Wie ein Hamsterkäfig. Ja, ja ich weiß, die berühmte Transparenz. Für alles offen, alles sichtbar. Der Architekt muss den Arsch offen gehabt haben. Wo soll man in so einem Stall etwas abstellen können. Dennoch ging es ihm besser als den Mitarbeitern, denn denen hatte man mobile Arbeitsplätze verpasst, die Firma arbeitete an vielen Projekten, bei denen die Beteiligten schnell wechselten. So zog also Hinz und Kunz mit seinem mobilen Schreibtisch durch das Großraumbüro und dockte an die diversen Anschlüsse an, wo sich gerade das Projektteam befand. Zirka 90 Zentimeter hohe Raumteiler gaben die Möglichkeit, noch den Kopf seines Gegenübers zu erkennen. Keine Langeweile aufkommen lassen, die Leute in Bewegung halten, sie flexibel einsetzen und auch eine gewisse Selbst Kontrollfunktion unter den Mitarbeitern schaffen, hatte man ihm zum Beginn erklärt. Dass selbst ein Büroarbeiter ab und an so etwas wie einen Fluchtpunkt brauchte, hatte niemand berücksichtigt. Er hatte es sich angewöhnt, zu Beginn des Tages durch das Büro zu gehen und alle zu begrüßen. Das kam gut an. Auch sah er sofort, in welcher Verfassung die Leute waren.
Krüger hatte öfter mal Ehe Stress, kein Wunder bei seiner Frau, einer furchtbaren Xanthippe, die er ihm zu einer Abteilungsfeier vorgestellt hatte. Wunderlich, der ewige Junggeselle, der wahrscheinlich öfter mal ein Glas zu viel trank aber ein hervorragender Programmierer war, Katrin, fünfzig, allein und für alle deutlich sichtbar in den Wechseljahren und immer begierig nach einem offenen Fenster wegen ihrer Hitzewallungen oder Frank, den permanent Geldprobleme plagten, weil er Unterhalt für drei Kinder zahlen musste.
Er wusste viel über seine Leute, denn zur letzten Abteilungsfeier vor einem knappen Jahr hatte er sein Budget großzügig genutzt und vor allem in Form von Alkoholika bereitgestellt. Selbst ein sehr kontrollierter Trinker hatte er die Dinge an diesem Abend einfach laufen lassen. Es lag ihm nicht daran, die Leute auszuhorchen. Dazu war er zu souverän und hatte das auch nicht nötig und es gab keinerlei Vorsatz. Aber erwartungsgemäß schmeckte es allen an diesem schönen Abend auf dem Schiff und bald kamen die ersten, um sich ausheulen. So erfuhr er, mehr oder weniger ungewollt, was bei einigen schief lief. Das merkte er sich, hatte aber nicht vor, dieses Wissen gegen sie auszuspielen.
Das Meeting spulte er routiniert ab, Ziele wurden definiert und Aufgaben verteilt, alles wie gehabt. Dann noch einige Telefonate und Besprechungen und gegen 18 Uhr verließ er das Büro. Zu Hause angekommen nahm er sich ein Bier, setzte sich vor den Fernseher und ließ sich eine halbe Stunde berieseln. Dann raffte er sich noch einmal auf, kochte sich eine Suppe, trank danach einen Grappa, sah noch etwas fern und ging ins Bett.
Mittwoch, 14. Oktober 1942, Peenemünde
Vor gut zwei Wochen, am 3. Oktober, einem Sonnabend, war das Aggregat 4 erstmalig erfolgreich aufgestiegen. Die Gipfelhöhe betrug 85 Kilometer, die Geschwindigkeit fast Mach 5. Grund für alle, diesen Tag gebührend zu feiern. Dr. Riebel war bereits über 10 Jahre an dem Projekt beteiligt, denn schon 1936 hatten weitsichtige Vertreter der Wehrmacht angeregt, Raketen für den Fernkampf zu entwickeln. Die deutsche Luftwaffe war zu diesem Zeitpunkt noch führend und ihren potentiellen Gegnern deutlich überlegen. Dies zeigte sich insbesondere in Spanien, als die ersten Bf 109 am Himmel auftauchten und mit den russischen I 16 kurzen Prozess machten. Riebel ahnte damals schon, obwohl die Propaganda anders tönte, dass es eines Tages gegen Russland gehen würde.
