1 ...8 9 10 12 13 14 ...21 Was hatte zur Bildung von Ibn Alrahs Aktionsgruppe geführt? Elend und Anarchie im Land hatten überhand genommen. Die Klanchefs in der Provinz Galguduud hatten mit der Mehrheit der wenigen, die an der Ratsversammlung teilgenommen hatten, einen folgenschweren Beschluß gefaßt: Schiffe, die nahe der Küste die Provinz passierten, sollten gekapert werden. Lösegelder würden erlöst. Ihr Einsatz würde die schlimmste Not der Menschen in ihrem Land ohne Regierung und Gesetz verhindern. Das Konzept war von politischen Aktivisten aus Palästina vorgetragen worden. Sie hatten Unterstützung angeboten. Man verfügte über vertrauenswürdige Helfer und Verbindungen an den Golf und nach Europa. Die Abwicklung von Zahlungen der Schiffsbesitzer traue man sich mit deren Hilfe zu. Der Rat war mißtrauisch gewesen und hatte nur zögernd zugestimmt. Der Bürgerkrieg im Land würde noch lange nicht beendet sein. Hilfe von außen wurde von anderen abgefangen. Um das Überleben notdürftig zu sichern, führte an notfalls unkonventionellen Maßnahmen zur Geldbeschaffung kein Weg vorbei. Gegen die Bedenken einzelner, darunter Ibn Alrahs Vater, hatte diese Meinung der Mehrheit sich durchgesetzt.
Der Auftrag zur Erprobung der Methode war an eine Gruppe Freiwilliger gegangen, sorgfältig ausgewählt aus mehreren Regionen der Provinz. Ibn Alrah Junior hatte für den Klan seiner Familie teilgenommen; nicht lange und er hatte sich als Anführer durchgesetzt. Die erste Aktion unter Anleitung der ausländischen Berater war zufriedenstellend abgelaufen. Ziel war eine kleine Jacht auf Weltumsegelung gewesen. Man hatte vier der fünf Leute der Besatzung im Halbschlaf überrascht. Der Besitzer und Angehörige der Besatzung hatten ohne lange Verzögerung Lösegeld bezahlt und dieses Geld, vermindert um eine Provision für die Vermittler war kurz danach in Galguduud eingegangen. Die Überfallenen waren glücklich gewesen, daß man sie gleich anschließend laufen ließ. Auch bei den nächsten Aktionen verzichtete das kleine Kommando auf den Einsatz von Gewalt. Die Besatzungen selbst größerer Schiffe, leisteten kaum Gegenwehr. Beim Blick in Gewehrläufe folgte man der Anweisung zum neuen Kurs zur Küste ohne Widerstand.
Die Leute aus Palästina hatten Wort gehalten. Sie organisierten fast störungslos die Zahlungen gegen eine faire Provision. Die Beträge liefen in einer verdeckt eingerichteten kleinen Zentrale in Daressalam. Gegenwehr fand nicht auf den Schiffen sondern in den Medien statt. Jede neue Aktion lösten Proteste der Opfer aus. Presse und Politik nahmen sich des Themas an, aber das Verfahren leistete seinen Dienst. Nach einiger Zeit hatten die Schiffe ihre Route weiter von der Küste weg verlegt. Die Schutzvorkehrung brachte nicht viel Erfolg, das Kommando Ibn Alrah und andere Gruppen junger Somalier zogen nach. Besser ausgerüstete und schnellere Boote wurden von einem Teil der Einnahmen angeschafft. Sie schufen die Voraussetzung zu Operationen auch auf Hoher See, weiter ab von der Küste bis zu den nach Osten verlegten Ausweichrouten der begehrten Beute.
Achmad hatte sich über diese Zusammenhänge informiert. Er hatte die Entführungen nicht ohne Vorbehalte akzeptiert. Auf lange Sicht konnte dieser Weg seiner Stammesbrüder zu keinem guten Ende führen. Als Nothilfe sah er sie als vertretbar an, solange man den Entführten keine brutale Gewalt antat. Wenn er sich vermeidbares Elend und Tod vor der Zeit in seinem Heimatort vor Augen führte, fand er widerwillig, Ibn Alrahs Methode war als Nothilfe erlaubt. Im Land seiner Ausbildung hielt man die Sagen des Robin Hood in Ehren. Der Räuber hatte nach eigener Ermächtigung genommen und zugeteilt. Wer hatte das Recht, über Ibn Alrahs Leute den Stab zu brechen wenn sie ihren vom Hungertod bedrohten Landsleuten mit Mitteln halfen, in denen die reiche Welt Verbrechen sah? Achmads Lage war hoffnungslos. Ohne ein Anfangskapital, ohne Maschinen und Strom, sie anzutreiben nützte auch ihm die Ausbildung in England nicht. Nicht nur der Hunger in seinem Heimatdorf war ihm vor Augen getreten sondern die Krankheit der Eltern, deren Besserung wenn überhaupt möglich, allein in seinen Händen lag. Sie hatten von seinen Plänen nichts geahnt. Er hatte Grund zur Annahme gehabt, wüßten sie davon, sie hätten ihm jede Beteiligung streng untersagt.
Er war einer Einladung als Gast von Ibn Alrah und Beobachter gefolgt. Die Kommandoaktion hatte unblutig geendet. Achmad hatte den Rest an Vorbehalten überwunden und Ibn Alrah erklärt, er sei zur Teilnahme an der nächsten Aktion bereit.
