1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 Jenny hatte gemeint, sie habe sexistische Töne herausgehört und pikiert gefragt, wie Stellring sicher sein könne, die eingesperrten Mädchen ruhten sich nur aus. Er wisse ebenso wie sie, Kinder, vor allem Mädchen würden, gut vor öffentlicher Wahrnehmung versteckt, als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Luc sah sie in der Erinnerung noch vor sich, Entrüstung stand deutlich ins Gesicht geschrieben. Er fragte sich seitdem, warum nahm sie jedesmal wieder diese halbseidenen Sprüche bei Stellring ernst? In ihrer Umgebung zu Hause wurden Frauen nicht diskriminiert. Hier verhielt sie sich aus nichtigem Anlaß als gelte es einen Einsatz für den Sieg des Feminismus. Sarina beteiligte sich an solchen Diskussionen nicht. Mit ihrer Mutter aus Afghanistan käme ihr in dieser Frage noch am ehesten ein kompetentes Urteil zu, aber sie schwieg. Sie kannte Stellring schon längere Zeit und schätzte seine Stichelei vermutlich richtig ein: Stellring war noch Student. Manche seiner Tiraden erschienen Sarina anscheinend nicht mehr als Scherze am falschen Platz und nicht der Kommentierung wert. Mit überflüssigem Schabernack solchen Kalibers hatte Stellring Jenny nicht nur einmal provoziert. Noch waren beide nicht soweit mit den anderen vertraut, daß Jenny bei Stellring, zwischen gezielt frivol und ernsthaft unterscheiden konnte.
Jenny hatte sich bei passender Gelegenheit einmal revanchiert: der Bus hatte sich zwischen Al-Kandaq und Add-Dabah beim Abstecher zu einer kleinen Ortschaft seitlich der Piste festgefahren. Feiner Sand hatte sich zu einer kleinen Düne aufgeworfen und den Weg versperrt. Statt auszuweichen hatte der Fahrer den Durchbruch mit Anlauf auf direkten Weg versucht. Bis über die Naben hatte der Bus hatte sich mit der Antriebsachse in lockeren Sand gewühlt. Ein Vorfall, der auf solchen Strecken nicht ungewöhnlich war. Man hatte mitgeführte Schaufeln ausgepackt und an die Mitreisenden verteilt. Zusammen mit allen anderen hatten auch drei der vier Europäer angepackt und mit Erfolg gegraben. Jenny hatte die Mitwirkung abgelehnt und den Einsatz mannhafter Anstrengung gefordert. Stellring, Sarina und Luc hatten die die Retourkutsche heraus gehört und beim Schaufeln laut gelacht.
Die schlimmste Befürchtung hatte sich nicht erfüllt. Keiner machte draußen Anstalten zum Sturm auf den Behelfsbunker, ein Versuch, die Eingeschlossenen auszuräuchern fand nicht statt. Die Piraten ließen sich Zeit. Kein Zweifel, sie setzten auf die nur scheinbar schonende Wirkung von Zeit und Hitze. Die Eingeschlossenen waren der Enge und dem monotonen Stampfen der Maschine ausgesetzt. Die Temperatur stieg nicht mehr weiter an, auf längere Dauer würde sie trotz reichlich zugeführter Getränke nicht erträglich sein. Stellring schätzte die Temperatur auf über fünfundvierzig Grad. Niemand litt Durst. Hunger kam nur bei einem einzigen Bewohner auf, aber bitterer Gestank erfüllte den Raum. Stellring fühlte sich schwach. Allein Joe, der Koch hatte sich seinen Appetit bewahrt und aß. Hansen bereitete in einem Tagebuch die Chronik der Entführung vor. In Zeitabständen von immer zwei Stunden trug er befriedigt ein, zumindest habe keiner seiner Leute unter der Belastung bisher durchgedreht. Kein Grund, sich Illusionen hinzugeben! Wenn er sie längere Zeit diesen Bedingungen und der hoffnungslosen Lage aussetzte, würden unvermeidlich bald die ersten krank. Den versprochenen Bericht über die letzten Minuten auf der Brücke ehe er entkommen war, hatte er Jacob nicht abgeliefert. Der Steuermann hatte zu seiner Erleichterung auch nicht noch einmal nachgefragt.
Nach vierundzwanzig Stunden hatte sich am Geräusch des Motors nichts geändert. Keinerlei Anzeichen dafür, daß ein Hilfsschiff des Militärs in der Nähe war! Stellring und Luc Haanen hatten Hansen nach Ablauf von weiteren vier Stunden zur Übergabe aufgefordert. Die Hilfe bleibe aus, diese Lage sei hoffnungslos. Hansen hatte vorgegeben, nach der letzten Angabe der “Atalanta” treffe die Hilfe nun in Kürze ein. Bei Kampfhandlungen zwischen den Piraten und dem Militär dürfe man nicht als Geisel in der Hand der Entführer sein. Stellring und Luc wurden mit Mehrheit überstimmt. Die Besatzung hielten weitere zwei Stunden lang aus, dann kapitulierte der Kapitän.