In dem am 24. August 1939 abgeschlossenen Nichtangriffspakt mit Russland, der eine Vertragsdauer von 10 Jahren haben sollte, sah er ein geniales Täuschungsmanöver. Auch er konnte sich vorstellen, dass deutsche Truppen irgendwann am Ural stehen und ganz Europa beherrschen würden. Recht leidenschaftslos sah er das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, denn dieses rückständige Land könnte unter deutscher Herrschaft aufblühen und die Bevölkerung am Wohlstand partizipieren. Dass es bis dahin Opfer kosten würde war in Kauf zu nehmen. Wenn es so käme, war es für ihn einleuchtend, dass die neue Reichsgrenze ein Bollwerk werden musste, das nur mit überlegenen Waffen zu schützen wäre.
Politisch übte sich Riebel in Zurückhaltung. Zwar war er zeitig Mitglied der NSDAP geworden, sah dies aber nur als Mittel an, seine ingenieurtechnischen Träume umzusetzen und an faszinierenden Projekten zu arbeiten. Hitler hielt er für einen Schreihals und Demagogen, der die Massen in seinen Bann zog. Angewidert hatte Riebel Ende der dreißiger Jahre in der Wochenschau zur Kenntnis genommen, wie Hitler oder Goebbels ganze Stadien ihrer Anhänger mit Halbwahrheiten zum Kochen brachten und die Menschen in manipulierbare Automaten verwandelten. Krieg, liebe Landsleute, sagte er sich damals, der Krieg steht schon vor der Tür. Bald wird Hitler die Klinke herunterdrücken und ihr stolpert mit Euphorie in ein Abenteuer, das euch das Leben kosten kann. Am Sieg Deutschlands hatte er allerdings keine Zweifel. Dazu ist unsere Industrie zu fortschrittlich und wir verfügen über gut ausgebildete Facharbeiter, die auch ohne Probleme moderne Waffen bedienen können waren seine Argumente.
Und er war einer der Schöpfer, die vor kurzem so eine Waffe bis in das Weltall geschossen hatten.
Das war der Anfang.
Dienstag, 26. März 2016, Berlin
Er war mit einem komischen Gefühl aufgestanden.
Nichts, was ihn beunruhigte oder Angst machte.
Einfach ein Gefühl.
Kriegte keine Klarheit in seinen Kopf, weil irgendetwas da spukte. Dagegen hilft nur die Tagesroutine sagte er sich und deckte den Frühstückstisch.
Bald war er wieder durch die Stadt unterwegs. Seine defensive Fahrweise vom Vortag behielt er auf der Autobahn bei. Im Büro gab es nichts was außergewöhnlich war und auch der restliche Arbeitstag bot keine Überraschungen. Abends zu Hause fand er einen Schein von DHL in seinem Briefkasten und holte die Sendung von seiner Nachbarin, einer freundlichen älteren Dame, ab, die ihn immer wieder wegen seiner langen Arbeitstage bedauerte. Jedes Mal fühlte er sich gemüßigt ihr zu erklären, dass es gar nicht so schlimm sei. Sie glaubte ihm nicht.
Er öffnete das Paket und ein Buch über Bunker und Festungsanlagen schlüpfte aus der Folie. Vor vier Tagen über das Internet bestellt war er gespannt, ob es seinen Erwartungen entsprach. Segen und Fluch der Technik, dachte er verträumt. Man kauft die Katze im Sack. Kein Vergleich, im Laden in einem Buch zu stöbern, die Blätter zu spüren und es eventuell wieder wegzulegen. Auf dem Sofa, ein Bier neben sich, fing er an zu blättern. Nicht schlecht, ein komplettes Verzeichnis aller in Deutschland bekannten Bunker. Gut bebildert und illustriert. Mehr als 400 Seiten stark. Los, iss erst mal was, ermahnte er sich. Schnell schmierte er sich zwei Schnitten und begann zu lesen.
Vieles war ihm bekannt, denn sein Interesse für Bunker bestand schon lange. So richtig konnte er das nicht erklären, aber die Faszination zog er vor aus der Anerkennung für die ingenieurtechnischen Leistungen und das Geheimnisvolle. Er verzog sich mit einem Grappa ins Bett und las interessiert. Das Buch war gut und spannend geschrieben und selbst solche Details wie die Befestigung der Außentüren oder deren Aufbau zogen ihn in den Bann. Er wurde müde und blätterte noch ein bisschen. Auf Seite 387 las er, dass im Buch die bekannten Bunker beschrieben wurden, aber eine Dunkelziffer aus der Zeit des Dritten Reiches verbliebe. Besonders im Thüringer Raum wurden noch nicht identifizierte Bunker vermutet. Gerüchte in den fünfziger Jahren sprachen immer wieder von einer hochgeheimen und ganz speziellen Bunkeranlage in der Gegend von Nordhausen. Kenne ich doch, ist der Mittelbau Dora wo die V2 produziert wurde, dachte er schläfrig. Doch dann sah er auf der folgenden Seite, dass der Mittelbau Dora extra erwähnt wurde.
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