Der Anführer hatte ihn von Beginn an freundlich aufgenommen. Hatte schnell erkannt, die Kenntnisse des neuen Mannes konnten von Vorteil sein. Wenn sich die Führung eines Schiffes einmal hartnäckig weigerte, Befehlen der Entführer nachzukommen, hätte man notfalls fachliche Kompetenz bei der Übernahme von Motor und Steuerung zur Hand. Er hatte Achmad zu einem Schulungskurs nach Tripolis entsandt. Nach offizieller Lesart diente der Kurs dort der Ausbildung in Navigation. Die Zentrale in Daressalam hatte für Spezialkurs eines englischen Experten unter Vertrag genommen. Er hatte Achmad und zwei Landsleute aus der Nachbarprovinz waren in der Kunst geschult, wie eine blockierte Schiffssteuerung gangbar zu machen war. Die Teilnehmer hatten Theorie und Praxis über Systeme der Sicherung gesammelt, der Spezialist hatte ihnen umfangreiches Material mit auf den Weg gegeben. Seitdem führte Achmad bei den Kommandounternehmen ein paar Handbücher ständig in einem kleinen wasserdichten Koffer mit. In einem einzigen Fall von hartnäckigem passivem Widerstand hatte er die Unterlagen angewendet. Auch bei der “Stolzenfels” war die Anwendung in Reichweite gewesen. Das Ungeschick des aufgeregten Kapitäns vorhin hatte ihm die zweite Probe auf seine Findigkeit erspart.
Tran und Luc bauten gemeinsam den Verhau aus Brettern ab, dann öffnete Hansen das schwere feuerfeste Tor. Im breiten Mittelgang, das Gewehr im Anschlag, stand ihm ein Wächter gegenüber. Seine Leute hoben ohne eine Aufforderung abzuwarten, die Arme bis zum Kopf und traten hinter ihm heraus.
“Telephon”, herrschte der Mann Hansen an. Der Bursche hatte sich auf diesen Moment vorbereitet. Widerstand war sinnlos; Hansen ging zurück und holte das Telephon aus dem Versteck. Der Pirat nahm es wortlos in Empfang. Er wedelte mit dem Lauf der Waffe und mit einem zweite Befehl,“Go”, trieb er den Trupp vor sich her zum Aufzug. Weiter oben lieferte er ihn bei seinen Kameraden ab. Die Piraten hatten die Offiziersmesse in Beschlag genommen. Ibrahim sprach ein paar Worte mit seinem Landsmann, nahm das Telephon an sich und verließ den Raum. Bald danach kam er zurück und forderte Hansen zum Besuch der Brücke auf.
Die beiden machten sich zusammen auf den weg, alle anderen dirigierte Ibrahim in den einstigen Besprechungsraum und schloß sie ein. Sie waren dem Gestank entkommen, man hatte wieder frische Luft zum atmen. Kein Vergleich mit dem verwünschten Verlies der letzten dreißig Stunden! Ein Somali trat ein, der vorher im Nachbarraum nicht zu sehen gewesen gewesen war. Er stellte eine gefüllte Schüssel, Löffel, Brot und Teller auf den Tisch. Sein Kamerad hielt draußen Wache, unverändert das Gewehr im Anschlag. Joe hatte vor Beginn der Attacke Eintopf gekocht, der noch genießbar war. Die Piraten waren umsichtig gewesen und hatten vorausschauend den scharf gewürzten Sud für ihre Gastgeber auf Dauer der Einschließung gekühlt. Für den Verzehr der Kartoffeln und Fleischbrocken waren Löffel schlecht geeignet. Gabeln und Messer gestand man ihnen nicht zu, stellte Stellring mit Bedauern fest. Andererseits erschien ihm die Beschränkung auf Löffel als Schutzmaßnahme aus Sicht der Geiselnehmer keine Zumutung.
Ibrahim und Hansen erreichten die Zugangstür zur Brücke. Der Afrikaner, der Hansens Platz am Steuer eingenommen hatte, schien oberster Anführer zu sein. Achmad drehte sich um und kam Hansen ein paar Schritt entgegen. Der Kapitän wies den angebotenen Handschlag zurück. Erging stattdessen zur Fensterfront und warf einen Blick auf seine Instrumente. Keiner der beiden anderen auf der Brücke hinderte ihn nicht daran. Der Schirm zeigte, daß man nahe der Küste stand. Auf dem Bildschirm war die Küstenlinie von Ostafrika in roter Farbe eingeblendet. Zum Zeitpunkt der Entführung hatte die “Stolzenfels” ca. 600 Seemeilen weit querab zur Küste die Höhe nördlich Mogadischu erreicht. Von dort aus war das Schiff vom geplanten Kurs in südwestliche Richtung abgewichen. Innerhalb dreier Tage hatte sein Schiff zum zweiten Mal den Äquator gequert und näherte sich dem Kontinent in einer Gegend nicht weit südlich von von Kismayo. Der Abstand quer zur Küste hatte sich auf geschätzte dreißig Seemeilen reduziert. Das Schiff lag wie befürchtet fast genau auf Westkurs. Drei Stunden noch mit halber Fahrt, schätzte Hansen, und die Küste war erreicht. Achmad sagte:
Читать дальше