Längst vorher hatten die Piraten das Versteck gefunden. Ein Mann aus Ibrahims Kommandos hatte bei genauerer Inspektion des Ganges zwischen den Laderäumen das schwache Licht aus einer Lüftungsöffnung nicht übersehen. Minuten später hatte Ibrahim selbst vor dem Tor gestanden. Er wünsche den Kapitän zu sprechen. Hansen hatte die Stimme aus dem Kaperboot sofort erkannt. Die Verständigung quer durch das solide feuerfeste Tor hätte keinen erhöhten Stimmaufwand vorausgesetzt, dennoch hatte Hansen mit erhobener Stimme seinen Protest wiederholt. Er rate den Piraten zum Rückzug, es werde sonst Blutvergießen geben. Die Position seines Schiffes sei der Flottenleitung der “Atalanta” jederzeit genau bekannt. Ein Hilfsschiffe sei unterwegs, Spätestens in ein paar Stunden werde man mit Gewalt befreit. Ibrahim hatte ihn grob unterbrochen.
“Schnauze halten, Kapitän, schließt das Tor auf oder wir räuchern euch da drinnen aus.” Die Blicke der Eingeschlossenen waren fast gleichzeitig auf ein verschlossenes Bullauge gefallen. Es war im Dunkel unter der Decke kaum erkennbar. In der Eile hatte die Zeit zur Sicherung dieser Öffnung nicht gereicht. Irgendwann während der langen Warterei hatte Luc den Anderen die Gefahr bewußt gemacht. Die Mühe zum Aufbrechen das Stahltores könnten die Piraten sich leicht ersparen. Ein paar große brennende Holzstücke von außen in den engen Raum geworfen und ihnen bliebe kein Ausweg als bedingungslose Übergabe. Sie hatten mitgehört wie Ibrahim einem Begleiter befohlen hatte, er solle Wache halten, er selbst käme umgehend zurück.
“Natürlich geben wir nach sobald es soweit ist”, war Hansen den Fragen seiner Mannschaften zuvorgekommen. “Denke nicht im Traum an einen Heldentod für meine Reederei.”
Ibrahim hatte auf der Brücke Bericht erstattet, Achmad sich als entschlossener Herr der Lage seinem Kommando präsentiert:
“Gut so. Die paar Mann haben sich ihr Gefängnis selbst gebaut. Jeder andere Ort im Schiff wäre für uns weniger bequem. Sie werden in der Hitze schwächer, länger als drei Tage halten sie da unten nicht aus. Wer danach rauskommt, ist für Gegenwehr zu schwach, man erspart uns ein Problem.”
Achmad Rasul Dalmar war der unbestrittene Anführer der Aktion. Sein Abschluß an einer Hochschule in Nordengland war fünf Jahre alt. Zwei Jahre lang im Anschluß an das Studium hatte er den Beruf als Elektronikspezialist in einer kleinen Firma ausgeübt. Dann war er seiner Eltern wegen nach Somalia zurückgekehrt. Er hatte vor dem Studium im Ausland schon Interesse für Fragen der Politik gezeigt. War einer von drei Leuten seines Dorfes gewesen, die regelmäßig eine Zeitung lasen. Während der Zeit in England hatte er sich der Gruppe seiner Landsleute in London angeschlossen. Interesse hatte er an der größten Fraktion dort gezeigt. Sie strebte eine Modernisierung der Zustände in der Heimat mit Hilfe von Technik und Methoden des Westens an, aber nur so behutsam, daß die Gefahr vermieden wurde, die Eigenart seines Landes nehme Schaden. In diesem Sinn hatte auch er sich bei der Diskussion mit seinen Landsleuten geäußert. Zweimal hatte er Vorträge mit wenig Resonanz vor seinen Landsleuten gehalten und einen kleinen Artikel in der Zeitschrift der Gruppe publiziert. Er besuchte selten die Moschee und hielt die Pflichten eines Moslems nur lässig ein. Seine Fraktion war die zahlenmäßig stärkste gewesen, stärkere Bewegung war aber von der kleineren Untergruppe der islamistischen Somalier ausgegangen. Achmad hatte für ihre radikalen Thesen wenig Sympathie verspürt.
Er hatte Geld für die Familie zu Hause auf den Weg gebracht. Es gab keinen sicheren Übertragungsweg, die Kuriere nicht zuverlässig, zweimal hatte man die ganze Summe unterschlagen. Die Bitte um Hilfe der kranken Eltern waren dringlich geworden. Er war zurückgekehrt und hatte festgestellt, seine Qualifikation war in der Heimat nicht gefragt. Wohin sich der Blick gewendet hatte, dringender Bedarf zur Linderung von Not und Armut war damals nicht anders als jetzt auch unübersehbar aber der Verfall der Wirtschaft und fehlende Sicherheit ließen Ausübung seines Berufs zu. Er hatte zu einer anderen Art Broterwerb gegriffen und den Anschluß an die Gruppe von Ibn Alrah gesucht. Ibn Alrah gehörte dem gleichen Volksstamm in Somalia an wie er selbst. Er war Enkel des Fürsten, der zu Zeiten der Großeltern in der Heimatregion Feudalherrscher gewesen war. Der Vater von Ibn Alrah führte jetzt den Klan. Sein Sohn hatte sich mit dem Vater überworfen und sich zum Anführer einer Aktionsgruppe gemacht. Über Absichten und Ziele wurde nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Achmad hatte ohne Mühe die Art seiner Unternehmungen herausgefunden. Ibn Alrahund die Leute seiner Gruppe verfügten über Macht in der Gegend um Achmads Dorf und sie verdienten Geld.
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