperschaft. Die DKG ist der Zusammenschluss der Krankenhausträger, die dabei sein wollen. „Sie verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke“. Behauptet sie jedenfalls. Wie sie das schafft, wo doch die Ziele ihrer unterschiedlichen Trägerschaften erheblich divergieren, bleibt das Geheimnis der DKG e. V. Wahrscheinlich ist das eherne Ziel einzig und allein dem Vereinszweck geschuldet. Nämlich die Interessen des Vereins durchzusetzen. Welche auch immer das sein mögen.
Öffentliche Krankenhäuser liegen in der Verantwortung von Gemeinden, Städten oder Landkreisen. Sie orientieren sich an dem staatlich festgelegten Vorhaltesystem. Wer vorhält betreibt Daseinsvorsorge. Darauf war man einst stolz. Heute ist Daseinsvorsorge ein Reizwort mit dem Beigeschmack der Unwirtschaftlichkeit. Die Daseinsvorsorge ist Teil der staatlich geregelten Grundversorgung für die Bevölkerung. Dazu gehört auch der kommunale Nahverkehr, eine funktionierende Verwaltung, die Gas- Wasserversorgung und die Müllabfuhr. Die öffentlichen Krankenhäuser müssen nur erwirtschaften, was zur Deckung der Betriebskosten nötig ist. Die ausgeglichene Bilanz ist bereits ihr Erfolg.
Freigemeinnützige Krankenhäuser sind ein Potpourri aus Tradition, Geschichte, Religion oder Weltanschauung. Sie werden von Trägern der Wohlfahrtspflege, Kirchengemeinden, Stiftungen oder Vereinen gehalten. Wegen der Gemeinnützigkeit werden sie ohne Absicht der Gewinnerzielung betrieben. Das Vermögen freigemeinnütziger Krankenhausträger ist an einen bestimmten Zweck gebunden. Freigemeinnützige Krankenhäuser sind steuerbegünstigt. Im Idealfall zahlen sie weder Körperschafts-, noch Gewerbe-, Umsatz-, oder Grundsteuer.
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